Kriegsverbrechen werden von beiden Seiten in der Ostukraine begangen

Nach Amnesty sind Folter und Misshandlungen Alltag im Konflikt, die Täter bleiben in der Ukraine - etwa der Rechte Sektor - und in den "Volksrepubliken" unbehelligt

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Die Menschenrechtsorganisation hat gestern einen Bericht veröffentlicht, nach dem Kriegsverbrechen wie Folter und Massenexekutionen von beiden Seiten an Gefangenen begangen wurden. Amnesty hat 17 ehemalige Gefangene der Separatisten und 16 der ukrainischen Truppen oder des ukrainischen Geheimdienstes SBU befragt. Es seien "überzeugende" Beweise für die "brutalen Praktiken", für "häufige und weit verbreitete Misshandlungen", die fast täglich in dem Konflikt von beiden Seiten geschehen.

Die ehemaligen Gefangenen berichteten, sie seien so lange geschlagen worden, bis ihre Knochen brachen, sie seien mit Elektroschocks gefoltert, mit Füßen und Fäusten traktiert, an der Decke aufgehängt, tagelang des Schlafs beraubt, mit dem Tod bedroht, Scheinexekutionen ausgesetzt und medizinisch nicht behandelt worden. Die Berichte der Befragten, die zwischen Juli 2014 und April 2015 in Gefangenschaft gewesen waren, seien konsistent und glaubwürdig. Man habe die Berichte durch zusätzliche Beweismittel wie Röntgenaufnahmen, Fotografien der Wunden oder fehlenden Zähne und Krankenhausakten überprüft. Manche Menschen würden nur deswegen festgenommen, weil sie jeweils mit der anderen Seite sympathisieren, ohne ein Verbreche begangen zu haben. Da reichen schon Fotos auf dem Smartphone von Maidanprotesten oder Telefonnummern von Separatisten. Vermutlich werden Menschen auch deswegen willkürlich festgenommen, um den vom Minsker Abkommen beschlossenen Gefangenenaustausch zu forcieren und jeweils Oppositionelle abzuschrecken.

Bild: Screensht von diesem Video, das Amnesty als Beleg zitiert.

Nach Amnesty haben Separatisten kürzlich in mindestens drei Vorfällen mindestens 8 pro-ukrainische Kämpfer exekutiert. Meist würden die schlimmsten Misshandlungen an den ersten Orten passieren, an denen die Gefangenen festgehalten wurden. Besonders Gruppen, die nicht in die Kommandokette auf beiden Seiten eingebunden seien, würden besonders brutal vorgehen. Auf der Seite der Separatisten sei die Situation sehr chaotisch, weil es viele Gruppen und Gefangene an mehreren bekannten Orten gebe. Besonders brutal seien das Prizrak- und das Sparta-Bataillon. Allerdings sei es unmöglich festzustellen, wie viele Menschen tatsächlich festgehalten werden. Die Organisationen habe sehr unterschiedliche Zahlen von beiden Seiten erhalten, die nicht übereinstimmen. Auf beiden Seiten gebe es viele Gruppen, die Menschen gefangen halten. Angefangen von offiziellen ukrainischen Behörden wie dem Geheimdienst SBU bis zu den De-facto-Behörden in der Ostukraine und den zahlreichen bewaffneten Gruppen, die auf beiden Seiten kämpfen: "Keine dieser Gruppen, wozu auch der SBU gehört, hat die Zahl der Gefangenen veröffentlicht oder genauere Informationen gegeben, wer wo und unter welchen Bedingungen festgehalten wird."

Auf der pro-ukrainischen Seite werden die schärfsten Vorwürfe gegen die Milizen des rechtsextremen Rechten Sektors, bekannt geworden als eine der so genannten Selbstverteidigungskräfte, man könnte auch sagen: Schlägertruppen der Maidanbewegung. Der Rechte Sektor soll in einem verlassenen Jugendlager Dutzende von Zivilisten als Geiseln gehalten, diese brutal gefoltert und große Summen an Lösegeld von ihnen und ihren Familien erpresst haben. Ein ehemaliger Gefangener erzählte, er sei geschlagen, in eine Grube geworfen und dort begraben worden, bis er das Bewusstsein verloren hat. Amnesty habe die ukrainischen Behörden darauf hingewiesen, aber keine Antwort erhalten. Dmitri Jarosch, der Führer des Rechten Sektors, ist Abgeordneter in der Rada, will die Milizen nicht in die Streitkräfte integrieren und wurde zum Berater des Generalstabs ernannt. Die Regierung sucht den Rechten Sektor einzubinden und hat offenbar Angst, gegen diesen vorzugehen. Allerdings haben die Misshandlungen nach Amnesty aufgehört, wenn die Gefangenen in normale Gefängnisse kamen, gerügt wird, dass die Richter auch offensichtlichen Misshandlungen nicht nachgegangen sind.

Auch wenn die Separatisten von Kiew gerne als Kriminelle und Terroristen bezeichnet werden, so dass Menschenrechtsverletzungen dort häufiger vermutet werden könnten, scheint die Lage in der Ukraine, zumindest im Kriegsgebiet, nicht viel besser zu sein. Rechtstaatliche Strukturen sind hier nicht zu finden, Menschenrechtsverletzungen werden weder von den ukrainischen Behörden bei den eigenen Leuten geahndet, noch von den westlichen Unterstützern der Ukraine, die sich im Unterschied zu Russland so auf der Seite der Demokratie, des Rechtstaates und der Menschenrechte geben, öffentlich angemahnt. . Amnesty fordert beide Seiten dazu auf, diese Verbrechen zu beenden und zu gewährleisten, dass alle Kämpfer wissen müssen, welche Folgen Misshandlungen von Gefangenen nach sich ziehen können, wenn dies denn ordentlich verfolgt würde, was auf beiden Seiten nicht anzunehmen ist. Explizit wird die ukrainische Seite, die ja vom Westen als Partner anerkannt und unterstützt wird, aufgefordert, alle Vorwürfe von Kriegsverbrechen und anderen Misshandlungen zu untersuchen und auch die Misshandlungen seitens der Separatisten zu dokumentieren, um alle anzuklagen, die für solche Taten verantwortlich sind. Mahnende Stimmen wie die von Amnesty sind wichtig, aber wenn nicht die die EU und die Nato Druck auf Kiew oder Moskau Druck auf die Separatisten ausüben, wird wenig passieren. Die europäischen Staaten haben auch vorexerziert, dass sie Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte, wenn sie von den USA und von deren Koalition der Willigen begangen werden (Einmarsch in den Irak, illegale Verschleppungen, Folter, unbegrenzte Inhaftierung außerhalb des Rechtsystems, Exekutionen mittels Drohnen etc.), übergeht.

Kiew hat bereits abgestritten, dass die regulären Streitkräfte jemals Kämpfer oder Zivilisten festgehalten haben, die des Terrorismus verdächtigt werden. Die präventive Festnahme sei Aufgabe des Geheimdienstes. Das sagt aber nichts darüber aus, dass man Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verfolgen wird, zumal wenn sie von Milizen begangen werden, die man zwar akzeptiert, aber nicht kontrollieren kann oder will.

Amnesty International is calling on relevant UN agencies and experts to undertake an urgent mission to Ukraine to visit all detention sites for prisoners held in connection with the conflict - including unofficial places of detention. Those that should take part include the Subcommittee on Prevention of Torture and other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, the Working Groups on arbitrary detention and enforced disappearances, and the Special Rapporteur on torture.