Im Schatten der Grauen Eminenz

Satire ist — mehr als nur Blödelei. Aber auch dafür muss man sich gelegentlich einmal Die Zeit nehmen.

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Das bringt es so mit sich, wenn man einen Mehrteiler stückchenweise schreibt. Es geschehen Dinge, die man nicht einfach unberücksichtigt lassen kann. Bzw., die man am Anfang nicht voraussehen konnte.

Zu Teil 1 Zu Teil 2

Z.B. wenn Seymour Hersh, ein mit Preisen dekorierter amerikanischer Journalist, gewissermaßen ein mit Orden ausgezeichneter journalistischer Vier-oder-Fünf-Sterne-General, einen eminent wichtigen Artikel schreibt, der aber in den USA nicht veröffentlicht wird, z.B. nicht im New York Review of Books, sondern nur im London Review of Books, weit ab vor der Küste Amerikas, auf einer sicheren Insel. Besagter Artikel wird dann zwar in ganz Nord-und- Süd-Amerika dem Lesepublikum vorenthalten, aber doch wie einem Haufen Leseunkundiger aus zweiter Hand mitgeteilt und kommentiert. Das geschieht auch weltweit. Beispielsweise in der Zeit, in Hamburg.

Das Angemessene hier wäre es wohl gewesen, im Stil dieses traditionellen Qualitätsblatts, den immerhin 10.000 Wörter langen Artikel in deutscher Übersetzung und in einem eigenen Zeit-Dossier zu veröffentlichen - mit Erklärungen und Verständnishilfen, oder mit rot gefärbten kritischen Anmerkungen (und wohl auch mit Illustrationen). Das wäre man quasi der Reputation des Autors Hersh schuldig gewesen — und auch dem Tenor seiner Arbeit, derzufolge einer der wichtigsten außenpolitischen Erfolge des US-Präsidenten Obama, samt seiner gesamten seitherigen Zweiten Amtsperiode, auf einer Art Fiktion beruht. Hätte es einen vergleichbaren Artikel über Putin gegeben, die deutschen Blätter hätten sich darum gerissen, die Story als erste zu bringen.

Aber nein. Die Zeit bemühte stattdessen vier eigene Journalisten damit, den amerikanischen Star-Reporter ein wenig weich zu klopfen. Nicht madig zu machen. Aber das Wörtchen "Verschwörung" sollte schon irgendwann mal anklingen. Hersh sei vielleicht — vielleicht doch — dem "Verschwörungsdenken" zum Opfer gefallen. Meinten die vier. Oder man könnte auch sagen, das war ihr Auftrag, diese Meinung vierstimmig vorzubringen.

Danach wurde das Artikelchen an die Grafiker weitergereicht. Oder die Bildredaktion, falls man sich darunter eine Abteilung mit eigener Intelligenz vorstellen möchte. Dort fand man zwei Fotos. Das eine zeigt Osama bin (klein geschrieben) Laden, das andere Seymour Hersh. Diese Bilder setzten die Illustrateure, eins über das andere, in die Mitte des Textes, mit der Unterschrift: "Seymour Hersh (u.) glaubt, die Wahrheit über das Ende von bin Laden herausgefunden zu haben." Man sieht dieses in Klammern gesetzte, abgekürzte "(u.)" für "(unten)" und spürt: Auch in Hamburg haben die Menschen Humor. Und Humor ist ja, bekanntlich, nach einer verbreiteten deutschen Definition, immer dann gegeben, wenn man "trotzdem" lacht. Trotz der Blödelei (wahlweise Blödheit) des hier Witzelnden (oder Blödelnden).

Aber es kann natürlich auch überhaupt nicht witzelnd intendiert sein. Die Zeit macht es hier vielleicht nur so, wie die Kollegen bei Time oder Readers Digest: Man will das möglicherweise nicht unbedingt demente aber auf alle Fälle schon sehr überalterte Lesepublikum auf den Unterschied zwischen dem bärtigen Araber und dem glattrasierten US-Bürger aufmerksam machen. Könnte ja sein, dass die Leser das sonst nicht bemerken.

Über das Ganze drüber setzte man dann das bekannte Foto vom Mai 2011, mit dem Bild-Text:

"Alles nur gespielt? Barack Obama, Hillary Clinton und andere Regierungsmitglieder verfolgen am 2. Mai 2011 im Pentagon die angeblich riskante Kommandoaktion (fett im Original, die Kommandoaktion wird hier als "angeblich riskant" apostrophiert, weil Hersh überhaupt die ganze Darstellung des Tathergangs in Zweifel zieht) gegen den Al-Kaida-Chef."

Hmmm. Da fragt man sich als Zeit-Leser, der durchaus ohne redaktionelle Gedächtnisstütze Osama und Seymour auseinander halten könnte: Bitte, das war doch dieses ikonische Foto? Vor vier Jahren? Oder nicht? Das überhaupt wichtigste Foto aus der ersten Folge der Barack Obama-Show? Der ersten Staffel seiner Präsidentschaft?

Das war doch dieses Foto, das wie ein Medien-Meme (schon vor der Zeit der Meme), durch die ganze Welt ging? Sogar in der "Hindustan Times" war das Bild zu sehen. Es war ein Foto, wie der berühmte Schnappschuss vom "Hissen der US-Flagge auf Iwojima" des amerikanischen Kriegsfotografen Joe Rosenthal vom 23. Februar 1945, der auf amerikanischen Briefmarken 137 Millionen Mal verbreitet wurde? (Bis heute: Ein Rekord.)

Stehkader aus dem Farbfilm Raising the Flag on Iwo Jima