Ukraine: Unter dem Nato-Russland-Konflikt leiden die Menschen

Die Unterstützung der Ukraine gegen Russland endet bei der Öffnung der Grenzen für die Ukrainer

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Der Konflikt zwischen der Ukraine und den Separatisten und zwischen der Nato und Russland wird wie immer auf Kosten der Menschen ausgetragen, die zwischen die Fronten geraten. Der Aufstand in der Ostukraine und die "Antiterroroperation", die zunehmend als Krieg zwischen Russland und Ukraine deklariert wird, hat nach Angaben der OCHA bis Mitte Mai mindestens 6.334 Menschen das Leben gekostet, 15.752 Menschen wurden verletzt. Die Angaben beruhen auf offiziellen Daten, bei der OCHA geht man im aktuellen Situationsbericht von "wesentlich höheren Opferzahlen" aus.

Auch jetzt sterben durch den wechselseitigen Beschuss weiter Soldaten/Kämpfer und Zivilisten, Minen und nicht explodierte Geschosse sind auch bei abwesender Gewalt eine "kontinuierliche Bedrohung" der Zivilisten. Weiterhin müssen Menschen Schutz in Kellern suchen, viele Menschen vor allem in den "Volksrepubliken" sind schlecht versorgt. In der Ostukraine und besonders in den "Volksrepubliken" sei die medizinische Versorgung schlecht. Es fehlen vor allem Medikamente und medizinische Ausrüstung. Aufgrund der Flüchtlinge seien die Krankenhäuser zunehmend überlastet. Durch die Kämpfe wurde auch immer wieder die einzige noch verbliebene Versorgungsroute für humanitäre Hilfe in die "Volksrepubliken" über Kurakhove zeitweise im Mai zu Lasten der Zivilisten, aber auch der humanitären Organisationen geschlossen.

"Emergency repairs are needed for many residential buildings in #Donetsk", so ein Tweet von UNHCRUkraine

Kritik wird an Kiew geübt, weil die Bewegungsfreiheit über die Kontaktlinie hinweg nur noch sehr eingeschränkt möglich ist. Der Gouverneur von Lugansk hat am 12. Mai angeordnet, dass nur noch Fußgänger und Mitarbeiter von humanitären Organisationen in die "Volksrepubliken" gelangen können. Humanitäre Hilfe nach Lugansk wird nun vor allem über Donezk geliefert. Das Containment ist ein weiterer Schritt, um die nicht von der Regierung kontrollierten Gebiete noch weiter abzuschließen, nachdem man Zug um Zug die Möglichkeiten der Überquerung der Kontaktlinie eingeschränkt und auch staatliche Zahlungen von Renten u.a. eingestellt hat. Offenbar werden die Menschen schikaniert, müssen lange anstehen, um Dokumente einzureichen und die Pässe zu erhalten, dabei scheinen die Menschen oft mehrmals kommen zu müssen, weil sie keine Informationen darüber erhalten, wann die Pässe fertig sein werden.

Gerade die Menschen, die nicht fliehen können, ohne deswegen Anhänger der Separatisten zu sein, werden dadurch in Sippenhaft genommen. Faktisch werden die Menschen damit abgeschreckt, aus den "Volksrepubliken Richtung Ukraine zu fliehen.Zudem wird um die Volksrepublik noch ein Verteidigungswall ähnlich wie die neue "Mauer" an der russischen Grenze errichtet. Das alles sieht eher danach aus, als würde Kiew die Autonomie befördern. Dafür könnte sprechen, dass man mit einem weiter schwelenden Konflikt den Westen unter Druck setzen und verhindern kann, für den Wiederaufbau der weitgehend zumindest auch durch ukrainische Streitkräfte zerstörten Infrastruktur aufkommen zu müssen.

Und für die Flüchtlinge wird in den von der Regierung kontrollierten Gebieten offenbar auch nicht wirklich gesorgt. Einerseits können nach den Vereinten Nationen nur wenige Güter von der Ukraine in die "Volksrepubliken" gelangen, daher sind dort die Lebensmittepreise hoch, vor allem für die Rentner, Kranken oder Alleinerziehenden auch ein Problem, die ihre Renten oder Sozialhilfe nicht mehr erhalten. Was die Lebensmittelversorgung betrifft, seien die Flüchtlinge in der Ostukraine die am meisten gefährdeten Gruppen. Bis zum 4. Mai wurden 8.600 Lebensmittelgutscheine in den von der Regierung kontrollierten Gebieten von OCHA ausgegeben, in den "Volksrepubliken" 7.390.

Aber es gibt auch Probleme bei der humanitären Hilfe, denn die Großzügigkeit der Geberländer schwindet. OCHA hat im Februar um 316 Millionen US-Dollar zur lebenssichernden Versorgung von 3,2 Millionen Menschen in der Ukraine gebeten, bislang wurden nur 87 Millionen, also 27 Prozent, gezahlt oder versprochen. Bezahlt sind erst 17,6 Prozent. Hervorgehoben werden die russischen Hilfskonvois. Am meisten bezahlen die EU-Kommission, die USA und Kanada. Gefolgt von Russland, Deutschland und Japan. Die Solidarität der osteuropäischen und baltischen Länder geht mit Ausnahme von Estland und Tschechien hingegen Null.

Nach Angaben der ukrainischen Behörden haben sich seit Beginn des Konflikts 1,3 Millionen Menschen als Flüchtlinge gemeldet, allein in den letzten Wochen sind 44.000 Menschen dazu gekommen. Weitere 857.000 Menschen haben nach der UN-Flüchtlingskommission UNHCR Asylanträge oder Aufenthaltsgenehmigungen in anderen Ländern gestellt, in den letzten zwei Wochen alle 23.000, davon sind 20.000 nach Russland ausgewandert oder geflohen. Der weitaus überwiegende Teil, nämlich fast 710.000, der ukrainischen Bürger ist nach Russland gegangen, 81.000 nach Weißrussland und fast 54.000 nach Polen. In der EU haben bislang nur 13.000 Ukrainer einen Asylantrag bis Ende April gestellt. Auch hier nimmt aber, wenn auch noch schwach, die Zahl der Flüchtlinge zu, Ende Oktober waren es noch 9.000 gewesen.

Man kann annehmen, dass die Ukrainer noch darauf hoffen, möglichst schnell eine legale Einreisemöglichkeit in die EU-Ländern zu erhalten. Zwar hat die EU angedeutet, den Visumzwang aufzuheben, aber obgleich Kiew drängt, hat sich noch nichts getan. Um ein Visum etwa für Deutschland zu erhalten müssen Nachweise für die Rückkehrwilligkeit in die Ukraine und die Finanzierung des Aufenthalts erbracht werden. Bundeskanzlerin Merkel hatte vage auf dem EU-Partnerschaftsgipfel in Riga gesagt, dass es bis zum Ende des Jahres eine "klare Perspektive" für eine visafreie Reise in die EU geben könne, wenn alle Kriterien erfüllt seien. In der Abschlusserklärung wurde den Ländern frühestens 2016 eine visafreie Einreise in Aussicht gestellt, natürlich auch mit Verweis auf die dazu notwendigen Reformen.

Auch eine Zusage, Beitrittskandidat für die EU zu werden, gab es weder für die Ukraine noch für die anderen Länder der "östlichen Partnerschaft". Die ukrainische Regierung hatte darauf am stärksten gedrängt und eine visafreie Einreise bereits ab Anfang 2016 gefordert. Für die Ukraine will die EU aber noch einmal einen Kredit von 1,8 Milliarden Euro bereitstellen.

Allgemein werden, so Angaben der EU für 2014, in Deutschland absolut die meisten Asylanträge gestellt, 32 Prozent von allen, pro Einwohner liegt Deutschland allerdings nach Schweden, Ungarn, Österreich, Malta und Dänemark erst an sechster Stelle. In den osteuropäischen und baltischen Ländern sind es hingegen teils verschwindend geringe Zahlen. Die meisten Menschen, die Asylanträge stellen, kommen aus Syrien, Afghanistan und Kosovo, also von dem Land, dem der Westen unbedingt zur Unabhängigkeit von Serbien verhelfen wollte, die den Volksrepubliken verweigert wird. In Polen stellen allerdings die Russen die größte Gruppe, gefolgt von den Ukrainern. In Tschechien und Estland sowie in Portugal waren die Ukrainer die größte Gruppe, wenn auch noch sehr überschaubar. In absoluten Zahlen gingen die meisten Ukrainer nach Deutschland, Polen, Italien, Frankreich und Schweden. Der größte Anteil der Ukrainer, die einen Asylantrag in einem EU-Land gestellt haben, waren jung, zwischen 18 und 34 Jahren alt und unter 13 Jahren.

Sonderlich willkommen oder auch gefährdet sieht man die Ukrainer offenbar nicht in der EU. Von den 2.985 Asylanträgen 2014 von Ukrainern, die bearbeitet wurden, wurden gerade einmal 150 bewilligt und 2.335 abgelehnt. Der Rest erhielt eine andere Art von Schutz. 22 Prozent wurden also in irgendeiner Form angenommen, bei den Syrern waren es 95 Prozent, bei den Eritreern 85 Prozent. Dabei schnitten allerdings die Ukrainer noch besser ab als die Serben oder die Kosovaren. In Polen sollen sich allerdings um die 400.000 Ukrainer aufhalten, die meisten kamen, als der Konflikt ausgebrochen war. Um die 300.000 haben kurzfristige Aufenthaltsgenehmigungen durch Visa - und bleiben dann im Land, was durchaus Zündstoff werden kann, zumal wenn noch mehr Ukrainer kommen.

Die New York Times schreibt, dass die Ukrainer in der EU kühl empfangen werden. Das Hinausschieben der visafreien Einreise durch die EU spricht zudem Bände. Die Regierungen fürchten, dass durch eine massenhafte Einwanderung von Ukrainern die eingeschlagene Geopolitik der Nato gegenüber der eigenen Bevölkerung nicht mehr vertreten werden könnte.