De Maizière fordert weiteres EU-Forschungsprojekt zu Vorhersagesoftware

Ein Kanton in der Schweiz verschickt Prognosen zu Wohnungseinbrüchen mittlerweile auf Mobiltelefone. In Großbritannien wird die Verarbeitung von Personendaten untersucht

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Deutschland und Frankreich wollen einen gemeinsamen Anlauf starten, um Software zur Vorhersage von Straftaten zu entwickeln und einzuführen. Dies teilte der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU) gestern im Anschluss an ein informelles Ministertreffen mit. Mit Blick auf Frankreich erklärte de Maizière, andere Länder verfügten im Bereich der "Predictive Analytics" über "mehr Erfahrung als wir ".

In der "Gruppe der Sechs" (G6) schließen sich die Innenminister der sechs einwohnerstärksten EU-Mitgliedsstaaten zusammen. Es handelt sich nicht um ein Gremium der Europäischen Union. Vielmehr versuchen die G6-Mitglieder, mithilfe halbjährlicher Treffen Einfluss auf sicherheitspolitische Entscheidungen in Europa zu nehmen. Zur heutigen Zusammensetzung gehören seit ihrer Gründung 2003 die Regierungen Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Italiens, Spaniens und mittlerweile auch Polens. Auch die EU-Kommissar für Inneres wird eingeladen. Auf Initiative des früheren deutschen Innenministers Wolfgang Schäuble (CDU) nehmen seit 2007 auch das US-Ministerium für "Heimatschutz" sowie die US-Generalbundesanwaltschaft an den G6 teil. Die Zusammenkunft firmiert seitdem als "G6+1″.

Die europäischen Innenminister interessieren sich vor allem für die Vorhersage von Wohnungseinbrüchen. Das bayerische Landeskriminalamt testet derzeit eine solche Anwendung (Funktioniert Verbrechensbekämpfung mit Big Data?). Das System "Precobs" wird von einer Firma aus Nordrhein-Westfalen geliefert und verarbeitet statistische Falldaten früherer Straftaten. Zunächst soll es auf Wohnungseinbrüche beschränkt bleiben, später könnten auch Autodiebstähle oder andere Kriminalitätsphänomene hinzukommen (Bayerns Polizei sucht Nadeln im Heuhaufen). Die Kriminalämter Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Baden-Württemberg prüfen ebenfalls eine Einführung, haben sich aber noch nicht auf ein Produkt festgelegt.

Push-Meldungen auf Handys

Die deutsche Software "Precobs" ist vor allem in der Schweiz populär. Zu den ersten Kunden gehört die Stadtpolizei Zürich, es folgten die Kantone Aargau und Baselland. Angeblich überlegen auch Polizeibehörden in Bern, Genf und dem Thurgau eine Anschaffung. Die Polizei in Aargau baut die Prognosen über vermutete Straftaten nun in seine Android-App "KAPO" ("Kantonspolizei") ein. Die App enthält das Feature "Die Polizei warnt". Ist dieses aktiviert, werden Meldungen über Verbrechen verschickt, die noch gar nicht passiert sind. Die Push-Meldungen sollen laut Medienberichten "auf ein Dorf oder sogar auf ein Quartier genau" zugeschnitten sein.

Laut dem deutschen Bundesinnenminister hätten die französischen Behörden nun vorgeschlagen, den Nutzen von Vorhersagesoftware in einem "Expertenkreis im G6-Format " zu untersuchen. Demnach sei auch gefordert worden, dass die EU-Kommission ein entsprechendes Forschungsprojekt auflegt. Schon jetzt finanziert die Kommission die Entwicklung von Software, um offene Quellen im Internet zu analysieren und auf dieser Basis Prognosen zu entwickeln. Diese Erfahrungen könnten in zukünftige Forschungen einfließen (Rasterfahndung im Internet - Der permanente Blick in die Glaskugel). Das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei sind an diesen Forschungen beteiligt.

Vermutlich wird das BKA auch an dem angekündigten "Expertenkreis im G6-Format " teilnehmen. Dort könnte die Behörde die Ergebnisse seiner derzeit vorgenommenen, umfangreichen "Marktsichtung" präsentieren. Das BKA ist auch mit den Landeskriminalämtern Bayern und Nordrhein-Westfalen zur Einführung von Vorhersagesoftware in Kontakt. Vor einigen Jahren ließ sich das BKA vom Marktführer IBM eine Anwendung zu "Predictive Analytics" in Freiburg vorführen.

Auch die Verarbeitung von Personendaten ist möglich

De Maizière erklärte gestern nicht, ob ein etwaiges EU-Programm eher die technische Umsetzung oder aber die rechtlichen Probleme von "Predictive Analytics" beleuchten soll. Im Winter hatte sich der bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz (LfD) Thomas Petri mit diesen Fragen befasst. Der Einsatz der Software sei demnach "datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden", da lediglich anonyme Daten genutzt würden.

Das könnte sich aber in einigen Jahren ändern. So haben Polizeibehörden in Großbritannien bereits Studien zur Verarbeitung von Personendaten durchgeführt. Untersucht wurde die Prognose zukünftiger Straftaten von Gang-Mitgliedern.

Eines lässt Petri in seinem "Prüfergebnis" gänzlich unerwähnt: Dass nämlich das "Predictive Policing" den polizeilichen Datenhunger steigert. Denn eine statistische Analysesoftware arbeitet umso besser, je mehr Informationen verarbeitet werden. Problematisch an Software wie "Precobs" ist die Zementierung vorhandener Stereotypen bei der Polizei. Die Anwendung zeigt beispielsweise an, dass in einer bestimmten Straße eines reicheren Wohngebietes rund um bevorstehende Ferien- oder Feiertage Einbrüche vermutet werden und welchen Weg die Täter anhand der Verkehrslage wählen könnten. Sie sagt aber nicht, wie die Einbrecher der Zukunft aussehen werden. Die Polizei wird also möglicherweise jene Personen besonders kontrollieren, die aufgrund ihres Äußeren ohnehin häufig ins Raster geraten.