Bilderberg: "Die Forschung zu Bilderberg steckt noch in den Kinderschuhen"

Politiker und alterfahrene Weltenlenker treffen hinter verschlossenen Türen auf Spitzenmanager und Mitgliedern von Denkfabriken - Teil 2

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Im zweiten Teil des Interviews mit Björn Wendt zur Bilderberg-Konferenz legt der Sozialwissenschaftler dar, wie der Stand der Wissenschaft in Sachen Bilderbergforschung ist, und erklärt die Struktur der Gruppe. Zum Vorschein kommt ein Elite-Zirkel, dem die Funktion einer Konsensschmiede der Mächtigen zukommt. Teil 1: "Es ist eine Privatisierung und Re-Oligarchisierung der Politik zu beobachten".

Im ersten Teil des Interviews führen Sie an, dass es im englischsprachigen Raum substanzvolle Untersuchungen zu Bilderberg gibt, diese allerdings sich kaum im wissenschaftlichen Diskurs widerspiegeln. Welche Untersuchungen meinen Sie?

Björn Wendt: Ich meine einerseits eine Reihe von Untersuchungen, die vor allem von Historikern und Politikwissenschaftlern in den letzten 10-15 Jahren durchgeführt wurden. Ich denke hierbei insbesondere an die Arbeiten von Valérie Aubourg, Thomas Gijswijt, Hugh Wilfort, Philip Murphy und Ian Richardson. Anderseits gibt es einige ältere Untersuchungen aus den 1970er und 1980er Jahren, etwa von Eugene Pasymowski und Peter Thompson.

Welche Erkenntnisse lassen sich aus diesen Untersuchungen gewinnen?

Björn Wendt: Zunächst lässt sich die Entstehungsgeschichte der Bilderberg-Gruppe inzwischen recht differenziert abbilden. Die Initiative zur ersten Bilderberg-Konferenz ging im Jahr 1952 vor allem von Joseph Retinger und Prinz Bernhard der Niederlande aus. Es ging ihnen darum, den steigenden Antiamerikanismus in Europa entgegenzuwirken und den Zusammenhalt zwischen den Machteliten auf beiden Seiten des Atlantiks sowie die Europäisierungsbewegung zu stärken, um ein geschlossenes Bündnis des Westens gegen den Kommunismus zu gewährleisten.

Von Beginn an waren die Organisatoren darum bemüht, dass von ihrem Vorhaben nichts nach außen dringt. Vom 29. bis zum 31. Mai 1954 tagte die erste Konferenz im niederländischen Oosterbeek im Hotel de Bilderberg, daher auch der Name "Bilderberg-Konferenz".

Und dann folgte die Entscheidung, sich im nächsten Jahr wieder zu treffen.

Björn Wendt: Ja, Prinz Bernhard übernahm dann den Vorsitz und seither findet in der Regel eine Konferenz pro Jahr statt. Stets wird für mehrere Tage ein Luxushotel angemietet, das häufig abgelegen liegt und durch private und öffentliche Sicherheitsdienste protegiert wird.

Bezüglich der eigentlichen Funktion der Bilderberg-Konferenzen gehen die meisten Forscher davon aus, dass es darum geht, Kontakte zu knüpften, also soziales Kapital zu erwerben: Networking auf höchster Ebene. Auch der Aspekte der Sozialisation und Integration aufsteigender Führungskräfte in die entsprechende Elitenstruktur und die kulturellen Gewohnheiten und Bräuche der etablierten Machthaber wird in einigen Arbeiten als wichtige Funktion der Konferenz diskutiert. Zudem wird recht häufig betont, dass die Konferenzen dahingehend wirken, dass Konflikte zwischen den verschiedenen Elitegruppen abgebaut werden und eine Art kleinster gemeinsamer Konsens ermöglicht wird, der Fortschritte in gewissen politischen Konfliktlagen ermöglicht.

Die Studien, die ich erwähnt habe, skizzieren neben der Geschichte und den Funktionen der Konferenzen aber auch wichtige Basisinformationen zum Ablauf der Konferenzen, zu den Selbstbildern der Teilnehmer und Organisatoren sowie zur Rekrutierung, Struktur und Zielsetzung der Bilderberg-Gruppe.

Der Kern der Gruppe und der äußere Kreis

Können Sie die Struktur der Gruppe darlegen?

Björn Wendt: Nun, zunächst haben wir da die Konferenzteilnehmer. Ich schätze die Zahl an Konferenzteilnehmern der letzten 60 Jahre auf ca. 2500 Personen. Insbesondere von Politikern und öffentlichen Stellen wird nun häufig gesagt, dass Bilderberg keine formelle Mitgliedschaft und Organisation kennt. Das stimmt so nicht, denn es existierte von Beginn an sehr wohl eine Organisationsstruktur. Es gibt einen Vorsitzenden der Bilderberg-Gruppe bzw. der Bilderberg Meetings, wie sich die Institution inzwischen öffentlich selbst nennt. Bereits in den 1950er Jahre gründete sich ein Lenkungsausschuss (Steering Committee), dem stets etwa 35 Personen angehörten, die aus den NATO-Staaten stammten. Zudem wurde später eine Beratungsgruppe (Advisory Group) eingerichtet, die zunächst aus über zehn Mitgliedern bestand.

Diesen inneren Kern der Institution (Steering Committee und Advisory Group), bezeichne ich als Bilderberg-Gruppe. Etwa 200 Personen gehörten in der Vergangenheit diesem erlesenen Kreis an. Diese Mitglieder der Bilderberg-Gruppe sind also von jenen Personen zu unterscheiden, die von ihnen, mitunter nur einmalig, zu einer Konferenz einladen werden. Man könnte also sagen: Es gibt einen inneren Kreis (die Bilderberg-Gruppe) und einen äußeren Kreis (die Konferenz-Teilnehmer). Bereits die Selbstdarstellungen der Bilderberg-Gruppe widerlegen also die Behauptung, es gebe keine Organisationsstruktur oder Mitgliedschaft.

Eine Webseite gibt es mittlerweile auch.

Seit 2010. Im Grunde bestätigt die Website eine ganze Reihe von Informationen, die schon vorher über andere Kanäle öffentlich wurden. Die Texte auf der Homepage sind fast deckungsgleich mit jenen Formulierungen, die die Organisatoren früher bereits als Pressemitteilungen hinaus gegeben haben und mit denen sie zugleich die eingeladenen Teilnehmer an die Gepflogenheit der Bilderberg-Tradition heranführen.

Dadurch, dass nun die Teilnehmer der letzten Konferenzen und auch alle aktuellen und ehemaligen Mitglieder des Lenkungsausschusses auf der Website von offizieller Seite bestätigt werden, ist es für Interessierte heutzutage somit relativ einfach, an einige solide Basisinformation zu kommen, auch bezüglich der Organisationsstruktur. Der Vorsitzende der Bilderberg-Gruppe kam bisher immer aus Europa. In den USA existiert zudem eine Vereinigung einiger amerikanischer Mitglieder der Gruppe, die "American Friends of Bilderberg". Die europäische-amerikanische Charakteristik drückt sich zudem darin aus, dass es jeweils einen Generalsekretär für Europa und einen für die USA gibt. In diesem engeren Kreis wird entschieden, über welche Themen diskutiert wird und welche wer zu den Konferenzen geladen wird.

Wie werden denn die Teilnehmer bzw. Mitglieder ausgewählt?

Björn Wendt: Die Teilnehmer an den Konferenzen werden formell vom Lenkungsausschuss ausgewählt und vom Vorsitzenden eingeladen. Dreiviertel der Teilnehmer stammt aus Europa und ein Viertel aus den USA. Ein Drittel der Teilnehmer wird stets aus den Bereichen Staat und Politik rekrutiert, wobei Funktionsträger aus Oppositionen und Regierungen sowie internationalen Organisationen (EU-Kommission, IWF, Weltbank, WTO, UN, NATO) geladen sind.

Den Politikern, Militärs, Beamten und Elder Statesmen, stehen auf der anderen Seite dutzende Spitzenmanager von Zentralbanken und Großkonzernen gegenüber, die die wirtschaftliche Sichtweise auf die Weltprobleme darlegen sollen. Zu diesen Gruppen gesellen sich einige Journalisten, Wissenschaftler sowie Mitglieder von privaten Stiftungen, Think-Tanks und Beraterfirmen.

Ich denke, dass bei der Auswahl neben mathematischen und formalistischen Elementen eine ganze Reihe weiterer Faktoren eine Rolle spielen: 1. Wer hat zurzeit Einfluss? 2. Wer wird zukünftig vielleicht auf wichtigen Machtpositionen sitzen? 3. Wem tue ich einen Gefallen, damit er oder sie mir später vielleicht auch einen Gefallen tut? 4. Welche Personen sind für die Diskussion eines bestimmten Themas unerlässlich? 5. Wer ist verfügbar? 6. Wer hat sich in der Vergangenheit für eine erneute Einladung aufgedrängt? 7. Wer wird traditionell eingeladen?

Die Supereichen und der europäische Hochadel ist auch dabei

Wer wird denn traditionell eingeladen?

Björn Wendt: Traditionell haben in jedem Fall die Mitglieder des Lenkungsausschusses Zugang zu den Bilderberg-Konferenzen. Nachdem inzwischen zahlreiche Teilnehmerlisten öffentlich zugänglich sind, fällt auf zudem auf, dass die eingeladenen Personen zwar über die Jahre wechseln, aber häufig aus denselben Organisationen rekrutiert werden: Deutsche Bank, Goldman Sachs, Royal Dutch Shell, ThyssenKrupp, um nur einige zu nennen.

Es existiert also eine enge Verbindung zu einzelnen Organisationen, nicht nur in der Wirtschaft. Gewissermaßen ließe sich diese Überlegung auch auf politische Parteien beziehen. Die SPD, die CDU/CSU und die FDP, darunter zahlreiche Bundeskanzler und Minister, waren die letzten 60 Jahre immer wieder vertreten, die Grünen sind erst seit kurzem dabei.

Sowohl auf den Konferenzen als auch in der Bilderberg-Gruppe stößt man nun auf zwei Gruppen, die besonders interessant sind: Die Supereichen und den europäischen Hochadel, da sie in der Regel nicht so sichtbar sind, wenn es um Fragen der Weltpolitik geht. Prinz Bernhard und seiner Tochter, Königin Beatrix der Niederlande, aber auch Königin Sofia von Spanien und weiteren regelmäßige und unregelmäßige royale Besuche, illustrieren, dass stets einige Vertreter des europäischen Hochadels in die Konferenzen eingebunden waren, ohne jedoch (bis auf Prinz Bernard) eine formelle Position in der Gruppe einzunehmen.

Die Geldaristokratie ist in der formellen Struktur sichtbarer und durch die gesamte Geschichte hindurch im Steering Committee vertreten. Es ist nicht abwegig, vielmehr sogar naheliegend, diese beiden Gruppen und Institutionen als bedeutsame politische Player und Systeme bei der Analyse von Weltpolitik einzubeziehen.

Wo sehen Sie denn weitere Forschungsansätze?

Björn Wendt: Fast überall.

Wie meinen Sie das?

Björn Wendt: Die Forschung zu Bilderberg steckt noch in den Kinderschuhen. Anderseits gibt es inzwischen viel Material, das öffentlich zugänglich ist und systematisch ausgewertet werden könnte. Besonders die mitunter über 100 Seiten langen Konferenzberichte, die von der Gruppe angefertigt werden, die Teilnehmerlisten, die Selbstdarstellung auf der Homepage, aber auch die sich häufenden Aussagen und Selbstdarstellungen der Teilnehmer und Organisatoren in Autobiografien und Medien sind bisher kaum systematisch berücksichtigt. Gleiches gilt für den Umgang mit dem Phänomen im politischen Feld. Wie reagieren die sozialen Bewegungen auf Bilderberg? Wie wird das Thema parlamentarisch debattiert? Inwiefern wird in den Fraktionen informell über Bilderberg gesprochen?

Der Zusammenhang von Macht und Geschlecht

Wo könnte eine kritische Sozialforschung noch ansetzen?

Björn Wendt: Auch das Archiv der Bilderberg-Gruppe ist interessant, wurde bisher aber nur in Einzelfällen für Forschungen freigegeben. Diese Forschungen beziehen sich aber nur auf die ersten Jahre und die Entstehung der Gruppe. Immerhin konnte inzwischen mit einigen Teilnehmern Interviews über ihre Sichtweise geführt werden, was womöglich auf eine zunehmende Offenheit hinweist. In einigen Untersuchungen ist zudem die Rede davon, dass einige Konferenzen aufgezeichnet wurden, auch hier ließen sich spannende Forschungsfragen anschließen.

Inhaltlich sind Macht- und Herrschaftsfragen eines der spannendsten Forschungsfelder, insbesondere die sich an Phänomene wie die Bilderberg-Konferenzen anschließenden demokratie- und gerechtigkeitstheoretischen Fragen. Bezeichnend ist etwa, um noch einmal auf die Rekrutierung der Gruppe zurück zu kommen, dass noch nie eine Frau Vorsitzende der Bilderberg-Gruppe war. Auch der Anteil der Frauen im Lenkungsausschuss bewegt sich im niedrigen einstelligen Prozentbereich.

Der Zusammenhang von Macht und Geschlecht ließe sich somit sicherlich recht vielversprechend am Beispiel Bilderberg erforschen. Gleiches gilt für die Funktion der Bilderberg-Konferenzen und ähnlicher elitärer Institutionen, der politischen Klasse die Ideologie der Großindustrie als Interesse des Gemeinwohls nahe zu bringen, stets mit dem unausgesprochenen Versprechen im Hintergrund auf einen zukünftigen Wechsel des Teams und damit verbundene berufliche Karrieren, die hohe Einkommen und Vermögen versprechen. Kurzum: Es wäre unter verschiedenen Gesichtspunkten und Perspektiven an der Zeit, dass die Politikwissenschaft und die Soziologie mehr Mühe und Zeit aufwenden, um zur Aufklärung über die Bilderberg-Konferenzen beizutragen.

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