Die Ukrainer sind kriegsmüde

Nach einer Pew-Umfrage würde eine Mehrheit der Deutschen, Italiener und Franzosen keine Truppen schicken wollen, um ein Nachbarland Russlands bei einem ernsthaften Konflikt zu unterstützen

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Während die Regierungen der Nato-Länder verkündet haben, ihre Militärausgaben zu erhöhen und die an Russland grenzenden Nato-Staaten militärisch zu schützen, was durch die Nato-Speerspitze geschehen soll und mit zahlreichen Militärübungen demonstriert wird, sind die Regierten eher zögerlich. Nach einer Pew-Umfrage würde eine Mehrheit der Deutschen, Italiener und Franzosen keine Truppen schicken wollen, um ein Nachbarland Russlands bei einem ernsthaften Konflikt zu unterstützen. Der Artikel 5, die Beistandsverpflichtung der Nato, hätte für sie damit keine Gültigkeit.

Mit 34 Prozent sagt dies selbst ein Drittel der Polen, mit 48 Prozent ist nicht einmal die Hälfte für die Entsendung von Truppen zu einem bedrohten Nato-Land. 70 Prozent der Polen sehen gleichwohl Russland als Bedrohung der Nachbarländer, in den anderen Staaten sind es 49 Prozent, 57 Prozent (vs. 37%) machen Russland für die Gewalt in der Ostukraine verantwortlich, 49 Prozent (vs. 25%) fordern eine Verschärfung der Sanktionen. Selbst in den USA machen nur 43 Prozent Russland für die Gewalt in der Ostukraine verantwortlich.

Und die Nato? Sie wird noch bei fast Zweidrittel der Menschen in den ausgewählten Ländern positiv angesehen. In den USA sind es nur noch 49 Prozent, der Ukraine-Konflikt, der nach den Regierenden zu einem Zusammenrücken der transatlantischen Bande und der Nato führen soll, hat daran nichts geändert, auch praktisch nicht in Kanada und Großbritannien. In Polen, Spanien, Italien und in Frankreich ist die Unterstützung der Nato hingegen zwischen 2013 und 2015 gestiegen. In Deutschland hingegen halten immer weniger Menschen etwas von der Nato. 2009 hatten noch 73 Prozent eine positive Einstellung. 2013 fiel dies bereits auf 59 Prozent, womit die Deutschen sich in den Durchschnitt einreihten, jetzt sind es nur noch 55 Prozent. Allerdings damit noch mehr als in den USA und Spanien, allerdings sind mit 57 Prozent die meisten Deutschen überdies gegen eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine - auch die Italiener sind mehrheitlich dagegen. Die Deutschen, Franzosen und Italiener lehnen mehrheitlich auch einen EU-Beitritt ab.

Die Russen sprechen zur Hälfte den westlichen Ländern und zu 26 Prozent der Ukraine die Schuld an der Krise zu. In den Nato-Ländern sagen viele, sie wüssten nicht, wer verantwortlich ist, den westlichen Ländern wird nur von einer kleinen Minderheit die Schuld zugeschoben, die Deutschen stehen hier mit 12 Prozent an der Spitze. Weniger als 10 Prozent sehen Kiew in der Verantwortung, aber immerhin 13 Prozent in den USA und 14 Prozent in Frankreich. Mehr Verantwortung wird den prorussischen Separatisten zugesprochen (30% in Frankreich, 25% in Deutschland, 15% in den USA). Nur 29 Prozent machen in Deutschland und Italien Russland verantwortlich, in Spanien sind es 37 Prozent, in Großbritannien 40, in Frankreich 44, in den USA 42 Prozent.

Rapide ist nach der Pew-Umfrage in Russland die Wertschätzung der Nato, der USA, der EU und Deutschland nach einem Höhepunkt 2011 gefallen. Erstaunlich, aber seltsamerweise nicht interpretiert, ist, dass in den Nato-Ländern von 2012 und 2013 36 Prozent ein positives Bild von Russland hatten, das 2014 auf 19 Prozent abstürzte, aber 2015 wieder auf 25 Prozent stieg (nur in Kanada und Großbritannien ging die Wertschätzung weiter nach unten, selbst in Polen stieg sie leicht gegenüber Russland und Putin). Wird Russland wegen seines Verhaltens im Ukraine-Konflikt besser bewertet, ist eine indirekte Kritik an der Nato-Politik oder an der Unterstützung der Ukraine? Greift die Dämonisierung nicht mehr so? Die Russen vertrauen mehrheitlich jedenfalls weiter Putin sowohl in seiner Wirtschafts-, als auch in seiner Außenpolitik, interessant wäre gewesen, inwieweit die Menschen in den Nato-Staaten Obama, Merkel, Hollande etc. vertrauen.

Auch in Großbritannien (37%), Kanada (36%) und den USA (37%) sind die Menschen zögerlich, nur in Kanada und den USA gibt es eine knappe Mehrheit für eine Entsendung von Truppen. In allen der acht Nato-Staaten sagen 42 Prozent, sie seien gegen eine Entsendung von Truppen. 41 Prozent sprechen sich für Waffenlieferungen an die Ukraine aus, in Deutschland gerade einmal 19 Prozent, auch die Italiener (22%) und Spanier (25%) sind sehr zurückhaltend. Gerade einmal die Hälfte der Polen befürworten Waffenlieferungen, in den USA (46%) und in Kanada (44%) gibt es dafür auch keine Mehrheit. Wie Pew herausstellt, sind Amerikaner und Deutschland weit voneinander entfernt, was das Verhältnis zur Ukraine und zu Russland betrifft, das trifft allerdings auch auf die Italiener zu.

Interessant ist, dass sich bei einer Pew-Umfrage in der Ukraine, abgesehen von den "Volksrepubliken" und der Krim, zwei Drittel für eine EU-Mitgliedschaft aussprechen, aber nur etwas mehr als die Hälfte für einen Nato-Beitritt (68% Prozent in der Westukraine, 34% in der Ostukraine). Selbst was Waffenlieferungen betrifft, sind die Ukrainer nicht einig: im Westen sprechen sich auch nur 66 Prozent dafür aus, im Osten gerade noch 34 Prozent. Nur 23 Prozent sind für den von der ukrainischen Regierung eingeschlagenen Weg, die Separatisten militärisch zu bekämpfen (auch im Westen nur 31%, im Osten lediglich 13%), 47 Prozent sind für Verhandlungen (im Westen auch 40% und im Osten sogar 56%), was Kiew bislang ablehnt, 19 Prozent können sich nicht entscheiden.

Klar ist aber, dass der Beitritt zur Wirtschaftsunion mit Russland mehrheitlich abgelehnt wird und dass die große Mehrheit dafür ist, dass die Ukraine ein Land bleiben soll. Nur 10 Prozent sprechen dafür aus, den "Volksrepubliken" die Unabhängigkeit zu gewähren. Umgekehrt ist es in Russland, hier sagen nur 32 Prozent, dass der Donbass Teil der Ukraine bleiben soll, 35 Prozent sind für die Unabhängigkeit, 24 Prozent für die Integration in Russland. Zumindest öffentlich hat Putin diesem Druck bislang nicht nachgegeben.

Nicht nur wegen des Kriegs muss man sich Sorgen machen. 94 Prozent der befragten Ukrainer beschreiben die wirtschaftliche Situation des Landes als schlecht, 66 Prozent als sehr schlecht. Die Regierung kommt nicht gut an. 59 Prozent sagen, sie habe einen schlechten Einfluss, 15 Prozent mehr als vor einem Jahr. Zu befürchten ist daher, dass die Regierung mehr und mehr auf die russische Bedrohung und den militärischen Konflikt setzt, um die Menschen in der Ukraine und die Unterstützerländer unter Druck zu setzen. In die Gerichte haben die Ukrainer kein Vertrauen, schon eher in die Medien, die allerdings auch sehr einseitig berichten, und vor allem ins Militär (72%).

Unzufrieden sind die Menschen vor allem mit Regierungschef Jazenjuk (60%) und Poroschenko (43%). Abgelehnt wird Poroschenkos Politik in den Bereichen Wirtschaft, Korruption, Verhältnis zu Russland und des militärischen Konflikts, nur bei den Beziehungen mit der EU findet er eine Mehrheit. Russland ist das Land, das bei den Ukrainern am wenigsten punkten kann, Deutschland kommt am besten weg, 77 Prozent haben eine positive Sicht auf Deutschland. Merkel erhält mehr Respekt als Obama.