Gentechnik: Opt-out auf Bundesebene?

Neue Rechtsgutachten erörtern die Möglichkeiten bundesweiter Anbauverbote

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In Zusammenhang mit zwei neuen Rechtsgutachten zum Thema Gentechnik-Anbauverbote (Opt-out Regelung) fordert der Bio-Branchenverband "Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft" deutschlandweite Anbauverbote. Agrarminister Christian Schmidt (CSU) hingegen favorisiert einzelne Länderlösungen, da diese rechtlich besser abzusichern wären.

"Für Landwirtschaftsminister Christian Schmidt ist der Weg zu rechtssicheren bundesweiten Gentechnik-Anbauverboten mit den Gutachten geebnet", argumentiert BÖLW-Vorsitzender Felix Prinz zu Löwenstein in einer Presseaussendung unter Bezugnahme auf zwei umfassende Rechtsgutachten die vom Umweltbundesministerium in Auftrag gegeben worden waren.

Die sogenannte Opt-out-Regelung wurde im Januar 2015 - nach Jahren des Ringens - auf EU-Ebene beschlossen und soll Verbote in den einzelnen Mitgliedsstaaten erleichtern. Die Regelung wurde teilweise als "Befreiungsschlag" gewertet, zumal bislang Anbauverbote nur dann möglich waren, wenn Länder aktuelle Studien einreichten, die Umwelt- oder Gesundheitsgefahren aufzeigten. Gentech-Kritiker befürchten allerdings einen "Flickenteppich" in der europäischen Landwirtschaft. So zitiert das Portal Keine-gentechnik.de beispielsweise den EU-Abgeordneten Martin Häusling (Grüne), der von "einem trojanischen Pferd" sprach:

Diese Regeln werden den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen in der EU leichter machen und zu einem europäischen Flickenteppich bei der Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen führen, in einem Land mit, in einem Land ohne Gentechnik. Das birgt die Gefahr einer weiteren Ausbreitung von gentechnisch verändertem Material etwa auf dem Transportweg durch EU-Länder, die sich klar gegen diese Agrartechnologie ausgesprochen haben.

Martin Häusling

In Deutschland stockt derzeit der Prozess der Umsetzung der EU-Regelung in nationales Recht. Umweltverbände ebenso wie die Bio-Branche versuchen, sich mit ihrer Forderung nach einem bundesweiten Anbauverbot durchzusetzen. Das hat Agrarminister Schmidt bisher abgelehnt. In einem ausführlichen Beitrag auf der Website des Ministeriums verweist man unter anderem darauf, dass "zwingende Opt-out-Gründe am besten von den Ländern rechtssicher erfüllt werden können". Nach den kürzlich bekannt gewordenen Rechtsgutachten, erstellt für das Bundesamt für Naturschutz, sieht man das in der Bio-Branche anders.

Pluralismus und legitime Gründe

Eine rechtliche Einschätzung wurde von der Kanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll. erstellt, für das zweite Gutachten zeichnet Prof. Dr. Gerd Winter von der Universität Bremen, Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht, verantwortlich. Beide Dokumente sind sehr umfassend und zeigen die komplexen zu beachtenden Regelmechanismen auf. Zudem werden Freiräume, die mit der Opt-out-Regelung entstehen, ausgelotet. Mögliche legitime Gründe für ein Anbauverbot einzelner GVOs wären nach Winter unter anderen nach "Art. 26b Abs. 2 RL 2001/18/EG auf: a) umweltpolitische Ziele; b) Stadt- und Raumordnung; c) Bodennutzung; d) sozioökonomische Auswirkungen; e) Verhinderung des Vorhandenseins von GVO in anderen Erzeugnissen unbeschadet des Artikels 26a; f) agrarpolitische Ziele; g) öffentliche Ordnung." Weiter heißt es in dem Gutachten:

Manche Gründe tragen nur regionale oder örtliche Maßnahmen. Je allgemeiner gültig die Gründe sind, desto eher ist eine bundesweite Anbaubeschränkung oder -untersagung zulässig. Zum Beispiel ist für ein umweltpolitisches Ziel des Schutzes der Integrität von Ökosystemen oder ein agrarpolitisches Ziel der Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft nur als eine bundesweite Maßnahme sinnvoll.

Allerdings muss offenbar auch dem Prinzip der Pluralisierung Rechnung getragen werden:

Bei der Interpretation der legitimen Gründe ist der 'effet utile' des Opt-Out-Konzepts zur Geltung zu bringen, nämlich die Ermöglichung, nicht die Verhinderung einer Pluralisierung der Anbauregelung durch die Mitgliedstaaten.

Das Gutachten aus der Kanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll. verweist wiederum auf die "grundsätzliche Zulässigkeit eines Anbauverbotes im gesamten Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates", was sich bereits daran zeige, "dass die Richtlinie dies ausdrücklich zulässt". Aus rechtlicher Sicht scheint es offenbar um die Gewichtung des Schutzziels zu gehen:

Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ist entscheidend, ob ein flächendeckendes Anbauverbot durch das jeweils verfolgte Schutzziel gerechtfertigt ist.

Bund oder Länder?

Wie beide Gutachten belegen, räumt die Opt-out-Regelung den EU-Mitgliedsländern jedenfalls mehr Möglichkeiten ein, Einwände gegen den Anbau von GVOs auf rechtlicher Ebene geltend zu machen. Gentech-Kritiker streben dennoch klare Bundesregelungen beziehungsweise bundesweite Verbote an. Das Portal keine-gentechnik.de fasst die ablehnende Grundhaltung der Szene gegenüber dem aktuellen Vorschlag von Agrarminister Christian Schmidt (CSU) zusammen, der einzelne Länderverbote favorisiert:

Eine 16-fache Verbotsentscheidung würde nach Ansicht von Kritikern jedoch nicht nur zu überflüssiger Bürokratie führen, sondern vor allem zu einem Flickenteppich - gentechnik-anbaufreie Bundesländer neben welchen mit Gentech-Mais (z.B. Sachsen-Anhalt). Verunreinigungen wären dann kaum zu vermeiden, da der Pollen der Maispflanzen von Insekten und Wind über Kilometer verbreitet werden kann - auch über Landesgrenzen hinweg.

Landwirtschaftsminister Schmidt peilt eine Lösung bis Herbst 2015 an. Wenn man auf Bundesebene nicht vorankomme, "sollten die Bundesländer aktiv werden und über den Bundesrat einen eigenen Gesetzesvorschlag einbringen", fordert der Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). "Die Länderkammer kann mit ihrer Initiative verhindern, dass die gentechnikfreie Land- und Lebensmittelwirtschaft ausgebremst wird", so BÖLW-Vorsitzender Felix Prinz zu Löwenstein. Und: "Ein Flickenteppich unterschiedlicher Gentechnik-Verbote in Bayern, Sachsen und Co. käme insbesondere mittelständischen Landwirten und Lebensmittelproduzenten in Deutschland teuer zu stehen. Ausgerechnet die Bauern, die gar keine Gentechnik-Gewächse anpflanzen, müssten allein beim Anbau von Gentechnik-Mais geschätzte Kosten von bis zu 153 Mio. Euro pro Jahr berappen."