Ukrainische Regierung instrumentalisiert den Krieg

Weil man im Krieg mit der Nuklearmacht Russland stehe, müsse die Restrukturierung der Schulden nach den Vorstellungen von Kiew gehen, so Regierungschef Jazenjuk

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Die ukrainische Regierung scheint mit dem Rücken zur Wand zu stehen und riskiert, um einer drohenden Pleite zu entgehen, Kreditgeber zu verprellen. Seit langem verhandelt die Ukraine mit dem IWF um eine "Restrukturierung der Schulden" und hofft auch darauf, weitere Kredite zu erhalten, selbst wenn die Gläubiger nicht bedient werden können. So hat die ukrainische Regierung Ende Mai ein bis zum Juli 2016 gültiges Gesetz beschlossen, das Präsident Poroschenko die Möglichkeit lässt, die Zahlungen an die Kreditgeber aussetzen zu können. Insgesamt ist das Land in Höhe von 68 Milliarden US-Dollar verschuldet und bräuchte mindestens 40 Milliarden an Krediten, der IWF hat aber nur 17,5 Milliarden, die EU, die USA und andere Geber 7,5 Milliarden für die nächsten 4 Jahre in Aussicht gestellt. Mit 15 Milliarden sollen Schulden beglichen, mit 10 Milliarden die ausländischen Geldreserven aufgestockt werden, um den rasanten Verfall der Währung zu stoppen. Es reicht also hinten und vorne nicht.

Regierungschef Jazenjuk in Washington. Bild: kmu.gov.ua

Restrukturierung heißt vor allem, dass die ukrainische Regierung auf einen Schuldenerlass setzt. Dabei pokert die ukrainische Regierung hoch und stellt damit die griechische Regierung in den Schatten. So erklärte Regierungschef Jazenjuk nach einem Treffen mit der IWF-Chefin Lagarde, dass die Ukraine die Schulden, auch die an private Gläubiger, nach ihren Vorschlägen restrukturieren wolle. Einer der Vorschläge eben ist, den Großteil der Schulden an private Gläubiger abzuschreiben, um der Ukraine zu helfen, worüber die nicht erfreut sind. Aber auch der IWF, die US-Regierung und das US-Finanzministerium müssten sich bewegen.

Jazenjuk zieht wieder einmal die Kriegskarte, was auch zeigt, dass zumindest eine Fraktion der Regierung strategisch an der Aufrechterhaltung des Konflikts interessiert ist, um die Unterstützerländer unter Druck zu setzen. "Ukraine", so Jazenjuk, "befindet sich im Krieg mit einer Nuklearmacht - mit Russland. Es gibt keine andere Option, als die Bedingungen (der ukrainischen Regierung) hinsichtlich der Restrukurierung der Schulden zu akzeptieren und dem Land zu helfen, eine schwierige wirtschaftliche Situation zu überwinden." Andere Formulierungen sind etwa, dass in der Ukraine der Krieg zwischen Russland und dem Westen ausgefochten werde oder dass die Ukraine den Westen vor der russischen Aggressivität schütze. Putin kämpfe nicht nur mit der Ukraine, "sondern mit der ganzen freien Welt", so Jazenjuk in einer anderen Variation. Als das Gesetz über das Moratorium für Kreditrückzahlungen an private Gläubiger von der Rada verabschiedet wurde, sagte Jazenjuk an diese gewandt:

Wenn Sie die Ukraine unterstützen wollen, wenn Sie aufrichtig die ukrainischen Bürger und den ukrainischen Staat willkommen heißen, die unter der russischen Aggression leiden, die unter dem Krieg leiden, die 20 Prozent der Wirtschaft durch die russische Militäraggression auf der Krim verloren haben, wo Zehntausende von russischen Soldaten auf ukrainischem Land herumtrampen, dann helfen Sie uns nicht mit Worten, sondern mit einem Dollar oder eher mit Milliarden von Dollar.

Das werde nicht nur der Ukraine, sondern auch Europa helfen, sagte er. Man darf sich fragen, wie auf ähnliche Forderungen seitens der griechischen Regierung reagiert würde, die ebensowenig wie die jetzige ukrainische Regierung für die Verschuldung verantwortlich ist.

Jazenjuk hatte Ende Mai nicht nur mit Blick auf Russland, sondern auch auf Deutschland und Frankreich noch einmal betont, mit den Separatisten nicht verhandeln zu wollen: "Wir sprechen mit erst dann mit Terroristen, wenn sie hinter Gittern sind. " Das bedeutet im Klartext, dass das Minsker Abkommen nicht umgesetzt werden kann.

Das sagte Jazenjuk am selben Tag, als das ukrainische Finanzministerium nach einer Kreditzusage der US-Regierung Staatsanleihen im Wert von einer US-Milliarde auf dem Markt platziert hatte. Nach dem Abkommen garantieren die USA für die Staatsanleihen. Für die ukrainische Regierung zeigt diese zweite Kreditgarantie der US-Regierung ebenso wie die kurz zuvor erfolgte Makrofinanzhilfe der EU in Höhe von 1,8 Milliarden Euro die wachsende "Unterstützung für die ökonomische Reformpolitik". Beide Hilfen sollen bei der Umschichtung der Kreditlast helfen. Dass die Regierung tatsächlich eine Milliarde US-Dollar mit den von den USA garantierten Staatsanleihen mit nur einem Zins von 1.847% aufnehmen konnten, ist wenig verwunderlich und sagt nichts über das Vertrauen von Investoren in die Ukraine aus.

Nach Gesprächen von Jazenjuk und der Finanzministerin Jaresco mit US-Finanzminister Lew hat der IWF auf einmal zugestimmt, weitere Zahlungen an die Ukraine zu leisten, selbst wenn Gläubiger nicht bedient werden. Im Juli steht die nächste Tranche über 1,7 Milliarden US-Dollar an. Die US-Regierung und die europäische EBRD sind für eine Abschreibung der Schulden, die privaten Gläubiger hingegen, die sich zu einer Gruppe unter der Leitung des US-Investmentfonds Franklin Templeton zusammengeschlossen haben, schlagen einen Aufschub vor und einen Erlass von 500 Millionen US-Dollar, was die Ukraine aber zurückweist.

Trotz der Unterstützung der US-Regierung wächst auch dort die Skepsis gegenüber der ukrainischen Regierung. Gerade ist die UN-Gesandte Samantha Power in Kiew. Sie wirft der Regierung fehlenden Willen vor, schwere Verbrechen wie das Massaker auf dem Maidan oder in Odessa zu untersuchen. Und sie wirft Kiew vor, viele Reformen nur auf dem Papier ausgeführt zu haben. Die großen Probleme, die Macht der Oligarchen, die Korruption und die fehlende Transparenz, würden weiterhin bestehen. Sie betonte auch, es gebe "keine militärische Lösung" des Konflikts", gab keine Erklärungen über die geopolitischen Ziele der russischen Politik und wollte auch nichts dazu sagen, ob ein Besuch von Präsident Obama in der Ukraine gut wäre. Sie verurteilt aber Russland scharf und setzt auf die Sanktionen, die Zeit bräuchten, um zu wirken.