Faschismus in der AfD?

Der Soziologe Andreas Kemper über die "historische Mission" von Björn Höcke, Fraktionschef der AfD im Thüringer Landtag

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Andreas Kemper arbeitet als Doktorand der Universität Münster zum Thema Klassismus. Er publiziert zum organisierten Antifeminismus und zu Klassendiskriminierung. Zuletzt erschien von ihm Rechte Euro-Rebellion. Alternative für Deutschland und Zivile Koalition e.V. und Sarrazins Correctness. Ideologie und Tradition der Menschen- und Bevölkerungskorrekturen.

Herr Kemper, soeben wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Ihre neue Studie "Zur Differenz von Konservativismus und Faschismus am Beispiel der 'Historischen Mission' Björn Höckes (AfD)" publiziert, in welcher Sie dem prominenten Frontmann der AfD die Verwendung von Ideologiefragmenten, Argumentationsstrukturen und Metaphern der Neuen Rechten nachweisen. Was ist darunter zu verstehen? Und wie "rechts" ist die AfD und ist Björn Höcke Ihrer Analyse nach?

Andreas Kemper: Björn Höcke ist Landesfraktionschef der AfD im Thüringer Landtag und gehört zur "unbedingten" jungkonservativen Neuen Rechten um Götz Kubitschek, die einen anderen Staat wollen. Ihrer Ansicht nach befindet sich Deutschland in einem Zustand des Verfalls, aus dem es mit einer konservativen Revolution neu auferstehen muss. Die, wie Höcke argumentiert, "siebzigjährige Neurotisierung" bzw. "Umerziehung" mit ihren "Gesellschaftsexperimenten" müsse endlich beendet werden.

Innerhalb der AfD hat Björn Höcke eine Sammlungsbewegung mit dem Namen "Der Flügel" mit circa 1.800 Anhängern aufgebaut. Kritiker dieser Bewegung wurden aus der Landesfraktion der AfD umgehend entfernt und es gab einen Putsch in der Jungen Alternative gegen den erst kurz zuvor demokratisch gewählten Vorstandssprecher, weil dieser Höcke kritisierte. Daraufhin musste er gehen. Die Ideologie, die Höcke vertritt und für die sein Wirken steht, kann mit der Definition des renommierten Faschismustheoretikers Roger Griffin dabei wissenschaftlich fundiert als faschistisch bezeichnet werden.

Und woran genau machen Sie das fest? Welcher "Ideologien" bedient sich Höcke denn nachweislich und was ist "faschistisch" hieran?

Andreas Kemper: Höcke geht davon aus, dass das "deutsche Volk" "organisch gewachsen" sei und dass mit dem Ende des Nationalsozialismus die Deutschen bewusst neurotisiert und umerzogen wurden und somit den Bezug "zum Eigenen" - gemeint ist dabei wertend eben auch: das Eigentliche - verloren hätten.

Hierdurch degenerierten Land und Volk zunehmend, es herrsche Dekadenz - und zwar in mindestens sechs Bereichen: Die aktuell praktizierte - und bereits jetzt alles andere als menschenfreundliche - Einwanderungspolitik etwa müsse sofort gestoppt werden. Denn "Fremde" könnten in ein "organisch gewachsenes" Volk nicht integriert, sondern von diesem bestenfalls "assimiliert" werden. "Assimilation" setzt dabei eine hundertprozentige Anpassung der Fremden voraus und dürfe auch nur auf Einzelfälle beschränkt werden. Alle, die sich nicht "assimilieren" lassen, müssen raus, "und zwar schnell".

Da Deutschland sich in einer "demografischen Katastrophe" befinde, müsse eine "aktive Bevölkerungspolitik" betrieben werden. Die aktuelle Familien- und Geschlechterpolitik sei "dekadent". Um eine "Drei-Kinder-Familienpolitik" durchführen zu können, müsse "Gendermainstream aus den Schulen und Hochschulen vertrieben" werden. Und es müsse zurückgekehrt werden zur "natürlichen Geschlechterordnung", die vermittels ihrer "Polarität der Geschlechter" unsere "Hochkultur" erst ermöglicht habe. Homosexuellen gehe es ohnehin nur um Sex; und derlei "perversen" "Geisteskrankheiten" sei die Unterstützung zu entziehen.

Regelrecht provoziert würden diese durch den aktuell praktizierten Politikstil der "politischen Korrektheit", die verunmögliche, dass das Richtige und Wahre vertreten und endlich angegangen werden könne. Die aktuelle Demokratie sei entartet. Wir bräuchten daher einen neuen Politikertypus, der mit seiner Vaterlandsliebe die Anlagen des Volkes entfache. Beispielsweise, um das "Dekadenzproblem" der "Lethargie" mit seinem unbezahlbaren Sozialstaat zu lösen.

Der Sozialstaat müsse zusammengestrichen werden und durch eine organische Wertegemeinschaft ersetzt werden. Man bräuchte eine "organische Marktwirtschaft". So müsse auch der degenerierte, entartete, weil zinsbasierte Kapitalismus beendet werden. In der NPD nennt sich das Alternativmodell hierzu dann "raumorientierte Volkswirtschaft". Schließlich seien auch die Experimente in der Bildung zu stoppen, statt dieser gehe es vielmehr um die Etablierung einer "positiven Unterordnungsfähigkeit". Inhaltlich möchte der Geschichtslehrer Höcke dabei die deutsche Geschichte "anders" erzählen und fordert beispielsweise die Abschaffung des Volksverhetzungsparagraphen 130 des Strafgesetzbuches.

Andreas Kemper. Bild: priv.

Und das ist sozusagen "gefährlicher" als anderes in der AfD oder in anderen Parteien jenseits der NPD? Warum?

Andreas Kemper: Zum einen geht es um ganz konkrete Dinge: Björn Höcke sitzt im NSU-Untersuchungsausschuss des Landes Thüringen. Dabei hat er Kontakte zum mehrfach vorbestraften Neonazi Thorsten Heise, der seinerseits Kontakte zum NSU-Umfeld hat. Höcke nutzt seine Fraktionsarbeit hier gezielt zum Aufbau einer völkischen Erneuerungsbewegung. So provozierte er etwa in Buchenwald, wollte laut ZDF mit Fraktionsgeldern den völkisch-neurechten Antaios-Verlag unterstützen und organisiert unter dem Schlagwort "Kyffhäusertreffen" an historischen Orten des deutschen Nationalimperialismus Versammlungen des rechten Flügels der AfD.

Und er arbeitet eben ideologisch. Die Neue Rechte benutzt bewusst inzwischen längst ein anderes Vokabular als der Faschismus aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Statt von "Rassen" spricht Höcke ebenso wie sie von "ethnopluraler Diversität", statt von "Krebszellen" von "Mehltau" - das ist eine Pflanzenkrankheit, die auf zellulärer Ebenen die Pflanzen aussaugt -, statt von "gesundem Volksempfinden" von "gesundem Menschenverstand", statt von "völkischer Kraft" von "identitärer Kraft". Er zielt damit darauf ab, moderne faschistische Ideologie salonfähig zu machen und in den Köpfen der Menschen zu verankern, die vielleicht um die Gefahr "des Alten" wissen, das Neue aber kaum richtig einordnen können.

Sein Hauptangriffspunkt ist übrigens eine emanzipatorisch reflektierte Sprache, die von ihm als "Totalitarismus" diffamiert wird. Tatsächlich zeigt allerdings sein Umgang mit innerparteilichen Kritikern, wie totalitär vielmehr er hier ist.

Um aber auf Ihre Frage zurückzukommen: Ja, insbesondere Höcke steht in der AfD für das, was ich meine, wenn ich sage, die AfD sei vor allem eines: eine Alternative zur Demokratie. In Höckes Fall mit einer Ideologie, die als faschistisch bezeichnet werden kann.

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