Bilderberger ohne Bilder

Geheime Konferenz und Gegenveranstaltungen: Etablierte Medien berichten lieber über ein Flusspferd in Georgien

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Der G7-Gipfel in Elmau produzierte einen Berg an Bildern. Die Bilderberg-Konferenz im nahen Telfs produzierte - ein mediales schwarzes Loch. Gemäß dem Satz von Regis Debray über die Videosphäre, dass "alles, was nicht zu sehen ist, als Nicht-Seiendes, Trugbild oder Fälschung" gelten wird. Es gibt keine Bilder von den Bilderbergern und deshalb gab es kaum eine Berichterstattung über diese geheime Konferenz. Zu Beginn vielleicht ein paar Presseberichte, doch dann wurde schon wieder eine andere bildhafte Sau durch das Dorf getrieben - das aus dem Zoo entkommene Flusspferd von Tiflis zum Beispiel.

Gegensätzlicher hätten sie nicht sein können, die beiden Gipfeltreffen in den Bayerischen und Tiroler Alpen, nur wenige Tage und Kilometer voneinander entfernt. 3000 Journalisten hier, absolutes Schweigen dort. Die Gesellschaft des Spektakels wurde abgelöst durch die Geheim-Gesellschaft der Bilderberger.

Doch zum ersten Mal formierte sich organisierter Protest: Ein breites Bündnis verschiedener Parteien und Gruppen veranstaltete am Freitag in Innsbruck einen Alternativgipfel und am Samstag erlebte die 15.000 Einwohner zählende Tiroler Marktgemeinde Telfs eine Demonstration gegen die Bilderberger.

"Was wissen wir?"

Im Innsbrucker "Treibhaus" ging es gegen das Gefressenwerden des Buchstabens durch das (nichtvorhandene) Bild, ging es um das Auffüllen des medialen schwarzen Lochs durch das Wort. Licht ins Bilderberg-Dunkel brachte dabei Björn Wendt, Soziologe aus Münster, der seine Abschlussarbeit über das geheime Treffen geschrieben hat. Unter dem Titel "Was wissen wir?" referierte er die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema.

Klar ist, dass die Bilderberg-Konferenz eine lange Tradition aufweist, seit dem ersten Treffen 1954 gab es bisher insgesamt rund 2500 Teilnehmer. Und dabei handelt es sich um die Führungsspitzen von Politik, Wirtschaft, Militär - auch Journalisten und der Hochadel ist vertreten.

Stark vertreten ist bei den jüngsten Treffen das Finanzkapital, der Block der Banker ist groß. Und sie konferieren ebenso wie die Superreichen aus Industrie und IT-Branche mit den Spitzen von Organisationen wie der EU-Kommission, der WTO, der IWF, der Nato und der NSA. Finanziert wird das noble Treffen von Konzernen wie Microsoft, Exxon, Coca Cola oder Ford sowie von Privatpersonen.

Die Freiheit der Elite und die große Casting-Show

Das Geheimnisvolle des Treffens ist der ideale Nährboden für Phantasien aller Art und Soziologe Wendt hat nun die verschiedenen Diskurse zur Bilderberg-Konferenz untersucht. Und die reichen von Verschwörungstheorien über die "Elite der Welt" oder "mächtigste Verschwörung des Planeten" bis hin zur Leugnung oder Verharmlosung, man "dürfe sich doch mal als Privatmensch ungezwungen unterhalten".

In den Medien, so der Soziologe, werden die Konferenzen meist unter dem Aspekt der (zurückgewiesenen) Verschwörungstheorie abgehandelt, in der Politik gibt es kritische Standpunkte, die eine mangelnde Transparenz und Lobbyismus kritisieren.

Für Björn Wendt selbst geht es bei den Bilderbergern schon um Machtfragen ("Es ist eine Privatisierung und Re-Oligarchisierung der Politik zu beobachten"), hier würden Personalentscheidungen angebahnt, es gehe um die Macht, Themen zu setzen, hier würde "soziales Kapital", also Beziehungen, der Zugang zu einflussreichen Kreisen und Personen, angehäuft. Es gehe um einen "Raum der Möglichkeiten".

Fragen der Macht, das stand auch bei den anderen Referenten der Alternativveranstaltung auf dem Programm. Die Innsbrucker Politologin Alexandra Weiß thematisierte die zunehmende "Freiheit der Eliten" in dem fortwährenden Siegeszug des Neoliberalismus und der damit einhergehenden Verschärfung sozialer Ungleichheit. Sie forderte die erneute Koppelung des Freiheitsbegriffes an den der Gleichheit.

Der Wiener Wirtschaftshistoriker Hannes Hofbauer sprach vor den Zuhörern über die "Diktatur des Kapitals". Die sei betoniert durch wirtschaftspolitische Weichenstellungen wie dem Investitionsabkommen zwischen den Ländern, die Profite garantierten, dem Fiskalpakt von 2012 oder dem Stabilitätsmechanismus in der EU - eine Selbstentmachtung der Politik.

Hofbauer warnte vor "postdemokratischen Verhältnissen" und ihre Auswirkungen auf der kulturellen Ebene, etwa wenn das eigene Ich zur Marke würde, die man zu Markte tragen muss. "Die Casting-Show ist das Modell für diese 'Generation Ego'", so Hofbauer, ein Wettbewerb aller gegen alle.

Ausgang aus der Krise nach links oder nach rechts?

Walter Baier, Ex-Vorsitzender der KPÖ, verglich die gegenwärtige Situation mit der Zeit der 1920 Jahre und warnte vor einem erneuten "Krisenausgang nach rechts". Es gebe in der Debatte nicht zu wenig Alternativen, aber zu wenig Analysen der Situation. Man könne etwa 60.000 bis 100.000 Individuen als den personalen Kern der Macht ausmachen und diese Macht sei hierarchisch strukturiert.

Entscheidend sei, ob der Ausgang aus der Krise nach links oder nach rechts erfolgen werde. Klar aber sei, dass mit der künftigen Verschiebung militärischer Bedeutung hin zu Indien und China die geopolitischen Verhältnisse sich änderten. Den Abschluss der Vortragsreihe machte die indische Wirtschaftswissenschaftlerin Jayati Ghosh, die bereits auf dem Alternativgipfel zu G7 in München gesprochen hatte.

Es wundert wenig, dass die Veranstaltung kaum von den Medien besprochen wurde. Und auch die am nächsten Tag stattfindende und sehr lebendige Demonstration von 800 Menschen durch Telfs hatte nur ein kleines Medienecho. Und wenn berichtet wurde, dann gerne in der herablassenden Art, wie Erwachsene dumme Kinder behandeln. So schrieb der österreichische "Standard" (der ansonsten durchaus zu schätzen ist) über die "Freaks des Friedens" in lächerlich machender Manier:

Wenn sich bloß immer alle so lieb hätten. In der eigentlichen Sperrzone vor der Einfahrt des Interalpen-Hotels in Telfs-Buchen wird sich geherzt, getanzt, gesungen, geschunkelt, ‚jetzt gaaanz laut Peace’ - ‚Piiiiiiieeeeesssss’ geschrien. Die vielleicht friedlichste Friedensveranstaltung, die Tirol je gesehen hat.

Ach ja, wer hätt‘s gedacht, der Herausgeber des Standard, Oscar Bronner, ist auch einer der Teilnehmer der Bilderberg-Konferenz.