Londoner Universität beugt sich dem Shitstorm

Der Nobelpreisträger Hunt wurde wegen einer öffentlichen chauvinistischen Bemerkung zum Rücktritt von seiner Honorarprofessur gedrängt. Geht es nicht eine Nummer kleiner?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am 09. Juni äußerte der britische Biochemiker Tim Hunt bei einer Konferenz von Wissenschaftsjournalisten einen Satz, den er nicht mehr vergessen wird: "Lassen Sie mich von meinen Schwierigkeiten mit Mädchen erzählen…drei Dinge passieren, wenn sie in einem Labor zugegen sind…Sie verlieben sich in sie, und auch sie verlieben sich und wenn Sie sie kritisieren, weinen sie."

Einen Tag später informiert die Londoner Universität, bei der Hunt als Honorarprofessor (also ohne Gehalt) beschäftigt war, die Öffentlichkeit über seinen Rücktritt.

Er wurde zum Rücktritt gedrängt, beklagen der geschasste Honorarprofessor und seine Frau, Mary Collins, ebenfalls eine Wissenschaftlerin, eine Immunologin von Rang, so der Guardian. Jemand von der Uni-Leitung habe sie zuhause angerufen und darüber informiert, dass Hunt entweder freiwillig zurücktreten kann oder er werde gefeuert. Noch während ihr Mann im Flugzeug saß, wurde die Rücktrittsmitteilung veröffentlicht, so Collins.

Ich bekam keine Vorwarnung und auch kein Hilfsangebot, obwohl ich seit fast 20 Jahren am University College London (UCL) arbeite. Das hat mir dauerhaften Schaden zugefügt. Wie sie handelten, war unakzeptabel.

Tim Hunt musste auch von seiner Tätigkeit beim Europäischen Forschungsrat (ERC) zurücktreten; die Royal Society verlangte eine ausführliche Entschuldigung von Hunt.

Hunt ist Nobelpreisträger (2001; für Arbeiten zum "Zellzyklus") und damit eine Person öffentlichen Interesses. Sein Satz hat nicht das intellektuelle Format, das man von einem Nobel-Preisträger bei einem öffentlichen Auftritt erwartet. Auch wenn Literaturnobelpreisträger hier immer für Ausnahmen gut sind.

Der 72-jährige Hunt war Teilnehmer eines Lunches, gesponsert von Wissenschaftlerinnen. Er sollte, wie andere bekannte Gäste auch, ein Statement über die Bedeutung von Frauen in der Wissenschaft abgeben. Hunt wollte sein Statement anscheinend aufheitern, was ihm zu einer fatalen Karikatur seiner selbst geriet.

Nach den üblichen Standardsätzen zur Rolle der Frauen in der Wissenschaft, an die sich Ohrenzeugen nicht mehr erinnern, steuerte er das persönliche Erlebnisfeld an: "But maybe I should tell you about my trouble with girls."

Was er dann erzählte, wurde halb zum Geständnis seiner eigenen Tragödien am Arbeitsplatz, halb zum Geständnis seiner eingeengten Sichtweise auf Frauen: "Mädchen, die weinen" (siehe oben). Ach. Auweh. Im Geständnismodus machte er weiter: "Ich bin ein Chauvinist" und, bereits im peinlichen Gelände uferlos verloren, setzte er noch eine Schlusspointe: Er sei für Geschlechtertrennung bei der Arbeit im Labor.

EINFÜGUNG vom 21.Juli 2015: Die Interpretation- Stichworte "halb Geständnis" und "peinliches Gelände" kann so nicht länger aufrechterhalten werden. Wie sich in den Wochen nach der ersten Berichterstattung, die einer Twitter-Nachricht - siehe unten im Anschluss - folgte, zeigte.

Denn die erste Berichte fußten allesamt auf einer tendenziösen Wahrnehmung, die alles darauf setzte die Peinlichkeit der Bemerkung Hunts herauszustellen - und dabei völlig außer Acht ließ, dass im Publikum mit Lachen und Heiterkeit auf die Bemerkungen reagiert wurde. Tonaufnahmen, Bildmaterial und Mitschriften des Vortrags bestätigen dies (nachzulesen ist dies en Detail z.B. hier).

Einer preisgekrönten Wissenschaftsjournalistin ging das zu weit, sie twitterte über das peinliche Auftreten des Nobelpreisträgers.

Danach braute sich der Sturm zusammen, dem sich die Universität ergab. Man sei der Gleichheit der Geschlechter in besonderem Maße verpflichtet, heißt es in der Erklärung der Universität zum Rücktritt Hunts:

UCL was the first university in England to admit women students on equal terms to men, and the university believes that this outcome is compatible with our commitment to gender equality.

Es gibt Material von einer Wissenschaftsjournalistin, die darlegt, dass Hunt sich über den Betrag von Wissenschaftlerinnen sehr klar ist und sich nicht mit öffentlicher Anerkennung ihrer Leistungen zurückgehalten hat.

Und es gibt Twitter-Beiträge, die sich darüber entrüsten, dass Hunt erklärte, dass er die Zusammenarbeit mit Frauen als schwierig empfand, weil sie "zu emotional" seien.

#timhunt said that while he meant to be ironic, he did think it was hard to collaborate with women because they are too emotional

Was es offensichtlich nicht gab, ist eine öffentliche Auseinandersetzung der Universität darüber, warum sie in einer von Gefühlen der Entrüstung geprägten Atmospäre zum schärfsten Mittel, dem Entzug des Arbeitsplatzes, griff.

War da nicht etwas, wofür Universitäten stehen: Diskussion, nüchterner, sachlicher Austausch von Argumenten und Kritik im Klima der Gedankenfreiheit und der Nicht-Hast und eben nicht militanter Konformismus und superschnelles Nachgeben bei öffentlichem Druck von Privilegierten?