Elektronikfertigung in Thailand

Chinas Nachbarland bietet niedrigere Löhne und geringere Steuern

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Elektronische Produkte kommen in der allgemeinen Wahrnehmung heute mehrheitlich aus der Volksrepublik China (PRC). So steht es auch vielfach auf den Typenschildern der Produkte, weil die Endmontage oft im Reich der Mitte stattfindet und die großen chinesischen Auftragsfertiger bei ihren Auftraggebern einen guten Ruf besitzen. Die Fertigung vieler Baugruppen und Einzelkomponenten wurde jedoch inzwischen in Länder verlagert, die mit günstigeren Löhnen, größeren Steuervorteilen, geringerer Organisierung ihrer Arbeitskräfte und nach Möglichkeit auch staatlicher Unterstützung bei der Werksansiedelung noch attraktiver sind als Mainland China.

Als vor einigen Jahren der US-amerikanische Festplattenhersteller Seagate, der früher einmal mit einem Werk in der Nähe von Bangkok und 35.000 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber des Landes war, ein neues Werk errichten wollte, gab es einen harten Standortwettbewerb zwischen Thailand und Malaysia, den Malaysia aufgrund größerer staatlicher Zugeständnisse letztlich gewonnen hat. Insgesamt ist Thailand jedoch immer noch ein Schwergewicht bei der Festplattenproduktion. Die geplante Automatisierung der Produktion durch den Einsatz von Fertigungsrobotern hat sich bislang noch nicht durchsetzen können. Offensichtlich sind menschliche Arbeitkräfte bislang doch noch flexibler bei der häufigen Umstellung der Fertigung nach einem Modellwechsel.

Festplatten und Digitalkameras aus Thailand

Bei den konventionellen Festplatten hat Thailand inzwischen einen Weltmarktanteil von etwa 50 %. Die genauen Zahlen lassen sich kaum ermitteln, da sich die Fertigungstiefe der Produktion an den einzelnen Standorten, die sich in Thailand, Malaysia und China konzentrieren, oftmals sehr kurzfristig verschiebt. Zudem übernehmen die Festplattenhersteller zunehmend einzelne Komponentenhersteller, um diese aus der Lieferkette der Wettbewerber zu nehmen. Allein der japanische Nidec-Konzern hat es bislang geschafft, mit einem Weltmarktanteil von etwa 70 % bei den Festplattenmotoren eine monopolartige Stellung zu erreichen. Die weitaus meisten Motoren werden heute im Nidec-Werk in Pathum Thani nördlich von Bangkok produziert.

Die drei großen verbliebenen Hersteller von konventionellen Festplatten, Seagate Technology, Western Digital und Toshiba Storage Device, produzieren inzwischen alle in Thailand, weil sich die Produktion dort als äußerst kostengünstig herausgestellt hat. Waren es zu Beginn (1988) in erster Linie die geringen Löhne der Arbeitskräfte, die zuvor von der Landwirtschaft und später von der Textilindustrie freigesetzt wurden, die in billigere Nachbarländer abwanderte, so kam seit Mitte der 1990er-Jahre die gezielte Ansiedelung von Zulieferbetrieben als Standortvorteil hinzu.

Gelockt wurden ausländische Investoren, welche das benötigte Know-How mitbrachten, durch das staatliche Board of Investment (BOI) mit Zollreduzierungen auf eingeführte Fertigungsanlagen und Vormaterialien sowie mehrjährigen Steuerbefreiungen (Tax Holidays) und günstigen Produktionsausfallversicherungen. Zudem förderte der Staat gezielt die universitäre Ausbildung von lokalen Führungskräften. Daneben erhielt Thailand für die Qualifizierung von Arbeitskräften auch Mittel im Rahmen der Entwicklungshilfe. Ein Beispiel hierfür ist das Thai-German Institute, das thailändische Arbeitskräfte an deutschen Maschinen qualifiziert. Dort wurden beispielsweise die Mitarbeiter der thailändischen Opel-Fabrik trainiert, welche nach Fertigstellung auf GM/Chevrolet übertragen wurde.

Zu den Hauptprofiteuren der Industrieansiedelungen zählten ganz sicher die Eigentümer der Industrial Estates. Sie konnten billiges (agrarisch nur schlecht nutzbares) Land in den Flussauen in hochwertiges Bauland mit der Erlaubnis zur Industrieansiedlung umwandeln und an meist ausländische Investoren verkaufen oder verpachten. Dass die Lage in unmittelbarer Flussnähe nicht immer optimal ist, konnte man vor wenigen Jahren bei der letzten Flut sehen, die wichtige Produktionen unterbrach oder - wie im Falle des Chip-Packaging von Sony - den Standort mit seinen Reinräumen vollständig verwüstete.

Der thailändische Staat sieht bei den Industrieansiedelungen seinen Nutzen darin, dass das von den Arbeitern in den Industriebetrieben verdiente Geld in den Konsum geht. Aufgrund ihres geringen Jahreseinkommens sind die meisten Beschäftigten in der thailändischen Elektronikndustrie nicht steuerpflichtig. In welchem Umfang der Staat über die Mehrwertsteuer am Konsum verdient, ist ein wohlgehütetes Geheimnis. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass das Arbeitsplatzangebot den gewaltigen Druck reduziert, der von den Menschen ausgeht, die früher ihr Auskommen als Tagelöhner in der Landwirtschaft hatten, dort aufgrund der zunehmenden Mechanisierung jedoch nicht mehr benötigt werden.

Daran wird sich in den nächsten Jahren wohl nur wenig ändern, weil inzwischen selbst kleinste Reisfelder mechanisch abgeerntet werden. Wo früher 30 Arbeitskräfte drei Tage lang den Reis geschnitten und dann gemeinsam gefeiert haben, fährt heute ein Kubota-Reisernter in wenigen Stunden die Ernte ein. Aufgrund des intensiven Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur mit Fernstraßen, werden immer mehr Fabriken, die heute noch ihren Schwerpunkt im 100-Kilometer-Umkreis um Bangkok haben, ins Hinterland (Up-Country) verlagert. Hier profitiert vorwiegend das Umland der neuen Autobahnen, die über Laos nach China führen. Dort sprießen neue Fabriken wie Pilze aus den Reisfeldern.

Arbeit in der Produktion

Produziert wird zumeist in zwei Schichten. Für eine Tagschicht von 6:00 bis 14:00 Uhr betrug der übliche Monatslohn in der Vergangenheit etwa 5.000 Baht (40 Baht entsprechen etwa einem Euro). Seit 2013 beträgt der tägliche Mindestlohn 300 Baht und der monatliche Mindestlohn somit etwas mehr als 7.000 Baht. Mit der zwölfstündigen Nachtschicht (18.00 bis 06.00 Uhr) und mit Überstunden und Feiertagsarbeit lässt sich ein Einkommen von etwa 10. bis 12.000 Baht erzielen.

Die Einführung eines Mindestlohns hat inzwischen zu weiteren Betriebsverlagerungen in die billigeren Nachbarländer Myanmar, Kambodscha und Laos geführt. So hat der japanische Kamerahersteller Nikon, der im thailändischen Ayutthaya seine weltweit größten Fabriken betreibt, einen Teil seiner Komponentenfertigung nach Laos ausgelagert.

Die meisten Fertigungsmitarbeiter (bis zu 90 % der Beschäftigten) in der thailändischen Elektronikindustrie sind Frauen im Alter von 18-31 Jahren. Sie werden üblicherweise im agrarisch geprägten Norden und Nordosten des Landes angeworben und leben, solange sie in der Fertigung arbeiten, zumeist in Unterkünften in der Nähe der Fabrik. Nur zum thailändischen Neujahrsfest Songkran kehren sie Mitte April in ihre Heimatdörfer zurück. Die Kinder der Arbeiterinnen leben üblicherweise getrennt von ihren Müttern bei den Großeltern, die selbst ihre Kindheit noch zu einer Zeit verbrachten, als es in vielen Dörfern weder Strom noch fließendes Wasser und schon gar kein Telefon oder Fernsehen gab. Insgesamt schätzt man die Zahl der Arbeitskräfte in der Elektronik-Industrie Thailands auf 500.000. Die Hälfte davon sollen Leiharbeiter sein.

Es hat sich in der Vergangenheit offenbar häufiger gezeigt, dass Schwangere ihre Schwangerschaft so lange wie möglich verbergen, um durch Nachtschicht und Überstunden etwas Geld für den Nachwuchs auf die Seite legen zu können. Die Schulbildung ist zwar im Grunde kostenfrei, dies gilt jedoch nur für die teilweise sehr schlecht ausgestatteten Dorfschulen für die ersten sechs Jahre. In der nächsten Stadt liegen das Schulgeld und die Kosten für die wochentäglich wechselnden Schuluniformen und die Unterrichtsmaterialien zumindest für ein ortsfremdes Kind dann bei etwa 14.000 Baht pro Jahr. Die Schulpflicht gilt in Thailand nur für die sechsjährige Primary School. Die fakultative Secondary School umfasst wie die erste Stufe ebenfalls 12 Semester zu je fünf Monaten. Schulferien gibt es zum Jahreswechsel im Frühjahr und traditionell zur Reisernte im Herbst.

Warum sich die meisten Beschäftigten mit den niedrigen Löhnen zufrieden geben, liegt einerseits daran, dass praktisch alle Arbeitgeber für angelernte Kräfte nur geringe Löhne bezahlen und das Ausbildungsniveau auf dem Land noch immer eher bescheiden ist. Somit gibt es kaum Alternativen für die Beschäftigten, und da viele Arbeiter, sobald sie über ein regelmäßiges Einkommen verfügen, sich auch ein neues Moped zulegen wollen, kommt eine weitere Einschränkung hinzu:

Das Moped muss in Raten abbezahlt werden und somit sind sie auf das Arbeitseinkommen dringend angewiesen. Kämen sie mit den Raten in Verzug, so würde der Traum zerplatzen, da das Fahrzeug vom Verkäufer eingezogen würde. Dadurch stehen viele Beschäftigten unter massivem Druck, sich nicht mit Streiks für höhere Löhne einzusetzen. Auf der anderen Seite besteht für den Arbeitgeber in Ausnahmesituationen wie der Flut im Jahre 2011 das Risiko, dass er ohne Lohnfortzahlung mit der schnellen Abwanderung der Arbeitskräfte rechnen muss.

Die Herstellung der elektronischen Produkte findet vielfach unter Reinraumbedingungen statt, wobei Reinraum sich wohl in erster Linie auf die Zahl der Staubpartikel pro Kubikmeter Luft bezieht. Was man auf Bildern aus den Fertigungsanlagen sieht, erscheint hell, kühl und sauber. Dämpfe von Klebstoffen und Reinigungsflüssigkeiten sieht man auf den Abbildungen natürlich nicht. Entsprechende Absaugeinrichtungen sind aber zumindest bei kleineren Herstellern eher selten. Bei größeren Herstellern soll die Situation besser sein, lässt sich jedoch mangels Zutritt kaum überprüfen.

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