Immer mehr Aufregung um Griechenland

Tsipras. Bild: Wassilis Aswestopoulos

Die EU drängt auf Kapitulation oder Grexit

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Aus Brüssel meldeten die Tagungsteilnehmer der Eurogruppe das mittlerweile übliche, "es gibt keine Einigung" in ihre Heimatländer. Die ebenfalls anwesende Christine Lagarde soll den griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis mit den Worten, "die Chefin der Kriminellen komme vorbei, um Hallo zu sagen", begrüßt haben

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Am Dienstag hatte Alexis Tsipras bei seiner Rede vor der SYRIZA-Fraktion, dem IWF kriminelles Handeln vorgeworfen. Varoufakis hatte dagegen beim gleichen Anlass erklärt, dass die griechische Seite gegenüber den Kreditgebern kein weiteres Entgegenkommen zeigen könnte, da sie schon über das äußerst mögliche an Maßnahmen hinaus gegangen sei. Der Chef der Eurogruppe, Jereon Dijsselbloem spricht mittlerweile unverblümt von der Vorbereitung eines Grexits.

Auch von Seiten Tsipras gibt es wenig Signale, die als Möglichkeit eines Einknickens gegenüber den Kreditgebern gedeutet werden können. Es wurde bekannt, dass sich seine Lebensgefährtin, Betty Baziana, mit der Tsipras seit der Schulzeit ein Paar ist, vom Premier trennen möchte, falls dieser einknickt. In Athen hatte daher, anders als im übrigen Europa, kaum jemand erwartet, dass die Eurogruppe am Donnerstag zu einem Ergebnis kommen könnte.

Kaum waren die Gespräche als gescheitert erklärt worden, gab es die erneute Verlängerung. Nun soll am Montag eine außerordentliche Sitzung der EU-Regierungschefs versuchen, den sich allem Anschein nach immer mehr abzeichnenden Grexit zu verhindern.

Tatsächlich ist in den Euro-Verträgen kein Notausgang vorgesehen. Das bedeutet in der Praxis, dass über eine Schließung der griechischen Banken diskutiert wird. Denn so könnte man von EU-Seite aus gesehen, die Griechen in die Knie zwingen. Entsprechende Meldungen wurden bereits am Donnerstagabend kolportiert. Aus Kreisen der EZB hieß es, dass die griechischen Banken am Freitag geöffnet bleiben, für den Montag sei man sich jedoch nicht mehr sicher.

Die immer panischeren Meldungen internationaler Medien haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Gestern sollen Inhaber griechischer Konten knapp eine Milliarde Euro abgehoben haben. Die griechische Zentralbank schickte daher ein SOS an die EZB-Zentrale in Frankfurt.

Der ehemalige Finanzminister Yanis Stournaras bat in seiner jetzigen Funktion als Notenbankchef um drei Milliarden Euro Liquidität. Die Meldung wurde noch am Abend sowohl von der griechischen Zentralbank als auch von der EZB mehrfach dementiert, ist jedoch nach dem aktuellen Stand der Recherchen griechischer Medien wahr.

Insgesamt flossen am Montag 300 Millionen Euro, am Dienstag 550 Millionen Euro, am Mittwoch 950 Millionen und am Donnerstag eine Milliarde Euro von griechischen Konten ab. Obwohl Alexis Tsipras am Donnerstag zum Staatsbesuch in Russland weilte, reagierte das Amt des Premierministers umgehend.

Das Megaron Maximou beschuldigt nicht näher benannte "Interessenkreise", dass diese mit einer Panikkampagne für den immer größeren Bankrun sorgen würden. Derweil sucht Tsipras Parteikollegin Zoe Konstantopoulou eilig einen weiteren Weg, um die Verhandlungsposition ihres Premiers zu stärken.

Der "Ausschuss der Wahrheit"

Im Parlament versammelte sich am Donnerstag ein Großteil der Journalisten für Politik. Zoe Konstantopoulou, Parlamentspräsidentin und Ausschussvorsitzende des Ausschusses für die Wahrheit der Schuldenfrage, hatte zu einer Pressekonferenz geladen. Der Ausschuss hatte seine Arbeit erst im April aufgenommen.

Aufgabenstellung war es, die Wahrheit über das Entstehen aber auch die Beträge des griechischen Schuldendramas herauszufinden. Zoe Konstantopoulou mobilisierte für dieses Unterfangen zahlreiche internationale Experten und vertraute zudem den Erfahrungen von Professor Eric Toussaint.

Toussaint ist Experte für die Verschuldung von Staaten der Dritten Welt und das Handeln der Weltbank sowie des IWF. Sämtliche externe Mitarbeiter des Ausschusses arbeiteten pro bono, sie bekamen keinerlei Honorar.

In Rekordzeit kam der Ausschuss zu einem vorläufigen Ergebnis. Demnach sind die Konstrukte des so genannten Euro-Rettungsschirms bewusst kompliziert gestaltet worden, damit nicht leicht erkennbar ist, dass die Hilfskredite vor allem die Banken retten sollten.

Gemäß den bei der Pressekonferenz vorgestellten Ergebnissen ist zum Beispiel der ESM nur deshalb eine privatrechtliche AG, weil damit demokratische Kontrollmechanismen umgangen werden könnten.

Kurzum, das Komitee ließ am gesamten Euro-Rettungsschirm kein gutes Haar. Weil zudem zumindest ein Teil der griechischen Schulden illegal, das heißt durch Korruption unter Beteiligung ausländischer Konzerne zustande gekommen sei, seien diese Schulden und die folgenden Konsequenzen illegal. Zudem, so Zoe Konstantopoulou, verstoße die aktuelle Praxis der Kreditgeber gegen die Menschenrechte.

Die anwesenden Experten betonten in ihren Ausführungen, dass die verordneten Sparmaßnahmen eindeutig das Gesundheits- und Sozialsystem in einem Maße schädigen würden, dass dadurch der Tod von Menschen billigend in Kauf genommen wurde. Konstantopoulou äußerte sich zufrieden darüber, dass ihr Abschlussbericht der Regierung eine weitere Handhabe geben würde, um zumindest auf EU-Ebene auf Vertragserfüllung der Europäischen Charta zu pochen.

Zum Ende der Pressekonferenz referierte Konstantopoulou über die Medien. Vor allem den größeren Medienkonzernen im Land warf sie kampagnenartigen Journalismus und Propaganda vor. Während Konstantopoulou noch referierte hatten sich vor dem Parlament knapp 10.000 Menschen versammelt und brüllten unter anderem, dass eine nicht erfolgende Kürzung der Renten, das Land in die Rezession stürzen würde.

Die Demonstration für Sparmaßnahmen

Für den Donnerstagabend hatte eine Gruppe um den Fraktionssprecher der Nea Dimokratia, Adonis Georgiadis, die Athener aufgerufen, für den Sparkurs, für den Euro und für die EU zu demonstrieren. Aus der anfänglich belächelten Initiative entwickelte sich ein Massenprotest.

Mit perfekt vorgedruckten Plakaten und Bannern sammelten sich zahlreiche Bürger der oberen Mittelschicht auf dem Syntagmaplatz. Unter der Rädelsführerschaft vom Fraktionssprecher der Nea Dimokratia, Adonis Georgiadis und mit Mithilfe des wütend auf die Wachbeamten einbrüllenden ehemaligen Marineministers und Parteikollegen Georgiadis, Militiadis Varvitsiotis überrannten die Demonstranten das Grab des unbekannten Soldaten am Fuß des Parlaments.

Pro-Sparkurs-Demonstration. Bild: Wassilis Aswestopoulos

Sie durchbrachen auch den letzten Polizeikordon, der aus einem halben Dutzend uniformierter Beamter ohne jegliche Tränengasausstattung bestand. In Windeseile waren knapp 1.000 Protestler im Vorhof des Parlaments. Sie verlangten harte Sparmaßnahmen, die Kürzung der Renten, die Anhebung der Mehrwertsteuer, Eliteschulen, die Unterschrift Tsipras unter die Forderungen der Kreditgeber sowie das Abdanken des Premiers. Die Demonstranten zogen kurz nach 22 Uhr ab, kündigten aber ihr Wiederkommen für den Freitag an.

Kleine Demonstrationen der Linken und Anarchisten

Eine Demonstration anarchistischer Gruppen, die kurz zuvor nur wenige hundert Meter vom Parlament entfernt stattgefunden hatte, war mit massiver Einsatzpolizeipräzenz, aber ohne Tränengas abgewürgt worden.

Die frustrierten Anarchisten lieferten sich nach ihrem Rückzug ins Autonomenviertel Exarchia kleinere Gefechte mit der dortigen Einsatzpolizei. Wurfgeschosse und Molotowcocktails auf der einen, Blendgranaten und Tränengas auf der anderen Seite lieferten das mittlerweile gewohnte Bild.

Eine ebenfalls für den Donnerstag angesagte Demonstration für die Rechte der Palästinenser im Gaza Streifen war dagegen augenscheinlich kaum beachtet worden. Nur ein kleines Häuflein Hartgesottener versammelte sich bei dem Benefizkonzert vor dem Hauptgebäude der Athener Universität in der Akademias Strasse.

Die untergegangene Nachricht

Im Trubel des Tages ging unter, dass mit Vangelis Marinakis endlich einmal ein Reeder und Oligarch vor den Kadi muss. Der wegen fünf im Zusammenhang mit Wettmanipulationen im Fußball begangenen Kapitalverbrechen angeklagte Marinakis wurde vom Untersuchungsrichter buchstäblich auf Eis gelegt.

Der Präsident und Mehrheitseigner des griechischen Serienmeisters Olympiakos Piräus darf weder das Land verlassen, noch darf er sich mit Fußball beschäftigen. Nur gegen eine für ihn jedoch verkraftbare Kaution von 200.000 Euro konnte er auf freiem Fuß bleiben. Marinakis möchte jedoch weiterhin Präsident von Olympiakos Piräus sein.

Tatsächlich aber muss er in Haft, wenn er irgendeine Entscheidung in Sachen Fußball für seine Mannschaft trifft. Den Verein erwischt es eventuell noch schlimmer. Es droht der Ausschluss aus der UEFA-Championsleague. Was den Fall jedoch besonders pikant macht, ist die politische Dimension. Marinakis ließ seinen Geschäftführer zum Bürgermeister von Piräus wählen, er selbst ist Stadtrat.

Es wurde im Zusammenhang mit den Regionalwahlen 2014 kolportiert, dass der eigentlich rechtsnationalistisch eingeordnete Marinakis einen Handel mit SYRIZA eingegangen sei. Falls dem so wäre, dann dürfte der Deal spätestens jetzt beendet sein. Denn der vor allem aus Kreisen der Sparkursfans gestreuten Legende nach, wurde dem Fußballboss, Reeder und Verleger Straffreiheit für die Wahlhilfe versprochen.