Pilotenversagen oder Attentat?

Jürgen Roth hegt Zweifel an der offiziellen Darstellung des Absturzes der polnischen Präsidentenmaschine 2010 in Smolensk

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Am 10. April 2010 stürzte die Maschine des damaligen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski ab. Alle 96 Flugzeuginsassen - darunter hohe Politiker, Militärs und Geistliche - wurden in den Tod gerissen. Laut offizieller Darstellung ist das Unglück auf einen Fehler des Piloten zurückzuführen, der die Tupolew Tu-154 trotz starken Nebels auf dem Militärflughafen in Smolensk landen wollte. Der Journalist Jürgen Roth stößt in seinem Buch Verschlussakte S. Smolensk, MH17 und Putins Krieg in der Ukraine auf Widersprüche und Unstimmigkeiten und mutmaßt über ein mögliches Attentat.

Herr Roth, was spricht dafür dass der Absturz der polnischen Präsidentenmaschine Folge eines Anschlags war? Welche Umstände und Unstimmigkeiten machen Sie besonders stutzig?

Jürgen Roth: Es gibt letztendlich keine Beweise aber zahlreiche Hinweise und unbeantwortete Fragen, wonach der Absturz nicht wie offiziell erklärt ein Pilotenfehler war. Dazu zählt, dass das Wrack nach einem Tag bereits zerstört wurde und Teile davon entwendet wurden. Die Obduktionen der Leichen wurden in Moskau innerhalb einer so kurzen Zeit durchgeführt, dass eine richtige Autopsie überhaupt nicht stattfinden konnte, um die tatsächliche Todesursache festzustellen. Die Särge wurden anschließend versiegelt und durften in Polen auch nicht mehr geöffnet werden.

Jürgen Roth. Foto: © Econ Verlag

Außerdem wurde im offiziellen Bericht als Absturzursache angegeben, dass das Flugzeug mit einem Flügel in geringer Höhe gegen eine Birke gestoßen wäre, hier gibt es aber Erkenntnisse von Wissenschaftlern wie die des Professor Kazimierz Nowaczyk von der Universität Maryland, dass das Flugzeug aufgrund seiner Berechnungen und die seiner Kollegen nicht in Richtung dieser bewussten Birke geflogen sein konnte. Er ging, wie übrigens andere Wissenschaftler der Akademie der Wissenschaften in Polen davon aus, dass eine Explosion noch vor dem Bodenkontakt mögliche Ursache der Katastrophe war Das Gelände über das die Maschine abstürzte wurde wenig später planiert. Gespräche, die vom Tower aus mit dem Piloten geführt wurden, durften nicht ausgewertet werden.

Weiter wurde Druck von "russischen Autoritäten" auf die Fluglotsen ausgeübt, wie die polnische Regierung später erklärte, wonach die Präsidentenmaschine trotz der schwierigen Wettersituation landen sollte. Vor der Landung wurde ein wegen häufigen Nebels aufgestelltes Präzisions- und Landeradarsystem entfernt. Auch haben Zeugen am Unglücksflughafen in Smolensk vor dem Aufprall der Maschine Explosionen gehört. Es gab zudem keine unabhängigen Ermittlungen, diese wurden federführend von russischer Seite ausgeführt. Bei der Auswertung des Cockpit Voice Recorders kam es zu Manipulationen. Den polnischen Behörden wurde von den Russen untersagt, vor Ort eigene Untersuchungen anzustellen. Es gibt hier auf jeden Fall zu viele Indizien, die der offiziellen Version sowohl der russischen wie der polnischen Seite widersprechen.

"Viele Fragen bleiben offen"

Welche Anzeichen sprechen dafür, dass im Flugzeug eine Bombe explodiert ist?

Jürgen Roth: Hierfür gibt es Indizien, nicht mehr und nicht weniger: Sowohl im Flugzeug wie um das Flugzeug herum wurden Spuren von TNT festgestellt. Das haben unabhängige polnische wie australische Wissenschaftler behauptet und dies gab auch kurzfristig der polnische Militärstaatsanwalt zu. Dann erklärte er jedoch, die Sprengstoffdetektoren hätten sogar bei Margarine und Parfüm ausgeschlagen, dabei sind dies Sprengstoffdetektoren, die auf internationalen Flughäfen standardmäßig eingesetzt werden. Der Hund, welche die Maschine auf Sprengstoff untersuchen sollte, wurde aus dubiosen Gründen abgezogen und es gab Zuladungen in die Präsidentenmaschine, die nicht geprüft worden sind.

Außerdem gibt es einen Quellenbericht des BND, der davon spricht, dass sich mit hoher Wahrscheinlichkeit Explosivstoffe an Bord befunden haben. Bei dieser nachrichtendienstlichen Aussage muss man allerdings vorsichtig sein, weil ich Nachrichtendiensten in aller Regel überhaupt nicht vertraue. Der Bericht bezieht sich jedoch auf zwei außerordentlich hochkarätige Quellen. Auf der anderen Seite frage ich mich, wer diesen Sprengstoff gezündet haben soll und auf welche Weise. Das ist vollkommen ungeklärt. So gesehen bleiben natürlich viele Fragen offen. Aber über sie muss diskutiert werden können.

"Kurz vor dem Anschlag sollte ein Vertrag mit Gazprom abgeschlossen werden"

Welche Motive können Sie für das Attentat ausmachen - und wer soll es Ihrer Meinung nach ausgeführt haben?

Jürgen Roth: Im BND-Quellenbericht, der sich auf eine jeweils hohe polnische und russische Quelle bezieht, werden Agenten des russischen Nachrichtendienstes FSB dafür verantwortlich gemacht. Ich halte diese Quellen für relativ glaubwürdig, glaube allerdings nicht, dass Wladimir Putin diesen Anschlag persönlich in Auftrag gegeben hat. Wahrscheinlicher ist, dass es unabhängige Akteure geben könnte, die zu einem Attentat solchen Kalibers im Stande sind. Allerdings ist nicht klar, wem genau dieser Anschlag gegolten hat, dem Präsidenten Kaczynski, der ein erbitterter Gegner Putins war oder den hohen polnischen Militärs. Sie alle verband ein rigider Anti-Kommunismus und sie alle waren gegen eine Annäherung Russlands an die EU.

Kurz vor dem Anschlag sollte ein Vertrag mit Gazprom abgeschlossen werden, gegen den sich Lech Kaczynski vehement gewehrt hat, weil er zu hohen Belastungen für die polnischen Bürger geführt hätte. Der Vertrag wurde dann nach seinem Tod unterzeichnet, vom damaligen Premierminister Tusk.

Kennen Sie weitere Anschläge von diesem Ausmaß und in dieser politischen Brisanz, die in der heutigen Weltpolitik ausgeführt wurden? Ich muss zugeben, für mich hört sich das schon alles ein wenig nach James Bond an ...

Jürgen Roth: Politische Attentate, obwohl sicher nicht in dieser Größenordnung, hat in der Vergangenheit eher der CIA ausgeführt. Lateinamerika in den siebziger und achtziger Jahren bietet guten Anschauungsunterricht. Allerdings wurde 1999 Russland vor dem Amtsantritt von Wladimir Putin von einer Anschlagswelle heimgesucht, für die man von Regierungsseite aus tschetschenische Terroristen verantwortlich machte, wo aber der FSB seine Hände mit ihm Spiel hatte, der seinerzeit wiederum von Putin geführt wurde. Darüber schreibe ich ja auch in meinem Buch. Diese Anschlagsserie war ein wichtiger Grund, warum Putin in das Präsidentenamt gewählt wurde. Was folgte war ein brutaler Vernichtungskrieg gegen die Tschetschenen, der gleichzeitig zu einer hohen Zustimmung für Wladimir Putin führte, der zuvor eigentlich wenig bekannt war.

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