Leider eine ganze normale Stadt in Sachsen

Blick auf Freital. Ausschnitt aus einem Panoramabild. Foto: Kolossos/CC BY-SA 3.0

Eine Reportage aus Freital, das mit Neonazi-Protesten gegen ein Asylbewerberheim in die Schlagzeilen geraten ist

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Freital ist ein schöner Ort für Flüchtlinge. Zumindest an diesem Freitagnachmittag auf dem Vorplatz des ehemaligen Hotels Leonardo. "Wenn ich mir das schon einmal anschaue, kann ich ja auch gleich eine Kiste Klamotten mitbringen", sagt Juliane, die "gleich da oben" wohnt. Neben ihr fallen sechs Kinder schreiend über drei Teddys her. Schon wieder hat jemand eine Kiste vorbeigebracht. Fast könnte man den Umgang der Freitaler mit ihren Flüchtlingen zum Vorbild für Sachsen erklären. Wären die, die da kaum 50 Meter entfernt gegen "Asylanten" skandieren, nicht auch Freitaler.

Und würden unten beim Baummarkt-Parkplatz nicht 20 Mannschaftswagen voll mit sächsischen Bereitschaftspolizisten warten, wegen der anderen Art und Weise, auf die Freitaler in den letzten Wochen ihre Flüchtlinge willkommen hießen. Als Menschen, die in Freital Schutz suchten, die Faust von Freitaler Neonazis fanden. Als sie täglich vor der Flüchtlingsunterkunft gegen ihre neuen Nachbarn protestierten. Als Flaschen und Böller flogen. Als 24 Jahre nach Hoyerswerda angereiste linke Aktivisten den Job der Polizei übernehmen mussten.

Aber von all dem ist am Freitagnachmittag noch kaum etwas zu spüren. Federball. Umarmungen. Straßenmalkreide. Alles wirkt wie ein kleines Straßenfest unter neuen Nachbarn und nicht wie die Vorbereitungen zu einer Kundgebung, die vor allem dem Zweck dient, die neuen vor den alten Nachbarn zu schützen.

"Die Leute werden indoktriniert"

"Freital hat kein Flüchtlingsproblem. Die Flüchtlinge haben ein Freital-Problem", sagt der 16-jährige Nico. Er und seine 15-jährige Freundin Laura organisieren im lokalen Aktionsbündnis den Protest. "Den meisten Freitalern ist es egal", sagt Nico. "Das kotzt mich richtig an", sagt Laura und meint, dass schon Grundschulkinder in Freital "über die bösen Flüchtlinge" redeten. Auch sie seien diese Woche schon mit Flaschen beworfen worden. "Die können sich nicht vorstellen, warum wir das machen, die halten uns alle für indoktriniert", sagt Laura.

"Die Leute werden indoktriniert", sagt einer mit einer Fahne aus den deutschen und russischen Farben in der Hand. Rund 70 Meter, zwei Reihen Mannschaftswagen und rund ein Dutzend Bereitschaftspolizisten trennen ihn von der Flüchtlingsunterkunft. "Wir sind ein stolzes Volk, das sich nicht spalten lassen darf. Eigentlich müssten wir alle gemeinsam vor das Rathaus marschieren", sagt der junge Mann, der seinen Namen nicht verraten will. Gegen Flüchtlinge habe er nichts, "aber dagegen, dass Deutschland immer noch ein Vasall der USA ist."

Warum er dann mit Neonazis und anderen Rassisten gegen Flüchtlinge protestiere? "Hier sind keine Nazis, das versichere ich Ihnen", lautet seine Antwort. Rund zehn Minuten später begrüßt er einen Kumpel in "I love NS"-Shirt.

"Wir sind vor dem Krieg geflohen sind und nicht, um den Menschen etwas wegzunehmen"

Von 100 auf 400 wurde die Zahl der Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung im ehemaligen Hotel Leonardo in den letzten Wochen aufgestockt. Von einer "Nacht und Nebelaktion" reden die Kritiker. Eine "Bürgerwehr 360" will in der Stadt sexuelle Übergriffe durch Flüchtlinge überwachen.

Im Bündnis "Freital wehrt sich" wenden sich hunderte Freitaler gegen das, was sie für "Asylmissbrauch" halten. In Facebook-Gruppen wird täglich zur Gewalt aufgerufen. Mit Folgen. Steine zerschlugen Fenster. Böller detonierten. Ein Marokkaner verließ Deutschland, nachdem er von Freitalern bewusstlos geschlagen wurde. Am nahe gelegenen Bahnhof prügelte Ende Mai rund ein Dutzend Neonazis auf einen Flüchtling ein.

Foto: Fabian Köhler

Einer der Freital-Flüchtlinge ist Mohammad aus Damaskus. Er floh vor der Gewalt in Syrien. Nun steht er mit einem seiner Kinder am Bolzplatz hinter dem ehemaligen Hotel. "Wir finden es schön hier. Aber die Leute, die etwas gegen uns haben, sollen verstehen, dass wir vor dem Krieg geflohen sind und nicht um den Menschen etwas wegzunehmen."

Können Sie das? In einer Stadt, in der selbst der Oberbürgermeister die Argumente der rechten Demonstranten aufgreift. "Sanktionen gegen pöbelnde und gewalttätige Asylbewerber" hat der im Juni zum Oberbürgermeister gewählte Uwe Rumberg im Wahlkampf gefordert. Auch Noch-Amtsinhaber Klaus Mättig (beide CDU) hat sich lange gegen die Flüchtlingsunterkunft eingesetzt.

"Der Oberbürgermeister ist einfach politisch abgetaucht. Die ganze Politik ist scheiße", sagt Michael Richter. Der Linke-Stadtrat hat die letzten Kundgebungen für die Flüchtlinge angemeldet. Ob er sich Sorgen um das Image seiner Stadt mache? "Das Image von Freital kann man nicht mehr versauen, dafür laufen längst zu viele sogenannte besorgte Bürger herum."

Immer noch reißen Kinder vor dem Hotel euphorisch neue Kisten auf. So langsam füllt sich der Platz, verwandelt sich das Straßenfest in eine Kundgebung. Busse haben Unterstützer aus Berlin, Frankfurt und Leipzig gebracht. Rund 500 sind es. Schon mehr als jene Flüchtlinge, die die 40.000-Einwohner-Stadt nicht verkraften soll.

Drei Hitlergrüße, zwei "Sieg-Heil-Rufe"

"Ayayayo Hurensö-öhne", grölt eine Gruppe aus rund 50 Hooligans jenseits der Polizeiabsperrungen und mischt sich unter Applaus der "normalen Freitaler Bürger" in die Anti-Asyl-Kundgebung. Gegen Frauen und Kinder habe er nichts, "aber es kommen nur junge Männer", erklärt ein junger Mann in schwarzer Jacke und Basecap seinen Grund, heute hier zu sein. Nein, er sei noch nicht im Heim gewesen, um nachzusehen.

"Aber ein Kumpel wurde mal von denen bedroht", sagt er und stimmt ein in "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen" und "Kriminelle Ausländer raus, raus, raus". Linksfaschist. Lügenpresse. "Deine Alte haben wir letzte Nacht durchgefickt". Wer nach echten Sorgen der "besorgten Bürger" sucht, bekommt kaum andere Antworten. Nein, Freital hat kein besonderes Problem mit Nazis, da sind sich selbst lokale Unterstützer der Flüchtlinge sicher. Es ist das übliche Nazi-Problem Sachsen. Mindestens drei Männer zeigen an diesem Abend den Hitlergruß, zwei rufen "Sieg Heil".

Vor dem Hotel springt mittlerweile die Hip-Hop-Band "Antilopen Gang" auf der kleinen improvisierten Bühne. Auch sie sind aus Berlin gekommen. Hinter ihnen tanzen Flüchtlinge an den Fenstern ihrer Zimmer. Die eigentlichen Stars des Abends sind fünf kleine Jungs, die aus Damaskus geflohen sind und unermüdlich nun ihren deutschen Unterstützern einheizen. Bis in die Nacht dauert das Straßenfest.

Die Mädchen spielen noch immer Federball. Ein paar Kinder laufen lachend Seifenblasen hinterher. Fast könnte man denken, Freital wäre keine normale sächsische Stadt. Würden die Demonstranten nicht zum Schutz vor Neonazis mittels Polizeieskorte zum Bahnhof gebracht werden müssen. Und würden angereiste Aktivisten nicht über Nacht vor dem Heim bleiben, um die Flüchtlinge vor ihren Freitaler Nachbarn zu beschützen.