NSA-Wirtschaftsspionage: "schmutziges Spiel" in Frankreich

WikiLeaks-Enthüllungen: französische Medien sprechen von einem Wirtschaftskrieg der USA

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Die neuen WikiLeaks-Enthüllungen, die heute von französischen Medien veröffentlicht und kommentiert werden, könnten den TTIP-Verhandlungen ernsthafte Schwierigkeiten bereiten. Es geht nicht mehr nur um Kränkungen unter Partnern oder einen Aha-Effekt (NSA hört auch französische Präsidenten ab). Jetzt fallen Begriffe wie "Wirtschaftskrieg" und "schmutziges Spiel".

Die Dokumente, die auf der WikiLeaks-Seite veröffentlicht werden, sind deutliche Hinweise für Wirtschaftsspionage im ganz großen Stil. Auf einer SIGINT-Anforderungsliste, adressiert an die Five Eyes, findet sich an erster Stelle die Anweisung worüber geheimdienstliches Wissen gesammelt werden soll:

…französische Verhandlungspositionen zu Verträgen, Machbarkeitsstudien und Verhandlungen über internationale Geschäfte, Investitionen in große Projekte, Systeme von bedeutendem Interesse für das Partnerland, Geschäftsverhandlungen, die das Volumen von 200 Millionen übersteigen, wie auch Informationen über die Finanzierung, usw…

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Als Zielfelder von größerem Interesse werden angegeben: Informationstechnologie, Telekommunikation, Technologie allgemein, Energieversorgung, Strom, Gas, Öl, die Infrastruktur für Nuklearenergie und Erneuerbare Energien, Transport, Hafenanlagen, Flughäfen, Schnellzüge, Gesundheitswesen, usw.

Also eigentlich alles. Ein zweites Dokument gibt Auskunft, welche internationalen Beziehungen und internen französischen Abmachungen oder Absprachen, etwa zum Nato-Budget oder im Vorfeld von Gipfeltreffen, Ziele für die NSA und andere Geheimdienste abgeben.

Interessant dazu ist der Umgang der französischen Medien mit diesen Enthüllungen. Während sich Le Monde - bislang - weitestgehend damit begnügt auf den Widerspruch hinzuweisen, der sich aus den WikiLeaks-Dokumenten gegenüber den Beschwichtigungen aus den USA ergibt, wonach die NSA-Überwachungsprogramme dazu dienen, gegen die Terrorgefahr zu schützen, schlagen Libération und Mediapart einen sehr viel wütenderen Ton an.

Beide sprechen von einem "Wirtschaftskrieg" seitens der USA, der sich hier glasklar zu erkennen gebe. Dass Libération und Mediapart schärfer an die Beziehung zwischen Frankreich und USA heranrücken, hat freilich auch damit zu tun, dass sie in Partnerschaft mit WikiLeaks die Dokumenten veröffentlichen.

So findet sich in einem Libération-Artikel auch eine Einlassung Assanges, die einen wunden Punkt in Frankreich anspricht. Laut Assange hat das "schmutzige Spiel der USA" sehr viele Arbeitsplätze in Frankreich vernichtet.

An diesem Punkt, wirtschaftliche Schäden Frankreichs durch die NSA-Schnüffelei, setzt wiederum ein ausführlicher Artikel von Mediapart an. In den NSA-Dokumenten werden zwar Namen von abgehörten Wirtschaftsministern und deren Gesprächspartnern genannt, aber keine Namen von Unternehmen.

Das macht nun Mediapart. Ausgehend von der Annahme, dass die US-Geheimdienste und damit die Regierung gut über Verhandlungspositionen, Kapazitäten, Strategien, Angebote französischer Firmen bei größeren Projekten informiert waren, stellen die Journalisten nun neue Schlussfolgerungen über das Scheitern französischer Unternehmen bei spektakulären Deals an.

So wird zum Beispiel der Niedergang von Alcatel-Alstom, dessen größter Konkurrent General Electric war, in neuem Licht gesehen. Tausende von Arbeitsplätzen seien in Folge der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit von Alcatel-Alstom verloren gegangen. Dabei sei die Unternehmensgruppe, die heute in Stücke liege, einstmals so stark gewesen.

Es gibt sicher viele andere und überzeugende Erklärungen für die Misserfolge von Alcatel-Alstom, aber es ist gut möglich, dass der neue Aspekt ein größeres Gewicht und eine politische Dynamik bekommt. Die Reaktionen der abgehörten Wirtschaftsminister, so etwa Moscovici, oder Wirtschaftspolitiker, zeigen verblüfften, unverhohlenen Ärger.

Es sieht so aus, als ob es der französischen Politik - und der Öffentlichkeit - erst langsam dämmert, wie weit die NSA-Datenkrake und ihr Nutzen für US-Interessen reichen (und das obwohl auch Frankreich in Sachen Wirtschaftsspionage kein unbeschriebenes Blatt ist).