"Wir haben das Streikrecht verteidigt"

Claus Weselsky zum Ergebnis des Schlichtungsverfahrens zwischen seiner Gewerkschaft und der Deutschen Bahn

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Nachdem die Lokführergewerkschaft GdL ein Jahr lang mit der Deutschen Bahn um einen neuen Tarifvertrag gerungen hat, wurde gestern das Ergebnis der Schlichterkommission bekannt gegeben. Telepolis sprach gestern abend darüber mit Claus Weselsky, dem Vorsitzenden der GdL.

Herr Weselsky, was sind Ihrer Ansicht nach die Kernpunkte des Schlichterspruchs?

Claus Weselsky: Der Kernpunkt ist die Verpflichtung der Bahn, mit uns Tarifverträge für alle unsere Berufsgruppen abzuschließen: Wir haben einen Flächentarifvertrag für Lokführer, Zugbegleiter und alle, die wir vertreten haben. Darüber hinaus wurde unsere Forderung nach einer Belastungsreduzierung von Lokführern und Zugbegleitern, die seit Jahren eine Unmenge von Überstunden vor sich her schieben von den Schlichtern als sinnvoll bewertet. Hier haben wir klare Programme, die diese Situation verbessern werden.

Und was konnten Sie nur schwer schlucken?

Claus Weselsky: Was den Zeitpunkt der Absenkung der Wochenarbeitszeit anbelangt, haben wir Kompromisse machen müssen. Diese Regelung wird erst in zwei Jahren, also 2018, in Kraft treten. Das ist sicherlich nicht alles, was wir gefordert haben, aber wir haben es geschafft, unsere Forderung grundsätzlich durchzusetzen. Wir können auch deswegen mit dem Kompromiss leben, weil wir wissen, dass die Absenkung der Wochenarbeitszeit am Ende neue Arbeitsplätze bringen und jungen Menschen Ausbildungsstellen sichern wird.

Wie kommt so ein Schlichterspruch eigentlich zustande: Eruieren die Schlichter vorher bei beiden Parteien, was akzeptiert werden könnte - oder kommt der Spruch als völlige Überraschung?

Claus Weselsky: Die große Überraschung ist, das wir insgesamt fünf Wochen in einem Schlichtungsverfahren gewesen sind und alle Parteien dichtgehalten haben. Es gab keine Fehlmeldungen und keinen Medien-Rummel. Und wir sind nicht einmal mit einer Schlichtungsempfehlung aus den Verhandlungen heraus gekommen, sondern wir haben gleichzeitig unsere Tarifverhandlungen mit der Bahn zuende geführt und konnten heute mit unterschriebenen Tarifverträgen vor die Presse treten.

Des weiteren gab es zwei Vereinbarungen, wovon eine ein ziemliches Gewicht besitzt, weil sie darauf abzielt, dass die Bahn - unabhängig davon, ob das Tarifeinheitsgesetz kommt - die GdL als Tarifpartner anerkennt und mit uns bis 2020 weitere Tarifverträge abschließt.

Claus Wesselsky. Foto: GdL

Welchen Anteil hat Bodo Ramelow am Schlichterspruch?

Claus Weselsky: Wir haben nicht umsonst Herrn Ramelow für uns als Schlichter auserkoren. Ich will aber beiden Schlichtern - also auch Herrn Platzeck - Hochachtung zollen und bescheinigen, dass sie auch mit entsprechendem Druck beide Tarifpartner bewegt und zu einer Kompromisslösung gezwungen haben. Herr Ramolow ist dafür bekannt, dass er in seiner Zeit als Gewerkschaftsvorsitzender durchaus etwas von Tarifverhandlungen versteht, das hat uns sehr geholfen.

Wir haben maßgebliche Verbesserungen beim Entgeltsystem, Belastungsreduzierungen und zusätzliche Einstellungen erreicht, wie auch eine Absenkung der Wochenarbeitszeit vereinbart. Da fiel es uns auch nicht schwer, die lineraren Entgelterhöhungen zu akzeptieren, welche die Bahn bereits mit einer anderen Gewerkschaft ausgehandelt hatte.

"Wir drücken den Postlern die Daumen"

Sie haben mit Ihrer kleinen, aber kämpferischen Gewerkschaft klar gemacht, das es sehr wohl eine Alternative zu "Es gibt keine Alternative" gibt. Dafür ist die Rolle des öffentlichen Buhmanns von Ihnen zu den Herren Tsipras und Varoufakis übergewechselt. Erblicken Sie zwischen dem Kampf der GdL und dem der griechischen Regierung Gemeinsamkeiten?

Claus Weselsky: Das eine ist Politik und das andere ist Gewerkschaftspolitik. Ich möchte hier keinen direkten Vergleich ziehen. Eines haben wir aber klar und deutlich bewiesen: Dass auch eine kleine Gewerkschaft, die in der Lage ist, sich innerlich zu solidarisieren, und auch in schwierigen Zeiten zusammenhält, mit einem Vorsitzenden, der nicht klein beigibt, wenn es ihm selber ein bisschen ans Leder geht, sondern auch im Sturm auf der Brücke stehen bleibt, viel erreichen kann. Wir haben hier eine Schlüsselfunktion und sind zur Zeit Vorreiter in der Gewerkschaftsbewegung. Wir haben das Streikrecht verteidigt und sehen mit Freude und Genugtuung, dass andere Gewerkschaften sich mit fähigen Mitgliedern und einer hohen Solidarisierung jetzt auch in einzelnen Bereichen wieder durchsetzen.

Die Postler wehren sich gegen Lohndumping und Ausspähung im eigenen Konzern. Wir drücken ihnen die Daumen und unterstützen sie, so wie sie uns unterstützt haben. Unser Erfolg ist das Ergebnis einer klaren und anspruchsvollen Gewerkschaftspolitik. So weit gibt es also schon Parallelen zu Griechenland, aber wir sind gewerkschaftspolitisch und nicht parteipolitisch aufgestellt.

Wie beurteilen Sie das sogenannte Tarifeinheitsgesetz? Halten Sie diese Regelung für verfassungskonform?

Claus Weselsky: Wir bezeichnen das Tarifeinheitsgesetz als das Gift im Brunnen. Die Arbeitgeber haben frohlockt und geglaubt, dass sie Berufsgewerkschaften in die Ecke stellen können, weil sie vom Gesetzgeber entmachtet werden. Wir klagen dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht.

Nachdem die Medien so ausgesprochen schlecht über Sie und die GdL berichtet haben: Wie hat denn der Rückhalt in der Bevölkerung Ihrer Wahrnehmung nach ausgesehen?

Claus Weselsky: Es hat eine klare Diskrepanz zwischen der veröffentlichten und der tatsächlich öffentlichen Meinung gegeben. Ich bin die ganzen Wochen in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs gewesen und habe in den Zügen Menschen erlebt, die mich ansprachen und mir die Daumen gedrückt haben.

Was versucht wurde, uns anzudichten, nämlich dass wir einem Streik wegen mir, einem Egomanen, führen, hat sich nicht bestätigt, weil kein Mitglied der GdL dafür streiken geht, dass ich einmal in die Kamera lächeln kann. Sie sind streiken gegangen, weil sie schlechte Arbeitsbedingungen haben und dem Management die rote Karte zeigen wollten. Soweit bin ich zufrieden, obwohl ich mir manchen Eingriff die Privatsphäre nicht gewünscht hätte.

Wann gibt es den nächsten Streik?

Claus Weselsky: Wir haben jetzt auf drei Ebenen Friedenspflicht: Der Entgeltabschluss gilt bis zum 30. 9. 2016, die Arbeitszeitregeln gelten bis 2018 und das Friedensabkommen mit der Bahn, welches besagt, dass, auch wenn wir es nicht schaffen, das Tarifeinheitsgesetz über das Bundesverfassungsgericht zu kippen, weiterhin Tarifpartnerschaft gilt, besteht bis 2020. Außerdem sind die Lokführer und Zugbegleiter, die wir vertreten, auch nicht dafür da, um zu streiken, sondern um pünktlich Züge zu befördern. Das tun sie auch am Liebsten, das können sie jetzt wieder - und deswegen versuchen wir bei der nächsten Tarifrunde mittels Verhandlungen zu einem guten Ergebnis zu kommen.