Das Ende der Zeiten

Stefan Lochner: Weltgericht

Ein Telepolis-Weihnachtsmehrteiler über Christliche Endzeit und Juden - Teil 1

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Endzeit meint in der christlichen Religion die letzte Zeit vor dem "Jüngsten Gericht" Gottes über die Lebenden und Toten. Je nach Glaubensrichtung gehören dazu weitere Vorstellungen wie die Wiederkunft Jesu, die Entrückung der Gläubigen, das Auftreten des Antichrist oder die Schlacht bei Harmageddon. Die Idee von Gericht und Untergang, von Schuld und Strafe beschäftigt seit jeher die Fantasie von Gläubigen, Künstlern und Gelehrten.

Und dies nicht nur im Christentum. Vorstellungen und Bilder des Weltunterganges haben immer Konjunktur, und sie werden von Autoritäten genutzt, um Gläubige, Untertanen oder Staatsbürger zu Schuldgefühlen und Gehorsam zu erziehen.1 Die Vorstellungen allerdings, wie diese Zeit aussehen wird und was geschehen soll, hängen zumindest teilweise davon ab, wovor sich die Menschen gerade besonders fürchten. Die ersten Christen wurden im Römischen Reich unterdrückt - damals entstand die "Offenbarung des Johannes", das Buch der Bibel, in dem manche Evangelikalen die Zukunft der Menschheit zu lesen glauben. Dauerhafte Themen solcher Vorstellungen der Endzeit sind Themen sind Klima und Kriege, Naturkatastrophen, Seuchen, Verbrechen oder Terrorismus.

Mit den Themen des Weltunterganges und des Jüngsten Gerichts beschäftigt sich die "Eschatologie", griechisch für die "Lehre von den letzten Dingen". Sie gehört in der Theologie zur Disziplin der Systematischen Theologie oder Dogmatik.

Die Systematische Theologie ist eine der drei Disziplinen, in denen sich die akademische Theologie auf der einen Seite und die evangelikale oder auch die fundamentalistische2 Theologie auf der anderen Seite grundlegend unterscheiden. Bei den beiden anderen Disziplinen handelt es sich um die Fächer Altes Testament und Neues Testament. (Praktische Theologie und Kirchengeschichte sind weniger heikel.)

Die akademische Theologie arbeitet methodisch strukturiert und nach logisch nachvollziehbaren Kriterien. Im Gegensatz dazu definiert sich evangelikale bzw. fundamentalistische Theologie dadurch, dass die Bibel als Gottes Wort ihre eigene Auslegung lenken soll.3

Diese Unterschiede beeinflussen auch die jeweilige Lehre der Eschatologie. Natürlich gibt es tatsächlich Bibelstellen, die sich auch in der Absicht der Autoren auf das Jüngste Gericht oder das Jenseits beziehen. Aber, grob gesagt, in der akademischen Theologie gelten die biblischen Bücher eher als historisch bedingt und somit meist auf die Zeit der Verfasser bezogen; in der evangelikalen Lehre dagegen können mehr Bibelstellen so ausgelegt, werden dass diese sich nicht oder nicht nur auf die Gegenwart oder die nahe Zukunft der damaligen Autoren, sondern auf das Ende der Welt beziehen sollen. Das letzte Buch der Bibel, die "Offenbarung des Johannes", handelt in dieser Sichtweise demnach weniger von der römischen Herrschaft über frühe Christen, sondern grundsätzlich von bösen Mächten aus dem Jenseits, vom Kampf zwischen Gott und Teufel.

Darum existieren als ein Spezifikum innerhalb des evangelikalen Spektrums Gruppierungen, die sich mit der Endzeit beschäftigen und zum Teil auch in der "Naherwartung" leben, also davon ausgehen, dass diese Endzeit jetzt sei.

In diesem Mehrteiler wird das Thema anhand von vier Aspekten beispielhaft dargestellt:

  1. Der Chiliasmus mit der Unterscheidung zwischen Prämillenarismus und Postmillenarismus als eine weit verbreitete Ausprägung der Vorstellung der Endzeit im Sinne einer Heilsgeschichte.
  2. John Nelson Darby und seine Brüdergemeinden in den USA und Europa als beispielhafte Vertreter der Gruppierungen, die noch heute in einer Naherwartung leben.
  3. Die "Rolle" der Juden in der christlichen Heilsgeschichte als eine Art theologischer Nebenweg von Endzeitvorstellungen.
  4. Der Konflikt zwischen judenmissionarischen Gruppen und der evangelischen Kirche als Beispiel dafür, welchen religions- und kirchenpolitischen Zündstoff solche Nebenwege bergen.

Teil 2: Chiliasmus

Hinweis: Die Recherchen für diesen Artikel wurden durch ein Stipendium der Journalistenvereinigung netzwerk recherche gefördert und betreut. Die Autorin war früher selber Mitglied in einer evangelikalen Freikirche.

Der Text ist außerdem ein Auszug aus einem Telepolis-Mehrteiler über christliche Endzeitvorstellungen. In ihm beschäftigt sich Ulrike Heitmüller unter anderem mit Prämillenarismus, Postmillenarismus und Gruppen in den USA und Europa, die noch heute in einer Naherwartung leben. Außerdem untersucht sie den Konflikt zwischen judenmissionarischen Gruppen und der evangelischen Kirche und zeigt, welch religions- und kirchenpolitischen Zündstoff solche Vorstellungen bergen.