"Warnung an alle Fotografen, bleibt den Kamerateams der Sender fern"

Pro-Sparkurs-Veranstaltung. Bild: W. Aswestopoulos

Griechenland vor dem Referendum und die Rolle der Medien

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Zum aktuellen Stand der Umfragen ist zu vermerken, dass die Befürworter des Sparkurses mit den Gegnern zwei Tage vor der Entscheidung bei drei Umfrageunternehmen auf gleicher Höhe sind. Es wird spannend.

Während am Syntagmaplatz mit Anwesenheit von Premierminister Alexis Tsipras die Abschlusskundgebung zum Nein beim Referendum am Sonntag stattfand, waren zeitgleich ein paar hundert Meter entfernt die Befürworter des Sparkurses am Werk. Sie fanden sich vor dem Kallimarmaro, dem Panathinaiko Stadium, dem Austragungsort der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit, ein.

Bei beiden Veranstaltungen waren zehntausende Bürger anwesend. Gefühlt war die Menge am Syntagmaplatz um ein Vielfaches größer. Allerdings endete die Veranstaltung der Pro-Sparkurs-Demonstranten bereits mit dem Ende der Abendnachrichten kurz nach 22 Uhr. Bei ihnen trat kein hochrangiger Parlamentarier auf. Stattdessen hielten der französisch-griechische TV-Journalist Nikos Aliagas, der Schauspieler Antonis Kafetzopoulos und der Bürgermeister von Athen, Giorgos Kaminis, Reden.

Auf dem Syntagma fanden sich dagegen beliebte Musiker und Theaterschauspieler ein. Der Schauspieler Giorgos Kimoulis rief gar zum Nein beim Referendum auf, indem er die aktuelle Lage der Griechen mit dem Elend der Flüchtlinge im Mittelmeer verband. "Nein zum Europa der finanziellen Versklavung und der Ertrunkenen an den hermetisch dichten Grenzen", schloss er seine Rede.

Der Höhepunkt des Abends war eine sehr emotional gehaltene Rede Alexis Tsipras. Er rief erneut für ein Ja zu einem Europa der Bürger und Nein zu der Austeritätspolitik der EU/EZB/IWF-Institutionen auf. Den meisten griechischen Fernsehzuschauern blieb indes die Veranstaltung am Syntagma verborgen. Die Privatsender, denen Tsipras endlich Steuern und Zahlungen für die Sendelizenzen abknöpfen wollte, daran aber von den Institutionen gehindert wurde, zeigen vor allem eine Seite. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Alexis Tsipras auf dem Syntagma-Platz. Bild: W. Aswestopoulos

Einseitigkeit der Medienberichterstattung

Der Rundfunkrat wird täglich mit hunderten Anrufen empörter Bürger konfrontiert. Sie verlangen ein sofortigen Einschreiten, was jedoch wegen der bürokratischen Wege nicht vor Sonntag wirken kann. In den Privatsendern werden überwiegend Befürworter der Austeritätspolitik als Gäste geladen.

Dies brachte zum Beispiel beim Sender Mega TV selbst den für den Sender in einer Serie arbeitenden Schauspieler Kleon Grigoriadis auf die Palme. Grigoriadis ergriff die Gelegenheit, seine Sicht der Dinge zu erklären, als er von einer Nachrichtensendung des Senders angerufen wurde. Grigoriadis behauptete, er sei lediglich als Alibi für die vorher und nachher folgenden Ja-Sager geladen worden. Als die Nachrichtensprecherin Maria Sarafoglou dagegen protestierte, ging der Schauspieler einen Schritt weiter. Er wünsche sich, dass die Regierung die TV-Junta der Privatsender endlich abschalte, nur dadurch könne seiner Ansicht nach das kranke griechische Wirtschafts- und Politiksystem von der Korruption befreit werden. Sarafoglou ermahnte ihn, dass er zu Mega TV, seinem Arbeitgeber, sprechen würde. Grigoriadis ließ sich nicht beirren und wurde schlicht abgewürgt.

Nein-Kundgebung auf dem Syntagma-Platz. Bild: W. Aswestopoulos

Pikant ist, dass Grigoriadis Anschuldigungen sich belegen lassen. Vom 29. bis 30.Juni gewährten alle TV-Sender zusammen der Berichterstattung über die Nein-Front kärgliche 8:33 Minuten. Die Sparkursbefürworter wurden dagegen in 46:53 Minuten umfassend vorgestellt. In dieser Statistik enthalten sind auch die ausgewogenen Sendezeiten des wiedereröffneten staatlichen Rundfunks ERT enthalten. Allein die ERT berichtete 4:50 Minuten über das Nein, während die übrigen fünf Sender sich die übrigen 3:43 Minuten teilten. Bei SKAI TV gab es überhaupt keine Reportage über die Nein-Demonstrationen. So viel Einseitigkeit geht auch an den Bürgern nicht spurlos vorbei.

Eine der obersten Bürgervertreterinnen, Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou, nutzte ein Interview beim TV Sender SKAI, um auf diese Missstände hinzuweisen. Es kam zu einem fast vierzig Minuten andauernden verbalen Schlagabtausch mit der ebenso wie Konstantopoulou überaus wortstarken Hauptnachrichtensprecherin Sia Kosioni.

Keine der beiden verlor die Contenance, bis Konstantopoulou mit einem verbalen Tiefschlag Kosioni die journalistische Neutralität absprach. Kosioni hat als Lebensgefährten den Regionalpräsidenten von Karpenisi Kostas Bakoyiannis aus dem Mitsotakis-Clan. Sie ist somit über Familienbande eng mit der Nea Dimokratia verbunden. Bakoyiannis Mutter Dora Bakoyianni ist frühere Ministerin, Bürgermeisterin von Athen und aktuell eine der profiliertesten Sparkursbefürworterinnen des Athener Parlaments. Sie ist mit einem Reeder verheiratet, der die Steuerfreiheit für Reeder mit einer von Konstantopoulou in der Sendung erwähnten Überweisung von Millionenbeträgen ins Ausland weidlich ausnutzte.

Bakoyiannis Onkel, Kyriakos Bakoyianni ist Kyriakos Mitsotakis, der im von Konstantopoulou mit Nachdruck verfolgten Siemens-Skandal verwickelt sein soll. Beharrlich behauptet die griechische Presse, dass Siemens dem Politiker die Telefonanlage des Abgeordnetenbüros schenkte. Über allen thront der 96-jährige Konstantinos Mitsotakis. Der ehemalige Ministerpräsident beteiligte sich selbst aktiv bei den Pro-Sparkurs Demonstrationen.

Tatsächlich reagieren sogar die durch die Bankenschließungen überaus gebeutelten Rentner allergisch auf Journalisten. Vor einer Filiale der Piräus-Bank schritt eine zunächst aufgebrachte Rentnerin am Donnerstag an den mit Kamera ausgestatteten Chronisten heran. Es gab eine von den Rentnern verordnete Ausweiskontrolle. Erst danach herrschte Friede.

Wenig vorher war an einer anderen Bank eine wütende alte Dame auf die Reporterin von Mega TV losgegangen. "Ihr habt uns die Hoden anschwellen lassen. Haut ab!", ging sie die verdutzte Reporterin unwirsch an. Diese versuchte den Konflikt zunächst verbal zu beenden, ließ die Rentnerin danach jedoch vom Kameraassistenten fortführen. Als sich der Fraktionsführer von SYRIZA, Nikos Filis, bei einer Sendung von Mega TV mit den Worten: "Hier gibt es einen Zustand, der keineswegs an Demokratie erinnert. Die Art und Weise, wie die Sender Bericht erstatten", begann, war der Konflikt bereits vorprogrammiert. "Das ist eine TV-Diktatur, die episch wie der Ben-Hur-Hollywoodschinken über die Ja-Befürworter stimmt", sagte Filis, bevor der Sturm der Entrüstung beider Moderatoren einsetzte.

In einer seichten TV-Talkshow der Journalistin Tatiana Stefanidou im Sender Star TV meldete sich eine Anruferin zu Wort. Bevor die verdutzte Moderatorin den Anruf abwürgen konnte, ließ die Anruferin einen Redeschwall ab. Sie würde im Namen ihrer Kinder, denen sie Rechenschaft schulde, mit Nein Stimmen. Alle Mütter sollten ihrem Beispiel folgen, meinte sie. Der nach Fassung ringenden Stefanidou hielt sie vor, dass deren Kinder auf Privatschulen gehen würden, ihre jedoch unter den Lehrerentlassungen an öffentlichen Schulen zu leiden hätten. "Wenn es Ihnen nicht passt, dann wandern Sie doch aus", riet die Anruferin dem TV-Star.

Bild: W. Aswestopoulos

Bei einer weiteren Sendung, deren Video auf YouTube viral wurde, hatte es erneut den Sender Mega TV erwischt. Die Aufgabenstellung für den Außenreporter war offensichtlich. Er erklärte in seinem Ansager, dass die armen Rentner darben müssten, weil sie nur an 120 Euro ihrer Pensionen herankämen. Nur die nötigsten Lebensmittel könnten sie so kaufen, hätten sie ihm gegenüber alle einmütig erklärt, behauptete der Reporter.

"Ich rede mal mit einem", sagte er und holte einen alten Mann ans Mikro. Brav sagte der Reporter ihm vor, wie schlimm es doch mit den 120 Euro sei. "Wie können Sie damit überhaupt noch Ihre finanzielle Nöte abdecken?", fragte er den Rentner. "Ich bin hier, um das Recht, welches mir die Regierung gewährte, wahrzunehmen", begann der alte Mann. "Es geht nicht um meine Nöte, sondern um das Vaterland. Das Land hat einige Menschen, die für es kämpfen. Es muss endlich ein Ende haben mit dieser Politik, die Menschen in den Selbstmord treibt." Das goutierten weder Außenreporter noch Studiomoderatorin als Antwort. Der Rentner wurde weggestupst und die Studiomoderatorin übernahm. Sie betete erneut den Spruch über das Elend der Rentner herunten.

Mittlerweile sind allerdings nicht nur die inländischen Medien im Visier der Bürger

Sämtliche ausländischen Medien werden von den griechischen Journalisten täglich durchforstet. So erfuhren die Griechen über Focus Online, dass der Fraktionschef der Nea Dimokratia, Adonis Georgiadis, den Kapitalkontrollen und geschlossenen Banken nicht unbedingt negativ gegenüber steht. Zudem wird die Aufforderung von Georgiadis an die Kreditgeber, den Anträgen Tsipras keinesfalls nachzugeben, von vielen wie Landesverrat empfunden.

Die Financial Times liefern sich einen Privatkrieg mit dem griechischen Finanzministerium und der Chefin der National Bank of Greece Louka Katseli. Die FT behauptet steif und fest, dass bei einem Nein beim Referendum die griechischen Sparkonten ab einem Betrag von 8.000 Euro gepfändet werden. Das Ministerium und die oberste Bankerin dementieren dies.

Wie blank auch hier die Nerven sind, zeigte sich am Abend auf dem Syntagma. Neben die Fotografen vor dem Podest für die Musiker, Schauspieler und Politiker hatte sich ein Kamerateam des ZDF eingereiht. Das Team wurde erkannt und mit großen Marmorsteinen beworfen. Dass nicht das ZDF, sondern einige Fotografen getroffen wurden, wurde im Internet von Sympathisanten der Werfer als Kollateralschaden bezeichnet. "Warnung an alle Fotografen, bleibt den Kamerateams der Sender fern", hieß es lapidar.