"Griechenland-Referendum ist ein gutes Signal für Europa"

Sahra Wagenknecht über die Abstimmung in Athen, die Reformierbarkeit der EU und Medienkampagnen

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Frau Wagenknecht, 61 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben in Griechenland am gestrigen Sonntag gegen die Austeritätspolitik der EU gestimmt. Was bedeutet das für Athen, was bedeutet das für die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras?

Sahra Wagenknecht: Es ist erst einmal ein wirklich sehr gutes Zeichen, dass sich die Bevölkerung nicht hat einschüchtern lassen. Und das trotz der ganzen Kampagne, die ja nun wirklich mit allen Registern geführt wurde. Selbstverständlich ist das Ergebnis eine schallende Ohrfeige, nicht nur für die EU-Technokraten und Herrn Draghi, sondern auch für Frau Merkel und nicht zuletzt für Herrn Gabriel, die sich im Vorfeld des Referendums auf massive Weise eingemischt hatten.

Der ja sehr exponierte Finanzminister Jannis Varoufakis hat heute seinen Rücktritt erklärt. Ist die Regierung Tsipras damit geschwächt?

Sahra Wagenknecht: Nein, ich finde, das muss man respektieren. Varoufakis ist durch das Ergebnis gestützt worden, weil es ja genau die Position wiedergibt, für die er geworben hatte. Offensichtlich will er jetzt aber den anderen Euroländern die Möglichkeit nehmen, einen persönlichen Konflikt vorschieben zu können, um sinnvolle Vereinbarungen zu blockieren. So würde ich das verstehen. Ich gehe davon, dass die griechische Regierung jetzt also erst recht sagen wird: "Das Volk hat Nein gesagt zu Kürzungsdiktaten. Was wir jetzt verhandeln, ist ein Schuldenschnitt." Das ist dringend notwendig.

Sahra Wagenknecht. Bild: Bernd Kuhnert

Aber EU-Vertreter haben bereits gesagt, dass sie auf die Forderungen aus Athen nicht eingehen werden. Aber ist das nicht also ein Pyrrhussieg für Ministerpräsident Tsipras?

Sahra Wagenknecht: Nein, es ist mit Sicherheit kein Pyrrhussieg, wenn man die Bevölkerung fragt und im Ergebnis dann herauskommt, dass genau das, wofür die Regierung geworben hat, nun von gut 60 Prozent der Menschen mitgetragen wird. Dass an einem Schuldenschnitt letztlich nichts vorbeiführt, das hat inzwischen ja sogar der IWF eingesehen. Griechenland ist seit dem Jahr 2010 überschuldet. Es wäre besser gewesen, man hätte damals einen richtigen Schuldenschnitt gemacht. Dann hätten es private Banken und Hedgefonds bezahlt.

Jetzt besteht natürlich das Problem, dass die Verluste zu Lasten der europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gehen. Aber dafür ist nicht Syriza verantwortlich, sondern dafür sind die damaligen Regierungen einschließlich der Regierung Merkel verantwortlich, die eben, um Banken zu retten, die Haftung für die Schulden eines überschuldeten Landes übernommen haben.

Eine Fortsetzung der Kürzungspolitik kann es nun nicht mehr geben

Was Sie sagen, heißt ja im Grunde, dass in Griechenland nicht nur über den Eurokurs abgestimmt wurde, sondern über auch über die Reformierbarkeit der Europäischen Union. Glauben Sie denn daran, Frau Wagenknecht?

Sahra Wagenknecht: Naja, es ist ja schon erschreckend, wie hier an einer Politik festgehalten wird, die so offensichtlich gescheitert ist. Griechenland ist das offenkundigste Beispiel dafür, dass die Sparpolitik nicht nur unglaublich viel Elend und Armut erzeugt, sondern dass sie noch nicht einmal das Problem löst, das sie vordergründig lösen sollte, nämlich das Problem griechischer Schulden. Die griechische Schuldenquote ist unter den Auflagen der Troika von 130 Prozent auf 180 Prozent der Wirtschaftsleistung angewachsen. Und wenn man nun behauptet, dieser Giftcocktail mit höherer Dosis könne das Land heilen, dann ist das wirklich unglaublich.

Ich erhoffe mir, und das würde dann auch deutlich zeigen, dass Griechenland einen anderen Weg geht als die anderen Euroländer, dass man nun alles daran setzt, das Geld in Griechenland bei denen zu holen, die in den letzten Jahren profitiert haben, also bei der Oberschicht. Bei denen, die ja auch von den sogenannten Rettungsmaßnahmen profitiert haben, denn sie sind etwa als Eigentümer der Banken und Inhaber von Milliardenvermögen die einzigen, die wirklich gerettet wurden. Das wäre dann wirklich ein Signal. Eine Fortsetzung der Kürzungspolitik, des Kürzungsdiktats kann es nun aber nicht mehr geben.

Sie sagen, Sie hoffen darauf, aber glauben Sie auch an die Reformierbarkeit der EU?

Sahra Wagenknecht: Zumindest glaube ich daran, dass Syriza andere Ziele hat. Und ihr bisheriges Auftreten spricht dafür, dass sie sich durch Auflagen nicht der Souveränität berauben lassen wollen, die Politik zu machen, die sie vernünftig finden und für die sie auch gewählt wurden. In den anderen Ländern wird es unter den jetzigen Regierungen sicherlich keine andere Politik geben.

Ich fand es ja schon erschreckend, um das jetzt noch einmal auf Deutschland zu beziehen, wie die führenden Vertreter gerade auch der SPD in diesem ganzen Konflikt agiert haben. Herr Gabriel war ja ein schlimmerer Scharfmacher als Frau Merkel. Das war ein unglaubliches Maß an Demagogie und an Schüren von übelsten Ressentiments. Bei solchen Politikern habe ich natürlich nicht die Hoffnung, dass sie einen Kurswechsel in Europa einleiten. Da bleibt dann am Ende wirklich nur die griechische Lösung, wo die (sozialdemokratische Partei) Pasok als Juniorpartner der Konservativen auf drei Prozent abgestürzt ist.

Ginge es Griechenland ohne Euro nicht besser?

Sahra Wagenknecht: Das ist eine schwierige Frage. Wenn man davon ausgeht, dass Griechenland im Euro keine andere Wahl hat, als das ganze Elend der vergangenen Jahre fortzusetzen, weiter Renten zu kürzen, weiter die Mehrwertsteuer anzuheben, dann kann man zu diesem Schluss kommen. Ich glaube allerdings, dass ein Austritt aus dem Euro auch eine extrem schwere Zeit nach sich ziehen würde. Man muss sehen: Die neue Währung würde extrem abwerten, es würde sich alles verteuern, was importiert wird. Das sind auch und zum großen Teil Nahrungsmittel. Die Renten und auch die Löhne wären von einem Tag zum nächsten noch viel weniger wert, als sie jetzt schon wert sind. Zu leicht darf man sich das also auch nicht vorstellen.

Steht die Linkspartei denn in einem Dialog mit der Syriza über solche strategischen Fragen?

Sahra Wagenknecht: Es gibt regelmäßige Kontakte und natürlich auch Gespräche. Wobei ich auch verstehe: Syriza hat in den vergangenen fünf Monaten unglaublich kämpfen müssen und da gab es in der Anlaufphase zunächst einmal andere Prioritäten als den Dialog mit Partnern in Europa. Aber inzwischen merke ich, dass der Kontakt intensiver geworden ist und wir regelmäßig Informationen erhalten. Das ist gerade in Abwehr der massiven Desinformations- und Lügenkampagne der Gegner der Syriza-Regierung sehr wichtig.

Wir haben auch in Deutschland über Monate hinweg eine unglaubliche Medienkampagne erlebt

Gut 61 Prozent der Griechen haben sich gegen die Brüsseler Politik entscheiden, 68 Prozent der Deutschen sehen die Schuld für die Krise indes in Athen. Was bedeutet diese nationale Spaltung und, Frau Wagenknecht, weshalb erreichen Sie die Mehrheit der Menschen hierzulande nicht?

Sahra Wagenknecht: Zunächst einmal muss man sagen, ganz allgemein, die wichtigste Ursache der griechischen Schulden, die liegt natürlich in erster Linie in Athen. Aber eben nicht bei der jetzigen Regierung, die ja kaum fünf Monate im Amt ist, sondern bei dem korrupten politischen System, das früher die Schwesterparteien von CDU, CSU und SPD gestaltet haben …

Aber das scheinen die Menschen in Deutschland ja nicht zu verstehen, es scheint ihnen ja nicht vermittelt zu werden.

Sahra Wagenknecht: Wir haben ja jetzt auch in Deutschland über Monate hinweg eine unglaubliche Medienkampagne erlebt. Und es ist ja auch den Leuten völlig falsch dargestellt worden, worüber tatsächlich verhandelt wird. Es wurde ja im Grunde so dargestellt, als ob darüber verhandelt würde, ob die Europäer nun Geld geben, damit die Griechen Renten zahlen können. Und dann wurden auch noch Legenden gestrickt, nach denen die Griechen mit 56 Jahren in Rente gehen und Luxusrenten beziehen. Und wenn solche Falschinformationen permanent verbreitet werden, dann ist natürlich klar, dass deutsche Rentner sagen: Also, ich komme mit meiner Rente auch nicht klar und ich komme schon gar nicht mit 56 Jahren in Rente, warum soll ich also die Griechen bezahlen?

Es ist eben auch ein Problem, dass viele gar nicht wissen, worum es geht. Es ist doch nie darüber verhandelt worden, dass auch nur ein Euro nach Athen fließen soll. Es ging doch immer nur darum, neue Kredite zu geben, damit die ihre alten Schulden bezahlen können. Aber das ist natürlich von Bild-Zeitung und Co bewusst anders dargestellt worden. In diesem Zusammenhang muss man dann eben auch auf die Verantwortung von Gabriel hinweisen, weil er genau diese Legendenbildung mit seinen dümmlichen Parolen unterstützt hat.

Was ist also Ihre Perspektive, wie geht es ab heute und morgen weiter?

Sahra Wagenknecht: Ich glaube, es ist jetzt sehr wichtig, dass man deutlich sagt: Die Kürzungspolitik ist gescheitert und am Ende. Sie ist jetzt noch einmal abgewählt worden, dieses Mal von gut 60 Prozent der Bevölkerung in Griechenland. Abgewählt wurde die Austerität, das Kürzungsdiktat, die Umverteilung von unten nach oben. Und das ist eigentlich das gute Signal für ganz Europa.

Wir brauchen jetzt auch in anderen Ländern politische Konstellationen, die den Mut haben für eine andere Politik, die den Mut haben, tatsächlich an die Probleme der Vermögensbesteuerung oder Vermögensabgabe etwa für Multimillionäre heranzugehen, die tatsächlich den Mut haben, soziale Politik zu machen. Und das ist das Signal nach Spanien und letztlich auch an Deutschland. Wir brauchen eine Politik, die Ungleichheit reduziert und die sich endlich wieder soziale und demokratische Maßstäbe zu eigen macht.