Erste Konsequenzen des Athener Referendums

Finanzminister Varoufakis tritt zurück. Freude über das "Nein" der Volksabstimmung, aber auch Aufregung und Streit über das Danach

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Mit 61,3 Prozent zu 38,7 Prozent gewann Alexis Tsipras das von ihm initiierte Referendum. Die Griechen stimmten mit Nein und lehnten damit das mittlerweile zurückgezogene Sparpaket der EU/EZB/IWF Institutionen ab. Die Wahlbeteiligung lag bei 62,5 Prozent, somit zwischen der Beteiligung der Europawahlen 2014 und der Parlamentswahlen des Januars. In keinem der 56 Wahlbezirke des Landes gewann das Ja.

Die weitgehend unsichtbaren Helden des Referendums sind die Beamten, die innerhalb von sechs Tagen nicht nur den Wahlgang vorbereiteten, sondern diesen auch mit massivem Überstundeneinsatz betreuten. Statt des mit dem Wortungetüm Grexit bezeichneten Austritts aus der Eurozone, was den Unkenrufen zu Folge sofort bei einem Nein hätte eintreten müssen, verließ Finanzminister Yanis Varoufakis die Eurogruppe. Er trat zurück.

Über seinen Blog gab heute Morgen Finanzminister Varoufakis seinen überraschenden Rücktritt bekannt. Seine Begründung:

Kurz nach der Bekanntgabe der Ergebnisse des Referendums erfuhr ich, dass die Teilnehmer der Euro-Gruppe und andere Partner es "schätzen" ... auf meine Anwesenheit bei den Sitzungen zu verzichten. Der Ministerpräsident ist der Ansicht, dass dies möglicherweise für ihn hilfreich sein kann, um eine Einigung zu erzielen. Daher verlasse ich das Finanzministerium.

Ich halte es für meine Pflicht zu tun, was ich kann, um Alexis Tsipras zu helfen, damit er das Geschenk des griechischen Volkes bei der Volksabstimmung so nutzen kann, wie er es für richtig hält.

Stürmische Zeiten

Für internationale Wirtschaftsanalytiker wie Mohamed El-Erian, Chief Economic Adviser der Allianz SE, sind sowohl nationale als auch internationale Konsequenzen des Votums zu erwarten. El-Erian prophezeit wirtschaftlich, aber auch politisch stürmische Zeiten.

Die griechische Regierung freute sich indes über den Erfolg. Von allen Seiten war allerdings auch zu hören, dass die Probleme des Landes mit dem Votum nicht vorbei sind.

Foto: Wassilis Awestopoulos

Für Aufregung sorgten Äußerungen der Vize-Finanzministerin Nadia Valavani. Sie erklärte noch am Abend, dass bei geschlossenen Banken auch der Zugang zu den Bankschließfächern beschränkt ist. Sie ließ durchblicken, dass die Inhaber bis auf weiteres nur hinterlegte Dokumente, nicht aber Bargeld und Wertgegenstände entnehmen dürfen.

Ein weiterer Vizefinanzminister, Dimitris Mardas, versuchte zu beschwichtigen, machte es aber irgendwie nur schlimmer. Er betonte im Fernsehen, dass dies alles noch nicht festgelegt sei und erst durch einen Ministerialerlass geregelt würde, der in Kürze erfolgen müsste.

Den Bürgern war es am Sonntag egal. Sie feierten bis nach Mitternacht auf dem Syntagma Platz. Die meisten gestanden im Privatgespräch ein, dass sie durchaus wüssten, dass die nächsten Wochen kein Spaziergang werden würden.

Tsipras bedankt sich für Solidaritätsdemonstrationen

Der Premierminister begrüßte das Ergebnis in seiner Ansprache mit den Worten: "Wir haben bewiesen, dass sogar in den schwierigsten Umständen die Demokratie nicht erpressbar ist und das Finden einer Lösung der dominierende Weg sein muss. Wir haben auch gezeigt, dass ein Volk, wenn es den Glauben und das kollektive Bewusstsein hat, Widerstand leisten kann und auch die größten Hindernisse überwinden kann." Tsipras rief zur Einheit auf:

Und unsere Aufgabe ist es nun, unser Bestes zu geben, um diese Krise zu überwinden und Griechenland wieder hoch zu bringen. Wir müssen die nationale Einheit wie unseren Augapfel hüten und jetzt die Wiederherstellung des sozialen Zusammenhalts und der wirtschaftlichen Stabilität vorantreiben.

Allen anders lautenden Unkenrufen zum Trotz, bereitete der Regierungschef seine Bürger auch auf harte Zeiten vor. Er sagte:

Wir alle wissen, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Aber es gibt gerechte Lösungen. Es gibt praktikable Lösungen. Es ist allerdings nötig, dass beide Seiten diese suchen.

Tsipras bedankte sich jedoch auch bei den internationalen Demonstranten, die in ihren Heimatländern die dortigen Bevölkerungen für das griechische Problem sensibilisierten: "Ich möchte auch den Tausenden von europäischen Bürgern in allen großen europäischen Städten danken, denen, die auf die Straße gingen, um ihre Solidarität mit dem griechischen Volk aktiv zeigen."

Foto: Wassilis Awestopoulos

Tsipras möchte innerhalb der nächsten 48 Stunden eine Einigung mit der EU erzielen. Die Bedingungen dafür deutete er an:

Gleichzeitig aber wird dieses Mal am Verhandlungstisch die Frage der Tragfähigeit der Schulden diskutiert. Erst recht, wo doch schon der Bericht des IWF zugibt, dass diese nicht tragbar sind. Dieser Bericht fehlte bislang bei den Verhandlungen, da er erst vorgestern ans Licht kam. Er bestätigt die griechischen Positionen für die notwendige Umstrukturierung der Schulden, um eine endgültige nachhaltige Lösung für die Überwindung der Krise zu erreichen, sowohl für Griechenland als auch für Europa.

Innenminister Nikos Voutsis lobte zuvor in einer Ansprache die Griechen dafür, dass der Wahlvorgang glatt und friedlich ablief. Am Vormittag hatte Tsipras sich ins Volk gewagt. Er wählte in seinem Wohnviertel Kipseli und wurde dabei von der wartenden, jubelnden und "Nein" skandierenden Volksmenge wie ein Held gefeiert.

Medienkampagne geht weiter

Etwas drastischer ging es dafür im TV zu. Genau eine Woche lang hatten die großen Privatsender Griechenlands, Skai, ANT 1, Alpha, Mega und Star buchstäblich den Teufel an die Wand gemalt. Immer neue Horrorszenarien wurden dem Publikum vor Augen gehalten, was denn passieren würde, wenn die Bürger beim Referendum mit "Nein" stimmen würden.

Bei Mega TV wurden zur Dramatisierung der Schlangen vor den Bankautomaten der geschlossenen Banken auch Archivbilder von 2012 aus Südafrika als frische Bilder aus Hellas verkauft.

Trotz der intensiven Emotionalisierung blieb es auf Athens Strassen weitgehend ruhig. Lediglich in Exarchia flogen ein paar Molotowcocktails und einige Abfalleimer gingen in Flammen auf. Im Fernsehen blieb es konfliktreich. Direkt nach Schließung der Wahllokale und der Bekanntgabe der ersten Ergebnisse ging die Show der vergangenen Woche mit einer Eskalation nach der anderen weiter.

Im Sender Mega TV gerieten der Gesundheitsminister Panagiotis Kouroublis und der Moderator Giannis Pretenteris aneinander. Pretenteris hielt Kouroublis mittlerweile dementierte Aussagen von Finanzminister Varoufakis vor, denen gemäß der Minister eine virtuelle neue Währung, so genannte IOUs, einführen wolle.

Kouroublis verwies aufs Dementi, Pretenteris bestand auf seiner Aussage und der Wortwechsel wurde heftiger, bis Kouroublis den Journalisten als "scheußlich" titulierte. Danach fing sich der Minister die gleiche Charakterisierung von Pretenteris und dessen Co-Moderatorin Olga Tremi ein.

Noch heftiger ging es bei Alpha TV zu. Der Abgeordnete von To Potami ging, offensichtlich betrunken, den Journalisten Giannis Mavgagiannis an. Er warf ihm vor, dass dieser mit der Goldenen Morgenröte Arm in Arm spazieren würde, weil die GM beim Referendum auf der Linie der Regierung war und weil Mavragiannis schließlich ein Linker sei. Auch hier gab ein Wort das andere, bis sich die Moderatorin Elli Stai entschloss, Psarianos herauszukomplimentieren. Der des Studios Verwiesene, der mittlerweile auch von einem weiteren Podiumsgast als "Wichser" tituliert wurde, ließ sich nicht beirren. Er gehe, wenn er fertig sei, meinte er.

Bei der bereits angesprochenen Sendung von Mega TV gab es weitere heftige Entgleisungen, als Sozialministerin Theano Fotiou und der nun zu Potami zählende, ohne Parlamentssitz verbliebene frühere SYRIZA-Abgeordnete Petros Tatsopoulos aneinander gerieten.

Bild: W. Aswestopoulos

Samexit statt Grexit?

Massiven internen Zoff gab es dagegen bei der Nea Dimokratia. Der Vorsitzende der Jugendbewegung ONNED hatte noch am Abend den Rücktritt des erneut geschlagenen früheren Premier Antonis Samaras gefordert. Samaras war bereits Samstagabend von der Abgeordneten Dora Bakoyianni zum gleichen Schritt aufgefordert worden.

Im Wissen, dass mit jedem öffentlichen Auftritt Samaras im Wahlkampf für das Referendum die Umfragenwerte der Pro-Euro-Bewegung absackten, nahm Samaras mit sofortiger Wirkung den Hut. Als Interimsvorsitzender übernimmt der frühere Parlamentspräsident Vangelis Meimarakis.