Bitcoins statt Drachme: Griechenland probt den Mini-Grexit

Griechenland ist ansonsten bereits weitgehend vom grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr abgeschnitten

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Bewohner von Ländern, die unter internationalen Finanzsanktionen leiden, kennen Meldungen wie diese: "Dieser Dienst ist aus ihrem Land nicht verfügbar" erscheint auf dem Bildschirm, will man etwa in Syrien, dem Sudan oder Iran einen Song in Apples iStore herunterladen oder via PayPal eine Rechnung bezahlen. Seit einigen Tagen erscheinen solche Meldungen nun auch auf griechischen Monitoren.

Online-Unternehmen wie PayPal, Amazon, Apple, Dropbox und Google haben griechische Kunden ausgesperrt. Auf Twitter und Facebook häufen sich die Klagen frustrierter griechischer Online-Nutzer darüber, dass selbst die Überweisung kleinster Beträge scheitere. Kreditkarten streiken. Online-Accounts werden unbrauchbar. Betroffen scheinen so ziemlich alle Dienstleistungen zu sein, in deren Folge Gelder aus Griechenland ins Ausland transferiert werden. Seien es auch nur 99 Cent. In Apples iStore lassen sich keine Songs mehr herunterladen, auf Amazon keine Bücher mehr bestellen. Googles PlayStore verweigert den Download kostenpflichtiger Apps und auch via PayPal sind für Griechen keine Überweisungen ins Ausland mehr möglich. Fast vollständig ist Griechenland vom grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr abgeschnitten.

Fast. Denn eine fast schon in Vergessenheit geratene Währung erlebt aufgrund des unfreiwilligen Online-Grexits ein kleines Revival: Bitcoin ("No Fees for Greece"). Von einer Verfünffachung des Handelsvolumens berichten griechische Bitcoin-Händler. "Die Registrierungen aus Griechenland haben sich in den letzten Tagen in der Spitze verzehnfacht, das Handelsvolumen hat sich verdreifacht", sagt Oliver Flaskämper vom größten deutschen Bitcoin-Handelsplatz Bitcoin.de gegenüber Telepolis. Wie stark die griechische Nachfrage nach Bitcoins ist, lässt sich auch am Kurs der Währung ablesen: Als die jüngsten Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung und der Ex-Troika scheiterten, stieg der Bitcoin-Kurs zeitweise von 215 auf 240 Euro.

Neben der drohenden Gefahr eines Euro-Anstieges und einer damit wahrscheinlich verbundenen massiven Abwertung des Ersparten, dürften die aktuellen Kapitalverkehrskontrollen der griechischen Regierung der Hauptgrund für den Run auf Bitcoins sein: Seit dem 29. Juni sind griechische Börsen und Banken geschlossen. An Geldautomaten können Griechen nur noch maximal 60 Euro pro Tag abheben. Sämtliche Überweisungen ins Ausland sind untersagt. Ein Sprecher von PayPal berichtete: "Aufgrund der aktuellen Entscheidungen griechischer Behörden über Kapitalkontrollen sind zurzeit Zahlungen an PayPal von griechischen Bankkonten sowie grenzüberschreitende Überweisungen, gleich von welchen Kreditkarten oder Bankkonten, nicht möglich."

"Bitcoin bietet für Griechen zurzeit die einzige Möglichkeit, Auslandstransaktionen vorzunehmen", sagt Oliver Flaskämper. Noch deutlicher wird Adam Vaziri von der britischen Lobbyorganisation für Digitalwährungen "Digital Currency Association" gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: "Wenn die Leute versuchen, Geld außer Landes zu schaffen und der Staat sie daran hindern will, sind Bitcoin der einzige Weg, um jeden beliebigen Betrag zu bewegen."

Dass das tatsächlich funktioniert, liegt am Aufbau des Bitcoin-Systems. Anders als bei staatlichen Behörden reguliert hier keine Zentralbank den Zahlungsverkehr. Stattdessen sind es ein Algorithmus und die Bitcoin-Besitzer selbst, die das System am Laufen halten (Wie viel ist ein Bitcoin wirklich wert?). "Jeder, der sich die Bitcoin-Software herunterlädt, wird Teil der globalen Betreibergemeinschaft des Bitcoin-Netzwerkes. Solange auch nur zwei Rechner mit der Bitcoin-Software auf der Welt online bleiben, funktioniert das System", erklärt Flaskämper.

Um Transaktionen mit Bitcoins wirksam unterbinden zu wollen, müsste man das weltweite Internet abschalten. Selbst die oberste deutsche Finanzaufsichtsbehörde BaFin bestätigt das: "Eine staatliche Aufsicht oder Regulierung […] ist für das dezentrale Netzwerk nicht durchführbar."

Wären Bitcoins dann nicht vielleicht sogar die bessere Alternative zur Drachme-Rückkehr? Nicht ganz. Denn zwar lassen sich Bitcoins unreguliert transferieren oder als Anlageform nutzen, Brötchen kaufen kann man damit aber nicht. Weder in Griechenland noch sonst irgendwo. Gerade einmal 100.000 Händler weltweit akzeptieren bisher Bitcoins als Zahlungsmittel. Nur 34 sind es in ganz Griechenland. Einen einzigen Bitcoin-Geldautomaten gibt im ganzen Land.

Dennoch habe die Krise vielen Griechen gezeigt, dass Euros genauso virtuell seien wie Bitcoins, sagt Flaskämper: "Auch sie sind letztendlich nur Nullen und Einsen auf den Festplatten von Bankcomputern. Dass Bitcoins nur ein Spielgeld für Nerds sind, behauptet hingegen heute niemand mehr."

Und selbst in der griechischen Regierung haben Bitcoins einen prominenten Fürsprecher, auch wenn dieser nicht unbedingt die Kapitalflucht im Auge hatte. "Bitcoins können eine Maßnahme darstellen, um für finanziell unter Druck geratene Mitglieder der Euro-Zone den dringend benötigten Spielraum zu schaffen." Der Verfasser der Zeilen: Griechenlands Ex-Finanzminister Yannis Varoufakis im letzten Jahr.