Rechter Sektor probt den Aufstand in der Westukraine

Mit überraschenden Feuergefechten gegen angebliche Schmuggler und Polizisten im äußersten Westen der Ukraine macht der Rechte Sektor auf die Regierung in Kiew Druck

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Über der westukrainischen Kleinstadt Mukatschewo stand am Sonnabendnachmittag schwarzer Rauch. Ein Tankstelle und drei Polizeiautos brannten. Was war passiert? Maskierte und schwerbewaffnete Männer des Rechten Sektors (RS) waren mit Jeeps in die Kleinstadt Mukatschewo gefahren. Ihr Vorgehen wirkte äußerst martialisch und wurde durch YouTube-Videos einer großen Öffentlichkeit bekannt. Auf einem der Jeeps war nach IS-Manier ein Maschinengewehr montiert (Ukraine: Rechter Sektor in Schießerei verwickelt).

Das verarmte Städtchen Mukatschewo mit seinen 85.000 Einwohnern liegt 40 Kilometer vor der ungarischen Grenze und gilt als Stützpunkt von Zigarettenschmugglern. Diesen Schmugglern wollten die Leute vom RS offenbar eine Lektion erteilen, um sich dem Volk als einzige nationale Kraft in Erinnerung zu bringen.

Abmarsch des RS aus Mukatschewo mit Feuergefecht.

In dem Sportclub Antares lieferten sich die RS-Männer mit angeblichen Schmugglern ein Feuergefecht. Darauf folgte ein Angriff auf einen Kontrollpunkt der Verkehrspolizei. Die Angreifer vom RS setzten automatische Waffen und Granatwerfer ein, wie der ukrainische Innenminister Arsen Awakow via Facebook mitteilte. Die Bevölkerung diskutierte voller Angst die Geschehnisse.

Nach Angaben der ukrainischen Staatsanwaltschaft wollten "die Männer in Militäruniformen und Abzeichen des Rechten Sektors" in dem Sportclub "mit Anwohnern Einflusssphären aufteilen", womit angedeutet wurde, dass es sich um Schmuggelgeschäfte in der Grenzregion Mukatschewo handelte. Die Männer, die im Sportclub Widerstand gegen die Angreifer vom RS leisteten, sollen Anhänger des angeblich Russland-freundlichen Abgeordneten Michail Lano gewesen sein.

Kiew demonstriert Einsatzbereitschaft

Am Sonntag wurde von Kiew eine Militärkolonne mit 14 Fahrzeugen nach Mukatschewo in Marsch gesetzt. Der Geheimdienst SBU gab bekannt, aus dem Gebiet, in das sich die RS-Angreifer nach den Feuergefechten geflüchtet hatten, würden "friedliche Bürger und in erste Linie Kinder evakuiert". Wie viele Menschen genau evakuiert wurden, gab man nicht bekannt.

Mit dem überraschenden Vorgehen im äußersten Westen der Ukraine wollte der Rechte Sektor offenbar die Regierung in Kiew unter Druck setzen. Es mag zynisch klingen, aber der Rechte Sektor braucht ab und zu einen Skandal, um sich in der Öffentlichkeit als die einzige EU-kritische Kraft in Erinnerung zu bringen und um die Regierung in Kiew zu einem noch härteren Vorgehen gegen die "russische Okkupation" im Osten und die heimlichen Sympathisanten Russlands im Land zu zwingen.

Dmitro Jarosch habe angekündigt, die Bataillone des RS aus dem Kampfgebiet in der Ost-Ukraine abzuziehen, erklärte ein RS-Kommandeur mit dem Code-Namen Tschorni, angeblich wegen des Schießbefehls der Polizei gegen RS-Militante in Mukatschewo. Doch RS-Pressesprecher Artjom Skoropadski widersprach. Zurzeit befänden sich zwei RS-Bataillone in der Ost-Ukraine, die man nicht abziehen werde. Die 18 RS-Bataillone im Land könne man jedoch "jederzeit vor die Präsidialadministration in Kiew schicken". Wie dem auch sei, russische Experten glauben, dass der RS nur acht einsatzfähige Bataillone hat.

Ging es um Schmuggelgeschäfte, Polit-PR oder um Beides?

Bei den beiden Feuergefechten in dem Städtchen Mukatschewo gab es zahlreiche Opfer. Nach Angaben von Jewgeni Schewtschenko, dem Leiter des Donbass-Bataillons, starben bei der Schießerei im Sportclub Antares vier Personen, zwei Männer vom Rechten Sektor und zwei "Sportler". Nach Angaben der ukrainischen Sicherheitskräfte wurden in Mukatschewo 14 Personen verletzt, sechs Mitarbeiter ukrainischer Sicherheitskräfte, drei Zivilisten und fünf Personen, "die als Mitglieder des Rechten Sektor gekennzeichnet waren". Mit der Formulierung will man offenbar nahelegen, dass es sich bei den Angreifern in Mukatschewo nicht um Leute vom Rechten Sektor, sondern um einfache Schmuggler handelte.

In der Nacht auf Sonntag begann die Polizei mit den RS-Angreifern, die sich in umliegende Wälder zurückgezogen hatten, zu verhandeln. Für die Angreifer führte die Verhandlungen Roman Stoiko, bei dem es sich um einen ehemaligen Polizisten handeln soll, der später in den Zigarettenschmuggel einstieg. Die Männer erklärten angeblich, sie würden nur aufgeben, wenn der Führer des RS, Dmitro Jarosch, dies anordne. Jarosch erklärte Sonnabendnachmittag via Facebook, es käme jetzt darauf an, "die Situation zu stabilisieren". Außerdem sei es nötig, schnell "die Banditen und die Polizeibeamten zu verhaften", welche den Befehl gaben, das Feuer zu eröffnen.

Jarosch flog in der Nacht auf Sonntag in die im Westen des Landes gelegene Grenzstadt Uschgorod. Am Sonntagabend verhandelte er in der Region Mukatschewo mit Witali Malikow, einem General des ukrainischen Geheimdienstes. Die Verhandlungen liefen in "normaler Atmosphäre", da man sich von verschiedenen Einsätzen in der Ost-Ukraine kenne, erklärte der RS-Chef. Worüber man genau verhandelte, wurde nicht bekannt. Am Sonntagabend gab Anton Geraschenko, der Berater des ukrainischen Innenministers bekannt, dass zwei der Angreifer vom RS aufgegeben und die Waffen niedergelegt hätten. Zwölf RS-Kämpfer seien von der Polizei eingekesselt.

Nur wenige Menschen auf den Kundgebungen des Rechten Sektors

Bereits am Samstagabend rief der Rechte Sektor landesweit zur Vollmobilisierung auf. An der Fernstraße Kiew-Schitomir errichtete der RS einen Straßenkontrollpunkt, offenbar um Militäreinheiten zu behindern, die nach Mukatschewo unterwegs waren. Spezialeinsatzkräfte seien dabei, "unsere Brüder zu vernichten", hieß es in einem Aufruf des Rechten Sektors. In Kiew folgten dem Aufruf, sich vor der Präsidialadministration zu versammeln, am Sonnabend jedoch nicht mehr als 100 Personen, am Sonntag 200 Personen.

Am Sonntag gab es in mehreren ukrainischen Städten - Odessa, Sumy, Tscherkassk, Nikolajew, Mariupol und Kramatorsk - kleinere Protestaktionen des RS vor den Innenbehörden mit jeweils nicht mehr als 100 Teilnehmern. Gefordert wurde die Verhaftung des angeblich in Schmuggelgeschäfte verwickelten Mukatschewo-Abgeordneten Michail Lano und des Leiters der Russland-freundlichen Partei "Ukrainische Wahl" Viktor Medwetschuk. Wladimir Putin ist Patenonkel von Darja, der 2004 geborenen Tochter von Medwetschuk. Gefordert wurde außerdem der Rücktritt des Innenministers Arseni Awakow und der Leitung der Innenbehörde im Gebiet Transkarpatien.

Wird nach Odessa nun auch noch Transkarpatien militarisiert?

Das gewalttätige Vorgehen des Rechten Sektors in Transkarpatien könnte der Macht in Kiew jetzt den Vorwand liefern, die Region zu militarisieren, so wie Odessa, wo die Sicherheitskräfte seit den Anschlägen von Regierungsgegnern im Dezember 2014 verstärkt präsent sind.

Auch in Transkarpatien hat Präsident Petro Poroschenko mit seinem Krieg gegen die Separatisten in der Ost-Ukraine keinen leichten Stand. Schon im Juli 2014 formierte sich in den transkarpatischen Städten Widerstand von Frauen, die ihre Söhne nicht für die ukrainische Armee hergeben wollten, eine Armee, die weit weg, im Osten der Ukraine, einen äußerst verlustreichen Kampf gegen die Separatisten führte. Die Frauen besetzten Straßen und verbrannten Einberufungsbescheide ("Rettet unsere Männer!"). Auch ist der Anteil der ungarischen Bevölkerung in Transkarpatien mit 16 Prozent sehr hoch. Der radikale ukrainische Nationalismus hat es in der Südwest-Region nicht leicht.