Im Kielwasser von Megayachten und Flüchtlingsbooten

Unter den Superreichen wächst das Bewusstsein für die Risiken, welche die wachsende Ungleichheit mit sich bringt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es gibt eine "Safe Swimmer's Pledge", mit der sich Erstschwimmer verpflichten, nie allein zu schwimmen, sich nicht in die Nähe von Saug- und Abflussrohren zu begeben, immer mit den Füßen zuerst ins Wasser zu springen und alle Pool-Regeln zu befolgen.

Und da ist eine andere "Pledge", die zuächst einmal nichts mit Wasser zu tun hat. Es ist die von Bill Gates, Warren Buffett, Michael Bloomberg und einigen weiteren Milliardären ins Leben gerufene "Giving Pledge-", deren Ziel es ist, die reichsten Individuen und Familien Amerikas dazu einzuladen, den größten Anteil ihres Vermögens der Philanthropie zur Verfügung zu stellen.

Der amerikanische Journalist Robert Frank war einst beim Wall Street Journal, jetzt bei CNBC verantwortlich für das Thema Superreichtum. Er ist Autor des Bestsellers "Richistan". Pünktlich zum Sommerbeginn beschrieb er in der New York Times, wie wenig das Leben der neuen Superreichen sich auf bloßes luxuriöses Strandleben reduzieren lässt. Nach dem World Economic Forum in Davos, dem Cannes Lions International Festival of Creativity, der Art Basel und einigen weiteren Events habe nun der "Mediterranean Milk Run" (etwa: "Routine Törn") begonnen - die sommerliche Megayacht-Prozession von Saint-Tropez nach Portofino, Capri usw.

Doch auch die Bootsflüchtlinge des Mittelmeers und ihre Schlepper sind auf einem "Milk Run", einem ganz anderen zwar. Schon in den ersten Monaten des Jahres 2015 ertranken Tausende von Menschen, davon allein an einem Tag 400 vor der Küste Libyens und 700 in der Straße von Sizilien. 2014 kamen mehr als 3 Tsd. Flüchtlinge ums Leben, seit dem Jahr 2000 sind nach vorsichtigen Schätzungen 30 Tsd. im Mittelmeer geblieben.

Und was machen die Superreichen? Sie umkreisen, so Robert Frank, die Welt, um immer wieder die gleichen Leute zu treffen. Es ist ein Rundkurs. Natürlich gibt es viele Partys. Aber man wäre überrascht, wie viel Business auf diese Weise abgewickelt wird. So wie sie einen ökonomischen Gewinn aus ihren Investitionen und ihrer Philanthropie schöpfen wollen, so betrachten sie auch ihre Freizeit als renditeträchtig. Sie wollen auch mit ihrem Sozialleben Geschäfte machen. Bei ihren Freizeit-Terminen wollen sie wahrgenommen werden, aber nur von ihresgleichen. Gleichzeitig ist die Status-Konkurrenz unter den neuen Milliardären stärker als jemals zuvor.

Das zeigt sich auch in der Welt der Megayachten. Die 200 größten Motoryachten der Welt bringen es auf eine Durchschnittslänge von fast 84 und die 10 Top Yachten auf eine von 151 Metern. Die meisten Eigner kommen aus dem Nahen Osten (40), den USA (39), Europa (37) und Russland (26). Megayachten wie etwa David Geffens 138-Meter "Rising Sun" oder die 133-Meter "Serene" des Wodka-Magnaten Yuri Shefler wären für die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer perfekter ausgerüstet als alles, was italienische, griechische oder deutsche Hilfsflotten anbieten könnten.

Das gilt vor allem auch für die 160 Meter lange Superyacht "Eclipse" von Roman Abramowitsch. Sie hat rund 500 Mio. Dollar gekostet und ist damit die teuerste jemals gebaute Privatyacht. Schon ihr Äußeres ist militaristisch. Und das Gerücht geht um, dass auf ihr ein militärisches Antiraketensystem installiert ist. Branchenweisheit ist im Übrigen, dass die Technologien der modernsten Armeen der Welt jetzt auch den Eignern von Superyachten zur Verfügung stehen. Außerdem können sie sich inzwischen problemlos in private, militärische und geheimdienstliche Informationsnetze einloggen.

Eigentlich schlechte Karten für Schlepper und ihre Organisationen. Aber die Megayachtler haben anderes zu tun, und die örtlichen, staatlichen und transnationalen Institutionen sind überfordert. So kommt es zu Privatinitiativen. Ein italienisch-amerikanisches Millionärspaar, Chris und Regina Catrambone, hat 2014 für 4 Mio. Dollar das erste privat finanzierte Rettungsschiff für die Flüchtlinge erworben - ein stabiles, 40 Meter langes früheres Fischerboot, ausgestattet mit Beibooten und einem Flugdeck für mit Nachtsicht- und Wärmemessungsgeräten ausgestattete Drohnen. Seit August 2014 hat die Hilfsorganisation der Catrambones 3000 Flüchtlinge gerettet.

Doch allmählich kommen nicht nur schlichte Millionäre, sondern auch manche Milk-Run-Milliardäre ins Grübeln. Eigentlich, heißt es, könnten doch viele große Yachten sich für ein oder zwei Monate an solchen Operationen beteiligen. Solche Akte der Menschlichkeit könnten sogar den Geschäftsstatus der Eigner erhöhen. Inzwischen gibt es das Gerücht (das Insider bestätigen), dass sich vor diesem Hintergrund einige der großen Megayachten-Eigner, darunter ein saudischer Prinz, Gedanken über eine neue "Pledge", eine "Living Pledge" zu machen beginnen. Nicht ohne Grund. Unter den Superreichen wächst das Bewusstsein für die Risiken, welche die wachsende Ungleichheit mit sich bringt. Die Besitzlosen dieser Welt könnten sich irgendwann gegen die Besitzenden erheben."That's the real danger", heißt es in Cannes. "This little thing called the French Revolution."

Eine "Living Pledge" aber müsste ganz anders gestrickt sein als jene Verpflichtungserklärung von Gates und Buffett, die Ungleichheit durch Philanthropie, nicht durch Wandel des ökonomischen Systems bekämpfen will. Im Kielwasser der Megayachten und Flüchtlingsboote müssten Tausende nicht nur aus den Fluten gerettet, sondern ihnen müsste auf Dauer ein menschenwürdiges Leben gesichert werden. Eine solche Hilfe müsste vor allem den Grund und Boden, die besiedelbaren Landmassen einbeziehen, die sich heute zu großen Teilen in Privatbesitz befinden. Das wäre im übrigen die Basis für eine neue Art von Geopolitik.

Die fünf größten privaten Grundeigentümer der Erde sind Königin Elisabeth II. (26 700 000 Quadratkilometer, ein Sechstel der nicht von Wasser bedeckten Erdoberfläche!), König Abdullah von Saudi Arabien (2 237 991 Quadratkilometer), König Bhumibol von Thailand (500 922 Quadratkilometer), König Mohammed VI. von Marokko (457 311 Quadratkilometer) und der Sultan Qabus ibn Said von Oman (307 572 Quadratkilometer). Dessen 155 Meter lange Luxusyacht "Al Said" könnte übrigens auf ihren 8000 Quadratmetern und sechs Decks bis zu 900 Flüchtlinge (abgesehen von 154 Besatzungsmitgliedern) in die richtige Richtung befördern. Doch die Richtung stimmt überhaupt noch nicht. Und eine "Living Pledge" steht in den Sternen.

2012 fügte der mehrfache Megayachten-Besitzer Larry Ellison seinem riesigen Bestand an Domizilen ,Porcupine Creek" hinzu - ein circa hundert Hektar großes Anwesen mit eigenem Golfkurs. Er zahlte 43 Mio. Dollar dafür. Doch die Leute, die dort arbeiten, sagen, er käme nur gelegentlich vorbei für irgendwelche Wohltätigkeitsveranstaltungen oder Geschäftsevents; wie ist es möglich, fragen sie, dass jemand für 43 Mio. ein Haus kauft und dann nicht darin wohnt?

In Griechenland werden derzeit viele Inseln zum Verkauf angeboten. Die Preise liegen zwischen 800 Tsd. und 150 Mio. Euro. Der Emir von Qatar hat gerade ein Bündel dieser Inseln erworben. Er hat den Behörden versprochen, drei Yachten in diesem Inselreich zu halten. Er will auf den Inseln Paläste für seine drei Frauen und 24 Kinder bauen. Allein für die Küche brauche er 1000 Quadratmeter, so der Emir. Sonst könne er seine vielen Gäste nicht bewirten.

Ekaterina Rybolowlewa, die 25-jährige Tochter des russischen Milliardärs und Sportsponsors Dimitri Rybolowlew, nennt seit Anfang des vergangenen Jahres die berühmte Insel Skorpios ihr eigen. Auf der Insel mitten im Ionischen Meer hatte zum Beispiel Aristoteles Onassis vor 45 Jahren die ehemalige First Lady Jacqueline Kennedy geheiratet. Berichten zufolge wechselte die Insel für geschätzte 126 Mio. Euro die Besitzerin.

Und doch: Die mediterranen Kielwasser deuten auf neue Möglichkeiten. In "Richistan", in der virtuellen "Nation" der Superreichen, spricht niemand mehr über ein (oder sein) Land im Singular. Ländergrenzen sind sinnlos geworden. Das zumindest haben die Superreichen mit den Flüchtlingen gemeinsam.