"Liebe Eiche, danke, dass du so schön bist"

In Melbourne bekamen Bäume Emailadressen, die Bürger haben darauf aber anders reagiert als gedacht

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Im Rahmen eines Programms über den "urbanen Wald" der Stadt Melbourne, der aus 70.000 Bäumen besteht, informiert die Stadtverwaltung nicht nur über die Bäume und deren Zustand und wirbt für größere grüne Flächen als Mittel gegen die urbanen Wärmeinseln, sondern hat jedem Baum auch eine Nummer zugeordnet. Klickt man einen Baum an, öffnet sich ein Fenster, das über den Baum Auskunft gibt, z.B. Platanus London Plane, Lebenserwartung 11-20 Jahre und eine ID-Nummer. Will man eine Email über den Baum an die Verwaltung senden, braucht man nur noch einmal das Symbol anklicken, es öffnet sich ein Email-Fenster mit der Adresse melbourneurbanforest@melbourne.vic.gov.au, im Betreff steht dann zum Beispiel: "Information about a London Plane, Tree ID 1029889".

Die Stadt wollte mit dem Programm die Bürger stärker beteiligen und prompter über den Zustand von Bäumen oder möglichen Problemen informiert werden. Gesucht werden auch Freiwillige, die als "städtische Bürgerförster" tätig werden wollen, um Daten über die Bäume in der Stadt zu sammeln und regelmäßig upzudaten. Dass die Bürger die nun via Email-Adressen identifizierten Bäume nicht nur als Objekte betrachteten, über die sie einen Angestellten der Stadtverwaltung berichten, sondern ganz persönliche Emails an die Bäume schicken, hatte niemand vorhergesehen.

Tausende von Emails seien bereits eingegangen, so der Stadtrat Arron Wood, darunter auch richtige Liebesbriefe an die Bäume. "Die Email-Interaktionen offenbaren die Liebe, die die Bürger von Melbourne gegenüber unseren Bäumen haben", so Wood. Er überließ einige der anonymisierten Emails Adrienne LaFrance, die sie auf CityLab.com veröffentlichte. Überraschend ist schon einmal der Mitteilungsdrang, der in vielen Emails zum Ausdruck kommt. Man fragt sich natürlich auch, warum Menschen überhaupt eine Email an einen Baum mit einer Nummer richten, also was sie sich erwarten? Eine Antwort wohl nicht, das wäre schon ziemlich verrückt. Aber wir sprechen ja auch mit Geräten, zumal wenn sie so tun, als würden sie uns verstehen und uns antworten

Aber immerhin ist ein Baum ein Lebewesen, das durchaus beeindrucken kann, aber er verhält sich nicht zu den Menschen, seine möglichen Reaktionen bemerken wir nicht, er kommuniziert nicht, leidet nicht einmal offensichtlich, wenn wir ihn fällen, ihn zurechtstutzen oder Zweige abbrechen. Dennoch können offenbar auch Bäume als Projektionsflächen dienen. Manche können sich ihnen anvertrauen, ihnen etwas erzählen, sie fragen oder sie zu einem wirklichen Gegenüber machen. Vielleicht ist gerade ihre unerschütterliche Stummheit, ihre pure Existenz, ihr Geheimnis das, was uns fasziniert an ihrer Lebendigkeit, die uns so fern ist.

Nett ist schon die Idee, einen Baum zu fragen, ob er auch über die griechische Schuldenkrise besorgt sei und ob Griechenland in der EU bleiben soll.

An eine Algerische Eiche ging eine Email, in der sich der Autor dafür bedankt, dass sie den Menschen Sauerstoff schenkt, daneben sei sie einfach schön. Oder ein Amerikaner gibt sich als Amerikanische Weiß-Eiche, der ihrer australischen Genossin einfach mal einen Gruss schickt. An eine Ulme wird ein Liebesbrief gerichtet. Der Schreiber sei bei ihrem Anblick nicht von einem Ast, sondern von ihrer strahlenden Schönheit erschlagen worden: "Du musst solche Botschaften die ganze Zeit erhalten. Du bist so ein attraktiver Baum." Gut, dass Bäume auch nicht erröten können.

Offenbar meinen die Angestellten, es sei gut oder witzig, auf die Emails an die Bäume zu antworten, und zwar so, als hätten die Bäume selbst zurückgeschrieben. Vielleicht fühlt man sich verantwortlich, der Aufklärung verpflichtet oder glaubt, es sei einfach höflich, etwa auf Fragen zu antworten. Beispielsweise auf eine Mail, deren Autor nicht weiß, ob Bäume ein Geschlecht haben. Selbst auf die Frage nach Griechenland fühlte man sich bemüßigt, eine Antwort zu geben, die aber nicht wirklich glückt, weswegen der Schreiber sich darauf zurückzieht, eben nur ein Baum zu sein.

Es entwickelt sich also ein Spiel, das die städtischen Angestellten schnell in Probleme stürzen könnte, wenn sie etwa nach einer ersten Antwort eine weitere Kommunikation verweigern und das begonnene Spiel abbrechen, weil sie keine Zeit dafür haben oder ihnen die Konversation zu persönlich wird. Und betrügen sie als Angestellte nicht eigentlich die Bürger, wenn sie so tun, als wären sie ein Baum? Zumal man sich ja auch direkt an das "Urban Forest Team" wenden kann. Vielleicht wäre es besser, intelligenten Agenten, die einen Baum mimen, das Kommunikationsspiel anzuvertrauen. Dann würde die Fremdheit der Bäume durch die Fremdheit der KI ergänzt.