Bure: erstes europäisches Endlager für hochradioaktiven Atommüll?

Frankreich: Im Wirtschaftsgesetz "Macron" versteckt findet sich eine Regelung, die Pläne für ein Endlager in Lothringen forciert

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Atommüll ist politisch gleichbedeutend mit Ärger, auch im Atompark Frankreich. Also hat die französische Regierung zu einer Art Hütchentrick gegriffen, nachdem die Umweltministerin mit dem Thema in ihrem Ressort nichts zu tun haben wollte: Sie hat eine gesetzliche Verfügung zur Lagerung hochradioaktiver Abfälle in ein Gesetzespaket verpackt, das wirtschaftliches Wachstum und Investitionen ankurbeln soll und das "nur einem Interesse dient", dem der Allgemeinheit.

Das ist nicht die einzige Finte, die das Prozedere fernsehserienreif macht. Das Gesetz Macron, benannt nach einem Ex-Investmentbanker, der nun Wirtschaftsminister ist, wurde ohne Abstimmung in der Nationalversammlung durchgedrückt. Das ist in Frankreich nach Artikel 49 (3) der Verfassung bei Gesetzen möglich, wenn es um Finanzen geht. Dann genügt für die Verabschiedung eines Gesetzes, dass der Premierminister, nach Absprache mit dem Kabinett, die Verantwortung der Regierung vor der Assemblée nationale geltend macht.

Der Artikel 201 des Gesetzes Macron, der die Lagerung von radioaktiven Abfällen regelt, wurde damit ohne Abstimmung verabschiedet. Der andere große Aufreger: Er wurde in letzter Minute dem Loi Macron hinzugefügt, unbemerkt. Die öffentliche Aufmerksamkeit galt anderen Themen des Macron-Gesetzentwurfs.

Saarland: Angst vor dem "gefährlichsten atomaren Dreieck Europas"

Das könnte sich jetzt ändern. Heute befasste sich zum Beispiel der saarländische Landtag mit den Implikationen des Artikels 201, nämlich, dass der lothringische 86-Einwohner-Ort Bure Standort für ein Atommülllager wird (Bure - erstes Atomendlager Europas?). Bure liegt in der Luftlinie nur etwa 150 Kilometer vom Saarland entfernt. Die Ängste im Saarland fasst die Linke-Abgeordnete Dagmar Ensch-Engel zusammen, wenn sie vom "gefährlichsten atomaren Dreieck Europas" spricht: Endlager Bure, dazu die "Pannenreaktoren" in Cattenom und Tihange.

In einer gemeinsamen Resolution aller Fraktionen sprach man sich gegen die geplante Deponie aus und forderte, die deutsche Bundesregierung dazu auf, der französischen zu erklären, dass dieser Standort für die Region unzumutbar wäre.

Auch der saarländische Umweltminister Reinhold Jost (SPD) kritisierte das Vorgehen der französischen Regierung scharf. Düpiert würden nicht nur die französischen Bürger, "sondern alle Menschen in der Großregion".

Ob die Kritik aus Deutschland die französische Regierung zum Umdenken bewegt, ist fraglich. Allerdings wächst auch in Frankreich Widerstand. Die bekannten Anti-Atominitiativen in Frankreich haben die Endlager-Irreführung längst entdeckt, wie z.B. Sortir du Nucleaire und mobilisieren dagegen

Die Regierung habe den Ökologen mit dem eingeschmuggelten Gesetz den Krieg erklärt, zitiert Le Monde Abgeordnete der französischen Grünen (EELV). Auch deren Generalsekretärin ist wütend und spricht von einem "schweren Fehler der Regierung". Immerhin: Bisweilen wirbt die PS-Regierung noch, der Mehrheit im Parlament willen, um die Gunst der Öko-Partei.

Ausstehende Genehmigungen

Mehr Schwierigkeiten könnte der Regierung allerdings bereiten, was der saarländische Umweltminister anspricht, dass das Gesetz Macron kein vorgeschriebenes Genehmigungsverfahren ersetze.

Tatsächlich muss die französische Behörde Andra, die für die Entsorgung und Endlagerung radioaktiver Abfälle zuständig ist, für die Schaffung eines Atommülllagers in Bure erst eine Ermächtigung dafür beantragen, berichtet Le Monde.

Zudem geht aus dem Artikel hervor, dass die gesetzlichen Regelungen im Artikel 201 des Loi Macron nicht eindeutig festlegen, dass Bure, wie die Gegner schon seit längerem befürchten oder ahnen, zum ersten Atommüllendlager der Welt wird.

Bure, so Le Monde, könne nicht ohne weitere Genehmigungen und gesetzliche Schritte zu einem Endlager werden. Das Projekt Cigéo, unter dem die Andra-Pläne zur langfristigen Lagerung von Atommüll in Bure firmieren, sei allerdings durch das Gesetz ziemlich gut eingemauert.

Kritiker machen, wie an dieser Stelle bereits berichtet, seit vielen Jahren "auf viele ungeklärte Fragen aufmerksam, denen bis jetzt nicht nachgegangen wurde, auf Hohlräume im Gestein, Trinkwasseradern, Feldspalten und die Reaktion des Gesteins auf die Wärme der radioaktiven Behälter". Dazu kommen enorme Kosten.

Sollte Andra bis 2017 eine Genehmigung für die Schaffung eines Atommülllagers bekommen, dann kommen geschätzte Kosten von rund 36 Milliarden Euro auf die französischen Steuerzahler zu, berichtet die französische Zeitung. Mit dem Zusatz, dass die endgültigen Kosten unbekannt sind.