"Russland ist für die USA eine größere Bedrohung als der Islamische Staat"

Im Pentagon schießt man sich auf Russland ein

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Luftwaffengeneral Paul Selva, den US-Präsident Obama als Vizevorsitzenden der Joint Chiefs of Staff nominiert hat, erklärte am Dienstag bei einer Anhörung vor dem Streitkräfteausschuss des Senats, dass Russland die größte Bedrohung für die USA seien. "Russland verfügt über die konventionellen und nuklearen Möglichkeiten, eine existentielle Bedrohung dieser Nation zu sein, wenn sie sich dafür entscheiden", sagte er den Senatoren und stellte eine Liste mit den größten Bedrohungen auf, auf der Russland ganz vorne steht, gefolgt von China, Iran, Nordkorea und den mit dem Islamischen Staaten zusammenhängenden Organisationen.

Eine Woche zuvor hatte sich der für das höchste Amt im Pentagon, für den Vorsitz der Joint Chiefs, von Obama ausersehene Marine-General Joseph Dunford ganz ähnlich in einem Ausschuss geäußert. Die Haltung ist also abgesprochen, die Sprachregelung wird eingehalten. Auch Deborah James, die zivile Chefin der Air Force, hatte von Russland als der "größten Bedrohung" gesprochen (Pentagon rüstet gegen Russland auf). Damit reagieren die US-Militärs wahrscheinlich auch auf die russische Doktrin, die im Dezember 2014 ausgegeben und in der die USA als die größte militärische Bedrohung betrachtet wurde. Spätestens seit dem Ukraine-Konflikt rüsten beide Seiten auf, durchaus auch mit nuklearen Fähigkeiten, provozieren mit Überflügen und Truppenübungen. In der vor kurzem veröffentlichten Nationalen Militärstrategie war auch bereits Russland mit seiner hybriden Kriegsführung herausgehoben worden.

Der republikanische Vorsitzende John McCain, der Vorsitzende des Ausschusses, fragte Selva offenbar verwundert nach, warum Russland nun als gefährlicher als der IS betrachtet werde. In seinen Bemerkungen zur Eröffnung hatte er als die größte Bedrohung die Terrorarmee des IS ausgemacht, gefolgt von Iran und erst an dritter Stelle Russlands "revisionistische Invasion in die Ukraine". Die Antwort von Selva erstaunt, denn sie leugnet die Rechtfertigung für den militärischen Einsatz der von den USA geführten Koalition:

"Weil jetzt ISIS noch keine klare und vorhandene Bedrohung für unsere Heimat und die Existenz unserer Nation darstellt. Es ist eine Bedrohung, mit der wir uns beschäftigen müssen, wir müssen auch unseren regionalen Partner helfen, damit umzugehen, aber ISIS bedroht uns nicht zuhause.

Paul Selva

Als Obama die Luftschläge gegen den IS im Irak im September 2014 startete, war dieser für ihn damals noch die größte Gefahr, wie er in einer Rede:

At this moment, the greatest threats come from the Middle East and North Africa, where radical groups exploit grievances for their own gain. And one of those groups is ISIL -- which calls itself the "Islamic State".

US-Präsident Obama

Und bemüht um die Rechtfertigung des neuen Kriegseinsatzes unter Berufung auf die "Authorization for Use of Military Force" (AUMF) aus dem Jahr 2001, mit der der Kongress den zeitlich unbegrenzten Krieg gegen al-Qaida gebilligt hat (Repräsentantenhaus und Senat ermächtigen Präsident Bush zum Krieg), sowie der Kriegsermächtigung vor dem Irak-Krieg 2002, musste Obama betonen, dass ISIL zwar primär die arabischen Länder sowie US-Bürger und humanitäre Aktionen vor Ort bedroht, aber auch die USA angreifen könnte, wenn nicht eingeschritten wird.

Hatte man seit 2001 den Globalen Krieg gegen den Terrorismus in der Regel als größte Gefahr gesehen, scheint man nun wieder die Aufmerksamkeit auf mögliche zwischenstaatliche Kriege zu richten, für die nicht nur die nukleare Abschreckung wieder entdeckt wird - vom Abrüsten der Atomwaffen, was Obama einst versprochen hatte, hört man dementsprechend nichts mehr -, sondern auch die großen Heere und schweren Waffen sowie die Nato und die von den USA geforderten größeren Rüstungsausgaben im Gegensatz zu den asymmetrischen Kriegen wieder wichtiger werden.

Man müsse, so Dunbar während der Anhörung vor einer Woche, das "Abschreckungs- und Reaktionsmodell" gegenüber der heutigen Drohung aktualisieren, "die als eine hybride Bedrohung seitens Russland beschrieben wurde, das politische Instrumente, unkonventionelle Kriegsführung und Unterstützung von Separatisten in diesen Ländern kombiniert". Das unterscheidet freilich die amerikanische und russische Kriegsführung nicht, soll aber gegen den Politiker und der Öffentlichkeit die Angst vor einer angeblich neuen, noch nicht beherrschbaren Kriegsführung erregen, gegen die man sich ebenso hybrid wie mit konventionellen und nuklearen Waffen zur Wehr setzen muss. Auf dem Hintergrund der Sparmaßnahmen in den USA, die auch das Militär betreffen, kämpft man natürlich auch um den Erhalt der Ressourcen.