"Iran wird als Gegengewicht zu Saudi-Arabien benötigt"

Persepolis. Bild: Arad/CC BY-SA 2.5

Ex-CIA-Agent und Nahostexperte Robert Baer über Auswirkungen der Atomvereinbarung mit Iran

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Robert Baer arbeitete von 1976 bis 1997 für die CIA, er war als Agent in vielen Ländern des Nahen Ostens unterwegs und spricht fließend Arabisch wie auch Farsi, was ihn von vielen anderen Nahost-Experten unterscheidet. Seine Einschätzungen zur Situation in der Region sind nicht unumstritten, weil er gerne zuspitzt, aber immer interessant und instruktiv. Telepolis sprach mit ihm über Auswirkungen des Wiener Abkommens auf die Machtgefüge und Allianzen im Nahen und Mittleren Osten.

Halten Sie das Wiener Abkommen, welches nach jahrelangen Verhandlungen erzielt wurde, für eine historische Zäsur, bezüglich der Zukunft der Region?

Robert Baer: In der Tat. Das Abkommen von Wien wird nicht nur den Iran verändern, sondern die ganze Region des Nahen und Mittleren Ostens. Iran wird jetzt deutlich an Einfluss gewinnen, wie es auch dem politischen,demographischen und kulturellem Potential dieses Landes entspricht.

Fast könnte man von einer Renaissance des alten persischen Einflusses sprechen, in einer seit Jahrhunderten von Arabern dominierten Region. Nicht zuletzt zählt für Washington, dass in Iran der Antiamerikanismus längst Vergangenheit ist; keine andere muslimische Gesellschaft im Nahen Osten ist so proamerikanisch wie die iranische.

Wie wird sich das Abkommen auf die radikalen Kräfte in Teheran auswirken?

Robert Baer: Die Radikalen werden an Bedeutung verlieren, denn sie profitierten von den Sanktionen. Die Revolutionswächter, im Verbund mit ordinären Schmugglern, haben sich in diesem Zeitraum bereichert. Was den Revolutionsführer Khamenei angeht, trotz gegenteiliger Rhetorik: Ohne ihn wären die Wiener Verhandlungen nicht zum Durchbruch gelangt.

Auch hier zeigt sich ein gewachsener Pragmatismus, der auch durch den Druck durch die iranische Gesellschaft entstand, die längst in Richtung mehr Offenheit und Liberalität tendiert. Khamenei hat erkannt, dass das Land erst dann außenpolitisch als starker Akteur in Erscheinung treten kann, wenn die innenpolitischen Konflikte zwischen dem Regime und der sich nach mehr Freiheit sehnenden Gesellschaft gelöst sind.Präsident Rohani kann so seine Reformpläne leichter verwirklichen.

Und Saudi-Arabien wird an Einfluss verlieren?

Robert Baer: Richtig. In Washington hat man auch endlich erkannt, dass Saudi-Arabien seine Umgebung in eine wahhabitische Wüste verwandelt und dass diese Politik immer weniger mit westlichen Interessen übereinstimmt.

Iran wird als Gegengewicht zu Saudi-Arabien benötigt, und auch im Krieg gegen den "Islamischen Staat", wo schon amerikanische Kampfflugzeuge in der Luft und von Iran geführte Soldaten am Boden kooperieren. Saudi-Arabien konnte nur aufgrund der Fehlkalkulationen des Westens, durch die Aufrüstung des Regimes in Riad, so stark an Einfluss gewinnen.

"Iran ist geradezu eine Insel der Stabilität in dieser unruhigen Region"

Weshalb hat sich die amerikanische Perspektive gegenüber dem Iran verändert?

Robert Baer: Erstens durch die Erkenntnis, dass die bisherige Nahost-Politik Washingtons gescheitert ist. Die USA sind ja zu 90% für das jetzige Chaos verantwortlich. Was wurde denn aus "dem Leuchtturm der Demokratie ", von dem George Bush einst faselte?

Und zweitens durch ökonomische Interessen. Die amerikanischen Unternehmen stehen schon längst Schlange, denn die iranische Wirtschaft, vor allem die Ölindustrie, muss dringend modernisiert werden.

Drittens durch eine gewisse militärische Erschöpfung und Abnutzung, verbunden mit der Sehnsucht der Amerikaner, sich aus dem Nahen Osten zurückzuziehen.

Wird Iran jetzt also zu einer Supermacht, wie Sie es in Ihrem Buch "The Devil we know" analysieren?

Robert Baer: Zumindest zu einer regionalen Supermacht. Iran verfügt jetzt ja schon über einen gewaltigen Einfluss, vom Persischen Golf bis hin zum Mittelmeer, im Irak, Syrien, im Libanon, im Jemen, auch in Afghanistan. Der Niedergang Saudi-Arabiens, der wohl nicht mehr aufzuhalten ist, wird Teherans Position stärken.

Im Vergleich zu seinen Nachbarstaaten ist Iran geradezu eine Insel der Stabilität in dieser unruhigen Region. Es ist eine Nation mit gewaltigem Potenzial, das bisher aber nicht ausgeschöpft wird, mit natürlichen Grenzen, einem stabilen Staatsaufbau und einer starken Armee.

Wie wird sich das Abkommen auf den Bürgerkrieg in Syrien auswirken?

Robert Baer: Positiv. Iran, als Schutzmacht des Regimes, kann nun direkt mit dem Westen zu einer politischen Lösung gelangen, ohne Assad. Das Atomabkommen allein wird allerdings noch keinen Frieden in der Region schaffen, weil das Verhältnis Irans zu Israel ungeklärt bleibt. Da ist Teheran gefordert, die antiisraelische Propaganda zu vermindern, als auch mäßigend auf die Hisbollah im Südlibanon einzuwirken.

Wird man sich damit in Jerusalem zufrieden geben?

Robert Baer:: Nun, in Israel hat sich auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass der IS an den eigenen Grenzen eine viel größere Gefahr darstellt als das Assad-Regime. In der Führungsspitze des israelischen Geheimdienstes hat man die Einschätzungen Nethanjahus bezüglich der iranischen Gefahr so auch nie geteilt.