Nach EGMR-Urteil: Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in ganz Europa ?

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Italien zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften aufgefordert

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat gestern Beschwerden von drei schwulen Paaren stattgegeben, die beklagten, dass sie in Italien nicht heiraten könnten, obwohl sie bereits jahrelang zusammenleben.

Dem Ansinnen auf eine Ehe mochte das Gericht in seiner Entscheidung nicht zustimmen. Es forderte die italienischen Gesetzgeber jedoch dazu auf, für eine bislang fehlende staatliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften zu sorgen. Die bisherigen Regelungen seien unzureichend.

Für seine Entscheidung machte EMGR das Grundrecht der Paare auf Privat-und Familienleben nach Artikel 8 der europäischen Menschenrechtskonvention geltend. Da Homosexuelle langfristige Beziehungen eingehen, haben sie, wie heterosexuelle Paare auch, Anspruch darauf, dass ihre Beziehung legalisiert und geschützt wird. Dem muss der Gesetzgeber in Italien Recht tragen, entschied der Gerichtshof:

In Ermangelung der Ehe ist die Option einer nichtehelichen oder eingetragenen Partnerschaft der angemessenste Weg für gleichgeschlechtliche Paare wie die Beschwerdeführer, damit ihre Beziehung legal anerkannt wird.

lto

Bemerkenswert an der Entscheidung ist nun, dass sie prinzipiell, wie etwa französische Medien anmerken, "automatisch" für andere europäischen Länder im Geltungsbereich des EGMR auch anzuwenden ist.

Rome Gay Pride, 2010 Bild: Blackcat/CC BY-SA 3.0

In 24 Mitgliedsländern des Europarates gibt es bereits Formen der eingetragenen Partnerschaft, in 23 noch nicht, notiert Le Monde. Die dürften bei dem Urteil aufhorchen. Denn die Richter haben für ihre Entscheidung ein bemerkenswertes Kriterium herangezogen, nämlich die Meinungslage im Land zur Frage der Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften.

Die Anrufungen italienischer Gerichte in dieser Frage, so die EGMR-Richter, "spiegeln die Gefühle einer Mehrheit der italienischen Bevölkerung wieder. Wie aus kürzlichen Umfragen hervorgeht, unterstützt sie die legale Anerkennung homosexueller Paare".

2010 habe sich das Gericht noch gegen ein Recht auf eine eingetragene Partnerschaft ausgesprochen, nun berücksichtigt es einen gesellschaftlichen Wandel, einen Konsens, der sich zugunsten der legalen Anerkennung bzw. Absicherung gleichgeschlechtlicher Paare verändert hat, und verleiht dem ein großes Gewicht bei der Entscheidung, wie Experten konstatieren. Nicht nur bei Le Monde:

Wie 2013 in seiner Entscheidung zu heterosexuellen Paaren vorbehaltenen Lebenspartnerschaften in Griechenland verwies der EGMR auch jetzt auf einen "Trend" unter den Mitgliedsstaaten des Europarats, gleichgeschlechtlichen Paaren eine offizielle Registrierung zu ermöglichen. Diese Möglichkeit bestehe inzwischen in 24 (2013 noch 19) der 47 Mitgliedsstaaten. In Italien komme hinzu, dass auch das Verfassungsgericht und nach Umfragen auch eine Mehrheit der Bevölkerung diesen Schritt befürworteten.

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Die Frage, die sich damit stellt, ist, wie die Kriteriengewichtung bei Ländern aussieht, die wie Ungarn, Polen oder Russland die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften verweigern. Der Trend und die Meinungsumfragen dürften dort auch gegen die Legalisierung ausfallen. Müssen homosexuelle Paare in diesen Ländern warten, bis der Konsens kippt, um mit etwaigen Klagen gegen die bisherige Gesetzgebung durchzukommen?

Andererseits sind die rechtlichen Grundlagen für das Schutzbedürfnis der gleichgeschlechtlichen Paare, die der EMGR bei seiner aktuellen Entscheidung geltend gemacht hat, ja auch dort in Anschlag zu bringen.