Ostukraine: Rückzug der schweren Waffen 2.0

Kiew und die Separatisten spielen mit dem Minsker Abkommen

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Es scheint nach monatelangem brüchigem Waffenstillstand endlich einmal wieder ein Fortschritt bei der Umsetzung des Minsker Abkommens erreicht worden zu sein. Die Trilaterale Kontaktgruppe in Minsk hat offenbar zustande gebracht, dass beide Seiten die schweren Waffen, wie im Abkommen schon lange vorgesehen, hinter die Kontakt- oder Frontlinie zurückziehen

Der ukrainische Präsident Poroschenko hat die Vertreter der Ukraine, die unter Vorsitz der OSZE mit Vertretern Russlands und der Separatisten verhandeln, um keine direkten Gespräche führen zu müssen, angewiesen, den Beschluss zu unterzeichnen, eine 30 km breite Pufferzone einzurichten. Zurückgezogen werden sollen schwere Waffen wie Panzer oder Artillerie. In Kraft treten soll die Vereinbarung in einigen Tagen, ob sie besser eingehalten wird als die bisherigen Zusagen, ist fraglich. Schließlich soll jetzt nur geschehen, was eigentlich schon längst hätte realisiert werden müssen, aber von beiden Seiten permanent durchbrochen wurde.

Für die Menschen, die in der Pufferzone oder nahe ihr noch leben, wäre der Abzug der schweren Waffen ein Geschenk. Immer mussten Zivilisten auf beiden Seiten damit rechnen, dass sie beschossen werden. Zudem würde der Rückzug der schweren Waffen einen plötzlichen Ausbruch größerer Kampfhandlungen schwieriger machen. Innenpolitisch steht die ukrainische Regierung und vor allem Poroschenko, der seit Amtsantritt gegen die Falken versuchte, eine friedliche Lösung zu finden, jedoch unter Druck. Gerade hat der Rechte Sektor als Repräsentant der militanten Nationalisten beschlossen, wie auch immer ein Referendum durchführen zu wollen, in dem Poroschenko, der Regierung und der Rada das Misstrauen ausgesprochen und das Minsker Abkommen als Verrat verurteilt werden soll (Der Rechte Sektor kämpft ums Überleben).

Ganz allgemein ist die Frage, wie weit sich Poroschenko und die Regierung noch als Vertreter des Volkes sehen können, nach Umfragen würden gerade noch 13 Prozent Poroschenko wählen und um die 2 Prozent Jazenjuk (Ukrainische Regierung ohne Rückhalt in der Bevölkerung). Und man kann sich auch fragen, wie ernst es Poroschenko mit der Umsetzung des Minsker Abkommens wirklich ist. Beim nächsten Schritt, bei dem den "Volksrepubliken" ein Sonderstatuts gewährt werden müsste, versucht man dies pro forma gegenüber den westlichen Unterstützern und Geldgebern auszuführen, aber Bedingungen zu setzen, die von den Separatisten niemals akzeptiert würden (Kriegsgeschichten aus der Ostukraine).

Zudem hat Regierungschef Jazenjuk gestern wieder beim Treffen mit Nato-Kommandeur Breedlove deutlich gemacht, dass der Krieg im Schwebezustand für das Pleiteland auch den Vorteil mit sich bringt, politische, finanzielle und militärische Hilfe zu fordern. Nach Jazenjuk geht es nicht nur um die Verteidigung der Ukraine vor der russischen Bedrohung, von den ukrainischen Separatisten spricht er lieber schon mal nicht, sondern die "freie Welt" werde in der Ukraine verteidigt, letztlich auch die Sicherheit und wirtschaftliche Stabilität der gesamten Welt. Die Wortblasen werden unwidersprochen hingenommen, anders als gegenüber Griechenland ist man mit der Ukraine großherzig, wenn es um neue Geldspritzen geht (Frische 1,8 Milliarden aus der EU für die Pleite-Ukraine). Keinen Mucks hat man von Finanzminister Schäuble gehört, wenn wieder mal schnell Hunderte von Millionen Steuergelder in die Ukraine fließen.

Poroschenko jedenfalls verkündet, dass jetzt der wirkliche Waffenstillstand mit dem Abzug der schweren Waffen eintritt und "die von den Besetzern illegal gefangenen Geiseln" freigegeben werden. Da hört man allerdings wenig von Austausch der Gefangenen. Poroschenko hofft auch auf die "effektive Kontrolle der Vereinbarungen durch die OSZE". Die monierte freilich immer wieder, dass beide Seiten die Vereinbarungen verletzten.

Erst im letzten OSZE-Bericht wird beiden Seiten vorgeworfen, schwere Waffen an der Kontaktlinie zu haben, auch Wohngebiete zu schießen und die Arbeit der OSZE-Beobachter zu behindern sowie die OSZE-Drohnen zu jammen. Immer wieder kommt es dazu, dass zurückgezogene schwere Waffen nicht mehr da sind. Die OSZE-Beobachter halten fest, dass einige schwere Waffensysteme der Separatisten von der Kontaktlinie zurückgezogen wurden. Die Separatisten hatten einen unilateralen Rückzug auch von leichten Waffen angekündigt. Die OSZE räumt dies ein, sagt aber, das sei noch kein wirklicher Rückzug, den man bestätigen könne.

Man kann davon ausgehen, dass die Separatisten von einem Waffenstillstand am meisten profitieren würden. Zwar beanspruchen sie weitere Teile der Ostukraine für Neurussland, aber ein Waffenstillstand dürfte ihre Herrschaft in den "Volksrepubliken" stärken. Letztlich werden beide Parteien auf einen eingefrorenen Konflikt setzen, der ihre Überlebenschancen und die Unterstützung durch den Westen oder Russland sichern würde.