TTIP nach dem Etappensieg im EU-Parlament

"ISDS light" - Risiken und Nebenwirkungen

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Während am Mittwoch, 8. Juli 2015, in Straßburg vor dem EU-Gebäude globalisierungskritische Gruppen gegen das Freihandelsabkommen protestierten, sprach sich das Europaparlament grundsätzlich für das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP aus.

Es war der große Sieg des niedersächsischen SPD-Europaabgeordneten und Vorsitzenden des Handelsausschusses des EU-Parlaments, Bernd Lange. Seinen "Lange-Bericht" nahm das EU-Parlament mit 436 Stimmen dafür, 241 dagegen und 32 Enthaltungen an. Unter deutschen EU-Parlamentsabgeordneten (MdEP) lag die Zustimmungsquote sogar fünf Prozentpunkte höher:

  1. 64 der 96 deutschen MdEP unterstützten einen Abschluss von TTIP,
  2. 27 stimmten dagegen.
  3. geschlossene Zustimmung für Bernd Langes Empfehlungen gab es bei CDU/CSU und FDP,
  4. geschlossene Ablehnung bei den Grünen und den Linken.

Es votierten von den 27 EU-SPD-lern nur drei gegen diese grundsätzliche Zustimmung zu TTIP: Maria Noichl, Ismael Ertug und Dietmar Köster.

Mit dieser Abstimmung begrüßte das Europaparlament offiziell TTIP. Die EU-Kommission kann davon ausgehen, dass sie nach Schluss der Verhandlungen eine mehrheitliche Zustimmung erreichen kann — als Vorbedingung dafür, dass TTIP in Kraft treten könnte. Eine Bedingung dafür wäre, dass die Kommission viele der "Empfehlungen" des Parlaments bei den Verhandlungen berücksichtigt.

EU-Parlament stimmt mit Vorbehalten für "erfolgreichen Abschluss" von TTIP

Zum umstrittensten Aspekt der Verhandlungen zwischen den USA und der EU, dem Investitionsschutz, bittet das EU-Parlament in seiner Entschließung vom 8. Juli 2015, "das ISDS-Verfahren durch ein neues Verfahren … zu ersetzen [… mit] öffentlich bestellten, unabhängigen Berufsrichtern", "öffentlichen Verfahren" nach "demokratischen Grundsätzen" sowie mit einer "Berufungsinstanz", damit "die Ziele des Gemeinwohls nicht durch private Interessen untergraben werden können." Diese - und viele andere - Forderungen des Lange-Kompromisspapiers haben den vagen Charakter von "Empfehlungen an die Kommission".

Über einen Änderungsantrag, mit dem ein klares Verbot der privaten Schiedsstellen gefordert werden sollte, ließ Parlamentspräsident Martin Schulz nach langer Tagesordnungsdebatte gar nicht erst abstimmen.

Nachdem auch in der zehnten TTIP-Verhandlungsrunde Mitte Juli 2015 der Investorenschutz weiterhin ausgeklammert geblieben ist, wird die EU-Kommission in den nächsten Monaten "die EU-Staaten und das Parlament weiter zu Investorenschutz und Streitschlichtung konsultieren und dann den USA einen Vorschlag für weitere Verhandlungen vorlegen", sagte EU-Chefunterhändler Ignacio Garcia Bercero zum Abschluss der zehnten TTIP-Verhandlungsrunde am 8. Juli 2015. Man hofft auf beiden Verhandlungsseiten wohl, dass sich bis zum Jahreswechsel die Wogen glätten und der Widerstand aus der Bevölkerung sich totläuft.

Doch diese Hoffnung könnte trügen: Am 10. Oktober soll eine bundesweite Großdemonstration in Berlin stattfinden gegen diese "Ohrfeige für uns Bürger/innen" durch die EU. Sie zielt u.a. darauf, "die SPD wieder auf Kurs zu bringen" vor dem SPD-Bundesparteitag im Dezember.

Bernd Lange (SPD) von der Fraktion der europäischen Sozialdemokraten (S&D), hatte monatelang für sein "Kompromisspapier" mit einer Reform des Investitionsschutzes gekämpft. Einerseits sollte er von den Christdemokraten (EVP) mitgetragen werden, andererseits sprach er darin viele Kritiken von TTIP-Gegnern - teils konkret, teils vage - an. Bernd Lange schreibt seiner verabschiedeten Resolution eine langfristige Wirkung zu: "Die Prinzipien zum Investitionsschutz, die wir in dieser Resolution festgehalten haben, nehmen wir Sozialdemokraten zum Maßstab für alle Abkommen die uns vorgelegt werden. Sollte CETA ohne tiefgreifende Verbesserungen auf unserem Tisch landen, droht eine Ablehnung." Dieses Investitionsschutzmodell, so unnötig es für transatlantische Geschäfte ist, aber strategisch wichtig kann es als "Maßstab für alle Abkommen" werden, als "Goldstandard" und weltweiter Exportschlager besonders gegen die konkurrierenden BRICS-Staaten.

Wie war es zu diesem Etappensieg für TTIP und Investor-Staat-Klageverfahren gekommen?

Der Investitionsschutz bei TTIP ist deshalb so umstritten, weil es um nicht weniger geht als um das Verhältnis zweier in unseren kapitalistischen Gesellschaften als schützenswert geltenden Güter: Gemeinwohl versus Profite.

Schon das CETA-Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada trug einseitig Geschäftsinteressen Rechnung, wie am frisch geleakten Vertragstext gezeigt (Investment ohne angemessenen Profit kann als "indirekte Enteignung" gewertet werden. Auch die "Leitlinien für die TTIP-Verhandlungen", die das EU-Parlament am 17.6.2013 der EU-Kommission mit auf den Verhandlungsweg gab, gaben sich kapitalfreundlich:

"22. Bei den Verhandlungen im Bereich der Investitionen wird das Ziel darin bestehen, auf der Grundlage des höchsten Liberalisierungsniveaus und der höchsten Schutzstan-dards … auszuhandeln. … 23. [Es soll] das Ziel verfolgt werden, … die Förderung der europäischen Schutzstan-dards vorzusehen, was Europa für ausländische Investitionen attraktiver machen dürfte."

Leitlinien für die TTIP-Verhandlungen

Ist eine Globalisierung im Interesse von Investoren vereinbar mit einer Globalisierung im Interesse der Bürger? Die SPD sah auf ihrem 5. Parteikonvent am 20. September 2014 da keinen Gegensatz: "Handelsabkommen … bieten … die Chance, die Globalisierung der Märkte und Lebensverhältnisse sozial und ökologisch zu gestalten."

Die SPD wolle das Gemeinwohl regeln und versicherte: "Prinzipiell ist auszuschließen, dass [diese Regelung des Allgemeinwohls …] gefährdet, ausgehebelt oder umgangen wird oder dass ein Marktzugang, der solchen Regeln widerspricht, einklagbar wird."

Somit war der SPD-Parteikonvent nicht gegen, sondern nur nicht direkt für Investitionsschutzvorschriften: "Investitionsschutzvorschriften sind in einem Abkommen zwischen den USA und der EU grundsätzlich nicht erforderlich und sollten nicht mit TTIP eingeführt werden." Hauptsache, die Rechtsbegriffe stimmen: "In jedem Fall sind Investor-Staat-Schiedsverfahren und unklare Definitionen von Rechtsbegriffen, wie 'Faire und Gerechte Behandlung' und 'Indirekte Enteignung' abzulehnen."

Mittlerweile hat auch die Frühjahrskonferenz der Wirtschaftsminister der Bundesländer am 17./18. Juni in Hamburg sich einstimmig, also auch mit Zustimmung der Grünen Minister Tarek Al-Wazir (Hessen) und Eveline Lemke (Rheinland-Pfalz), grundsätzlich positiv für TTIP ausgesprochen. Man wolle "die Chancen des Freihandels deutlich machen". Lemke erklärte: "Die Wirtschaftsminister zeigen sich offen, wenn höhere amerikanische Standards zum Gegenstand der Vereinbarung werden. Zugleich begrüßt die Wirtschaftsministerkonferenz die Chance, durch TTIP … globale Maßstäbe zu setzen, die den Weg weisen für einen fairen globalen Wettbewerb."

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