Anti-Blair gewinnt Urwahl

Jeremy Corbyn wird neuer Labour-Vorsitzender

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Heute Mittag um 12 Uhr 45 Mitteleuropäischer Zeit gab die britische Labour Party bekannt, dass Jeremy Corbyn bei der Urwahl des neuen Parteivorsitzenden mit 59 Prozent der Stimmen klar siegte. An der Abstimmung beteiligten sich 422.664 Parteimitglieder, Mitglieder von Gewerkschaften und Sympathisanten, die sich für eine Erklärung zum Einverständnis mit den Grundsätzen der Partei und eine Schutzgebühr in Höhe von drei Pfund als Urwähler eintragen lassen konnten. Viele der Wahlwilligen aus dieser Gruppe wurden abgelehnt, weil Funktionäre hinter ihnen Anhänger anderer Parteien vermuteten, die nur deshalb für Corbyn stimmen wollten, um Labour weniger wählbar zu machen oder zu unterwandern.

Dass auch diese Ausschlüsse Corbyn nicht verhindern konnten, liegt unter anderem daran, dass sich der Kandidat jahrzehntelang erfolgreich als Außenseiter positionierte - ähnlich wie Donald Trump oder Bernie Sanders in den USA. Sein wichtigster Trumpf war, dass er praktisch gegen alles stimmte, was Tony Blair während seiner Regierungszeit ins Parlament einbrachte - und was sich später (wie zum Beispiel die Kriege im Irak und in Afghanistan) als teuer und schädlich herausstellte. Blairs Warnung, Corbyn werde Labour in den Untergang treiben, könnte dem bald neuen Vorsitzenden zusätzlich genutzt haben.

Die Marke Corbyn zieht - ähnlich wie die Marke Fred Perry. Foto: Christopher Davis.

Der sehr eindeutige Sieg Corbyns, dürfte aber auch daran gelegen haben, dass seine drei Gegenkandidaten vielen Wählern den Eindruck vermitteln, sie wären mit David Cameron oder Boris Johnson besser bedient:

Der mit 19 Prozent Stimmenanteil zweitplatzierte Andy Burnham, der beste Verbindungen zur Pharmaindustrie pflegt und vom umstrittenen Blair-Vordenker Lord Mandelson unterstützt wird, war unter Gordon Brown Minister für Kultur, Medien und Sport und erregte in diesem Amt unter anderem mit seinem Einsatz für die Verlängerung von Leistungsschutzrechten und mit der Äußerung Aufsehen, die britische Regierung müsse "Partner" der Musikindustrie sein. Seine damals verkündete Absicht, die Kontrolle des Internets so auszuweiten, dass sie der Fernsehaufsicht entspricht, konnte er wegen der Abwahl der Labour-Regierung 2010 nicht mehr umsetzen.

Die ehemalige Gordon-Brown-Ministerin Yvette Cooper, die mit 17 Prozent Stimmenanteil dritte wurde, hatte vor allem mit ihrer mehrfachen Mutterschaft für sich geworben. Die vierte Bewerberin, Liz Kendall, für die viereinhalb Prozent der Urwähler stimmten, unterschiedet sich von ihr weniger politisch als dadurch, dass sie keine Kinder hat.

Dass die Labour-Party-Elite bei der eigentlichen Vorsitzendenwahl auf dem Brightoner Parteitag Ende September putscht und einen anderen Kandidaten als den Urwahlsieger aufstellt und wählt, gilt als sehr unwahrscheinlich. Britische Medien glauben, dass sie abwarten wird, ob Corbyn mit seiner Gegnerschaft zu Interventionsabenteuern, seiner Weigerung, einen EU-Austritt auszuschließen, wenn sich Brüssel nicht reformiert, und seiner Kritik an der "Austeritätspolitik" Labour bessere Umfragewerte und Wahlergebnisse beschert - oder schlechtere.

Tritt letzteres ein, könnte das an Corbyns ideologischer Kompromisslosigkeit liegen, die sich unter anderem darin zeigte, dass er sich scheiden ließ, weil er seinen Sohn auf eine schlechtere Schule schicken wollte. Auch sein 491-Chamberlainismus (den er im Umgang mit den Terrororganisationen IRA, Hisbollah und Hamas an den Tag legte) könnte viele Wechselwähler abschrecken. Die Latte, die Corbyns Vorgänger Ed Milliband dem neuen Vorsitzenden bei der für Labour verheerenden Unterhauswahl im Mai legte, ist allerdings nicht sehr hoch.

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