Völkischer Zorn

Ist Deutschland auf dem Weg zu einem neuen rechten Terror? Zumindest brechen zivilisatorische Hemmschwellen, auch angesichts des Treibens im Internet

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Reale und verbale Gewalt gegen Asylsuchende und deren (künftigen) Unterkünfte wächst in Deutschland. Parteien vom rechten Rand wittern Morgenluft und liefern sich untereinander ein Wettrennen um die Gunst der rechten Wutbürger.

Richtete sich ihre Hetzpropaganda bis vor Monaten noch überwiegend gegen Muslime, so agitieren sie heute schwerpunktmäßig wieder gegen "Asylbetrüger", "Scheinasylanten", die "Asylflut" oder gar einem "Asyl-Tsunami". Der Konfliktforscher Andreas Zink warnt, Deutschland drohe ein rechter Terror.

Auf welcher Gratwanderung man sich in Deutschland derzeit befindet, zeigt ein Blick zurück: in den 1990er Jahren waren Asylsuchende und deren Unterkünftig massenhaft Ziel von Anschlägen, es kam zu Toten. Schließlich richtete sich der "Volkszorn" auch gegen alle in Deutschland lebenden Migranten, etwa bei dem mörderischen Anschlag in Solingen mit fünf toten Türkinnen, darunter drei Kinder. Der braune Mob differenzierte Anfang und Mitte der 1990er Jahre nicht mehr: Alles Fremde musste weg und falls nötig wollte man die Migranten so lange feindselig terrorisieren, bis sie es auch verstanden und das Land freiwillig verlassen würden. Aus jener Ursuppe heraus entstand später der NSU, der nach dem Prinzip "Taten statt Worte" handelte. Das "Terror-Trio" hatte offenbar erkannt, dass der alltägliche braune Terror Migranten nicht genug überzeugte, also musste ein anderes Kaliber her.

Wer wissen will, warum Neonazis nicht nur darüber diskutierten, in den Untergrund zu gehen und zu kämpfen, sondern dies seinerzeit auch zu tun bereit waren, der sollte sich durch zahlreiche Rechtsrock-Songs jener Tage hören. Rechtsextreme Musik war damals das wichtigste Propagandainstrument der Szene, braune Schläger, Brandstifter und Mörder sagten etwa vor Gericht aus, jene Musik habe sie aufgeputscht, dann seien sie zur Tat geschritten.

Es geht in den Songs um den Kampf gegen das System, gegen die Demokratie, gegen Migranten, Schwarze, Juden und Asylbewerber, gegen "Zecken" und Frauen, die "Rassenschande" begehen und "Ausländerhuren" seien. 1992 sangt die Band "Kraftschlag" über solche: "Raus mit den Ausländerhuren, raus mit der Asylantenflut, weg mit dem Ausländerpack, denn in Deutschland erwacht die weiße Wut".

Gewaltbereitschaft ist allgegenwärtig in den Songs aus jenen Jahren, eines der markantesten Beispiel ist ein Lied auf der konspirativ produzierten und später indizierten CD "Live in Teterow - 30. August 1997". Auf dem Tonträger werden keine Namen der Musiker genannt, lediglich gibt es einen Hinweis darauf, dass die Aufnahmen im "Rahmen eines Parteitages" getätigt wurden. Noch im selben Jahr, gut ein Jahr bevor der spätere NSU untertauchen musste, wurde die CD veröffentlicht. Angeblich handelt es sich bei einem der Sänger um einen in Szenekreisen auch als "Bonzenjäger" oder "Endlösung" bekannten "Liedermacher". Jener "Liedermacherabend" soll im Rahmen oder im Umfeld eines NPD-Parteitages in Mecklenburg-Vorpommern stattgefunden haben.

Im Song "Nehmt die Waffen" wird in zweieinhalb Minuten skizziert, an welcher Schwelle der NSU damals stand. Es wird gehetzt gegen "Asylbetrüger", gegen das "Zigeunerpack", gegen die "Itzigs" (Juden), "Linken" und "Pfaffen". Im Refrain heißt es: "Widerstand, nehmt die Waffen zur Hand, Granaten und Gewehre wie einst Äxte und Speere, jagt das Gesindel aus unserem Land." In einer Strophe heißt es: "Parlamente, Quasselbuden, da haben sie agiert, die Knechte der Juden, räuchert sie aus, schlagt sie zu Brei, der Schande ein Ende - Deutschland befreit." Das Publikum applaudiert am Ende gut gelaunt.

Im weitesten Sinne vereint der Liedtext klassische Feindbilder, die wir heute ebenso kennen aus Forendiskussionen, Reden oder Äußerungen "besorgter Bürger", die sich gegen Asylbewerber richten. Jene Feindbilder sind auch bekannt aus dem Umfeld von Islamfeinden, Ausländerhassern, Pegida, HoGeSa, EnDgAmE ("Engagierte Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas"), Rechtspopulisten und Neonazis. Mussten in den 1990er Jahren Neonazikader noch mühselig reisen, um vor Ort den Mob radikalisieren und anstacheln zu können, etwa 1992 bei den tagelangen Ausschreitungen, Pogromen und Anschlägen in Rostock-Lichtenhagen, radikalisiert sich heutzutage der "Volkszorn" in den sozialen Medien und über Blogs selbst oder wird dort durch geschickt über ihre Computer und Smartphones agierende Kader weiter angefixt.

Aus dieser Melange entstand einst der Massenmord eines Anders Behring Breivik, der jedoch nicht direkt in den Krieg zog, um Muslime oder Migranten anzugreifen, sondern die "Kulturmarxisten" in der Regierung und bei der sozialistischen Jugend attackierte. Dylann Roof erschoss anders als Breivik kürzlich in den USA Schwarze in einer Bibelstunde, wollte so einen "Rassenkrieg" entfachen; der Mörder war offenbar ebenso ein in der Gesellschaft Gescheiterter, der sich via Internet radikalisierte.