MH17: Blame Game

Russland wehrt sich mit nachvollziehbaren Argumenten gegen die Einrichtung des geforderten UN-Tribunals

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Am Mittwoch wird der UN-Sicherheitsrat offenbar über den von Malaysia eingereichte Resolutionsentwurf zur Einrichtung eines UN-Tribunals zur Verfolgung der für den Absturz der Passagiermaschine MH17 Verantwortlichen diskutieren. Unterstützt wird die Forderung nach einem Tribunal auch von den anderen Ländern, die am Gemeinsamen Untersuchungsteam (Joint Investigation Team - JIT) beteiligt sind, also von Australien, den Niederlanden, Belgien und der Ukraine. Mit einem Tribunal wollen die Länder die Aufklärung beschleunigen und sicherstellen, dass die Verantwortlichen belangt werden.

Allerdings ist der Abschlussbericht des Dutch Safety Board, der die technische Ursache untersucht, bereits fertig und liegt den Ländern vor. Er soll aber erst im Oktober veröffentlicht werden, aber am 10. August in einer geschlossenen Sitzung vorgelegt werden, so Olena Zerkal, die stellvertretende Außenministerin der Ukraine, obgleich die Veröffentlichung überfällig ist. Das sieht nach Verschleppung aus.

Die ebenfalls unter niederländischer Leitung erfolgende strafrechtliche Untersuchung scheint nicht recht voranzukommen. Der niederländische Staatsanwalt, der das internationale Team leitet, hatte erklärt, man sei den Tätern auf der Spur, die bei den Separatisten vermutet werden, verfolge aber weiter Alternativen zum Abschuss durch eine Buk-Rakete. Während man im Westen weitgehend einig ist, dass die Täter bei den Separatisten und /oder bei den Russen zu finden seien, bestreitet Moskau bekanntlich diesen Vorwurf und weist auf Kiew.

Nicht klar ist, warum die Länder, die an der strafrechtlichen Untersuchung beteiligt sind, also die Mittel in den Händen hielten, den Vorfall aufzuklären, ein UN-Tribunal fordern. Sollen die Befugnisse erweitert werden? Will man Russland unter Druck setzen? Oder gibt es innerhalb der Gruppe Differenzen? Malaysia erklärte, ein vom UN-Generalsekretär eingesetztes Tribunal sei unabhängig und neutral. Gleichwohl war die Reaktion der russischen Regierung zu erwarten gewesen. Sie lehnt die Einrichtung eines Tribunals ab - mit dem Argument, dass erst einmal die laufenden Untersuchungen zum Abschluss kommen sollten. Es sei zu früh und kontraproduktiv, jetzt bereits ein Tribunal einzurichten. Ein Grund könnte auch sein, dass jetzt Neuseeland den Vorsitz innehat, im August Nigeria, aber im September Russland.

Dem Vernehmen nach soll Russland eine Gegenresolution eingereicht haben, allerdings hat Russland als Ständiges Mitglied ein Veto-Recht. Es handelt sich mithin um ein politisches Spiel. Am vergangenen Freitag hat Valery Yermolov, der russische Botschafter in Malaysia, eine Pressekonferenz gehalten und die Gründe für das Verhalten Russlands vorgetragen, wo er im Wesentlichen Argumente wiederholte, die er bereits am 14. Juli veröffentlicht hatte. Man sei allerdings bereit, auf Malaysia zuzugehen. In welcher Form macht er nicht deutlich, möglicherweise wird dies am Mittwoch deutlicher. Die Pressekonferenz wurde von westlichen Medien gemieden, dementsprechend gab es auch keine Berichterstattung über die russische Argumentation, die man ja trotzdem nicht unterstützen muss.

Yermolov warf dem Gemeinsamen Untersuchungsteam vor, einseitig zu ermitteln und vorschnell die Schuldigen schon ohne wirkliche Beweise und ohne Erfüllung der UN-Sicherheitsresolution ausgemacht zu haben. Man wolle Russland den Prozess machen, um es im Interesse einiger Länder zu isolieren. Es sei unsinnig, ein weiteres Forum der Spekulation zu etablieren, vielmehr trete man dafür ein, die Untersuchung transparent durchzuführen. Russland sei interessiert an einer "unabhängigen und transparenten Untersuchung", das sei aber gegenwärtig nicht der Fall. Russland sei an der Mitwirkung bei der Aufklärung behindert worden, die Einbeziehung des russischen Repräsentanten sei nur nominell, die von Russland gelieferten Informationen seien nicht in Betracht gezogen worden. Russischen Experten sei der volle Zugang zu den Materialien des Gemeinsamen Untersuchungsteams verwerht worden. Auf der anderen Seite habe sich die Ukraine geweigert, die Aufzeichnung der Kommunikation der Fluglotsen mit den Piloten der MH17 zu veröffentlichen.

Es werden viele Vorwürfe aneinandergereiht. So habe man 2014 Fragen über die Untersuchung formuliert, aber im Sicherheitsrat sei darauf nicht reagiert worden. Die Vereinten Nationen hätten bislang keine Bedingungen für eine ausgewogene Untersuchung gemäß der Resolution vorgelegt. Angeführt wird, dass nach der UN-Resolution durch den Abschuss der MH17, so schrecklich dies gewesen sei, keine Bedrohung der internationalen Sicherheit vorlag. Es sei ein einzelner, krimineller Akt gewesen. Internationale Tribunale wie gegen Jugoslawien und Ruanda hätten nach Ansicht vieler gezeigt, dass sie "teuer, ineffizient und langsam" seien, zudem seien die Ergebnisse "hoch politisiert".

Für ähnliche Abschüsse von Flugzeugen habe es noch nie ein Tribunal gegeben. Erinnert wird an den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs 2001 durch die ukrainischen Streitkräfte, den eines iranischen Flugzeugs durch die US-Streitkräfte 1988 oder den einer libyschen Maschine durch die israelischen Streitkräfte 1973. Die standen zwar nicht im Kontext eines offenen Kriegs, sondern nur in dem des Kalten Kriegs, der aber gerade wieder auflebt.

Wie auch immer man die Weigerung von Moskau bewertet, jetzt ein Tribunal einzurichten, so richtig ist das Argument, dass hier aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der Sicherheitsrat handeln muss. Auch wenn eine Passagiermaschine abgeschossen wurde, wobei 298 Menschen den Tod fanden, handelt sich um keinen Völkermord wie in Ruanda oder Jugoslawien. Sollten Russland oder die Ukraine direkt verwickelt sein, wäre womöglich die Frage, ob die militärische Unterstützung der Separatisten durch Russland oder die militärische Antiterroroperation von Kiew mit einem Versuch, Russland und/oder die Separatisten zu denunzieren, relevant. Man wird davon ausgehen können, dass es angesichts der Interessenkonflikte keine befriedigende Aufklärung geben wird, wenn nicht die Ukraine, die USA oder Russland hieb- und stichfeste Beweise vorlegen, die sie eigentlich haben sollten.