Gaddafis Sohn Saif al-Islam zum Tode verurteilt

Lybien: Menschenrechtsorganisationen kritisieren einen unfairen Prozess. Die offizielle Regierung im Nordosten des Landes erkennt die Rechtssprechung außerhalb ihres Herrschaftsgebietes nicht an

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Nachrichten aus einem failed state: In einem Mamut-Verfahren gegen über 30 angeklagte Funktionäre des Gaddafi-Regimes verhängte ein lybisches Gericht mehrere Todesurteile durch Erschießen, so auch gegen Saif al-Islam, den Sohn des 2011 ermordeten Muammar al-Gaddafi.

Das Urteil des Gerichts mit Sitz in Tripolis wird von der offiziellen lybischen Regierung, die im Nordosten des Landes, in al-Baida, Zuflucht vor gegnerischen Milizen gefunden hat, nicht anerkannt, da man Verfahren außerhalb des kontrollierten Gebiets die Gültigkeit abspricht. Ein Widerruf des obersten lybischen Gerichtshofs gilt als wahrscheinlich. Der verurteilte Gaddafi-Sohn war nur an den ersten Prozesstagen präsent - über Videoeinspielungen.

Er ist in den Händen einer Miliz aus Zidan und wird dort auch bis auf weiteres bleiben. Die Miliz erklärte, dass man dem Gericht nicht traue.

Auch sieben weitere Angeklagte, die sich in den Händen von Milizen in Misrate befinden, nahmen laut Amnesty nur über Video am Prozess teil. Die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International wie auch Human Rights Watch kritisierten das Urteil scharf.

Das Gericht habe wesentliche Elemente eines fairen Verfahrens nicht berücksichtigt. Den Angeklagten wurde nur begrenzt Zugang zu ihren Verteidigern gewährt; sie kannten die Anklagen nicht, die gegen sie erhoben wurden, bei Verhören waren Verteidiger nicht zugegen, auch wurde ihnen das Recht auf Aussageverweigerung nicht gestattet.

Auch der britische Anwalt John Jones, der den Gaddafi-Sohn gegenüber dem ICC vertritt, spricht von einem "Schauprozess". Der Internationale Strafgerichtshof hatte 2012 und 2013 vergeblich versucht, den Prozess gegen Saif al-Islam an den Gerichtshof in Den Haag zu überführen (Saif al-Islam soll in Libyen vor Gericht).

Angeklagt im Verfahren, das letztes Jahr im März begann und im Mai dieses Jahres abgeschlossen wurde, waren mit Saif al-Islam, der frühere Geheimdienstchef Abdullah Sanussi sowie zwei frühere Premierminister aus der Ära Gaddafi, al-Baghdadi al-Mahmoudi und Abuzaid Dorda sowie weitere 28 Männer, die Posten in der früheren Führung des Landes innehatten.

Gegen die vier genannten sowie weitere fünf Angeklagten wurde die Todesstrafe verhängt. Die anderen 23 wurde zu Freiheitsstrafen zwischen fünf Jahren und lebenslänglich verurteilt.

Der ermittelnde Staatsanwalt des Büros in Tripolis, Sadiq al-Sur, machte laut Reuters keine Angaben zur konkreten Anklage. Er verwies auf die ausstehende schriftliche Urteilsbegründung. Nach bisherigen Berichten wurde den Angeklagten eine ganze Reihe unterschiedlicher Vergehen vorgeworfen, allen voran die Ausübung tödlicher Gewalt gegen unbewaffnete Demonstranten, aber auch Korruption und Vergewaltigung.

Im Dezmeber letzten Jahres gab der Justizminister der von der UN anerkannten Regierung in al-Beida bekannt, dass sämtliche Rechtssprechung, die außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete stattfände, einschließlich des Verfahrens gegen die Gaddafi-Funktionäre, nicht der Verantwortung der Regierung unterlägen - was einer Nicht-Anerkennung gleichkommt.