500 Prozent Zuwachs aus Albanien, dem Kosovo und Montenegro

Dr. Mehmet Ata vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu Problemen und Möglichkeiten bei der Bearbeitung von Asylanträgen

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Dieses Jahr werden in Deutschland 400.000 neue Asylbewerber erwartet. Das wären etwa doppelt so viele wie im letzten Jahr und über vierzehn Mal so viele wie 2008. Weil Unterbringungsmöglichkeiten fehlen, müssen sie teilweise in Zelten untergebracht werden, bis das mehrmonatige Prüfverfahren beendet ist. Wir fragten deshalb Dr. Mehmet Ata vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), warum die Prüfverfahren so lange dauern und wie man sie verkürzen könnte.

Herr Dr. Ata, warum dauern Asylverfahren so lange?

Dr. Mehmet Ata: Wir sind bei der Dauer der Asylverfahren bereits deutlich schneller geworden. Im vergangenen Jahr lagen wir noch bei 7,1 Monaten im Schnitt. Aktuell haben wir eine durchschnittliche Dauer von 5,3 Monaten. Das hat etwas damit zu tun, dass wir Ende letzten Jahres und Anfang dieses Jahres 650 neue Mitarbeiter einstellen konnten. Selbstverständlich möchten wir die Dauer der Asylverfahren weiter verkürzen. Es ist im Sinne der Asylbewerber, dass sie möglichst schnell Gewissheit darüber bekommen, ob sie in Deutschland ihre Zukunft planen können.

Wir haben es derzeit mit sehr vielen Asylanträgen zu tun. Bis Ende des Jahres rechnen wir mit 400.000 Erstanträgen und 50.000 Folgeanträgen. Das ist mehr als doppelt so viel wie 2014. Wir haben hohe Antragszahlen aus den Bürgerkriegsregionen in Syrien und den Nordirak auf der einen Seite, auf der anderen Seite sehr viele Anträge aus dem Bereich Westbalkan - insbesondere Kosovo und Albanien. Asylsuchende aus dem Westbalkan haben eine verschwindend geringe Chance auf eine Anerkennung als Flüchtling.

Was wird bei der Prüfung eines Asylantrags genau gemacht?

Dr. Mehmet Ata: In der Regel muss der der Asylbewerber seinen Antrag persönlich bei einer Außenstelle des Bundesamts stellen. Zu diesem Termin lädt das Bundesamt einen Sprachmittler ein. Der Entscheider trifft seine Entscheidung über den Asylantrag aufgrund einer Gesamtschau aller relevanten Erkenntnisse, insbesondere der persönlichen Anhörung.

Was sind die häufigsten Gründe für Verzögerungen?

Dr. Mehmet Ata: Vor der Entscheidung sind in einigen Fällen weitere Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhaltes erforderlich. Dazu besteht die Zugriffsmöglichkeit auf das Informationszentrum des Bundesamts. Darüber hinausgehende Recherchemöglichkeiten ergeben sich zum Beispiel über individuelle Anfragen an das Auswärtige Amt, Sprach- und Textanalysen, physikalisch-technische Urkundenuntersuchungen (PTU) sowie über medizinische oder sonstige Gutachten.

Erstaufnahmelager Moorpark in Hamburg-Jenfeld am 11. Juli 2015. Foto: An-d. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Könnte man nicht Abhilfe schaffen, indem man traditionelle Kommunikationswege durch elektronische ersetzt?

Dr. Mehmet Ata: Im Bereich Asyl haben wir es mit höchst sensiblen Daten zu tun. Wir haben Informationen zum Fluchtverlauf, Verfolgungen, Krankheiten usw. Zum Schutz dieser Daten sehen wir derzeit keine Möglichkeit, ausschließlich auf elektronische Kommunikationswege zu setzen.

Das BAMF hat aber bereits umfangreiche Maßnahmen getroffen, um die Verfahrensdauer zu verkürzen. Im Oktober 2014 haben wir ein verkürztes Verfahren für Antragsteller eingeführt, die nachweislich aus den Bürgerkriegsstaaten Syrien und Nord-Irak stammen, seit Juli 2015 gilt dies auch für Eritrea. Die Verfahrensbeschleunigung kommt zustande, indem auf ein persönliches Anhörungsgespräch zwischen Asylbewerbern und Entscheidern verzichtet wird. Stattdessen wird Eritreern, Syrern sowie Christen, Mandäern und Jeziden aus dem Irak die Möglichkeit eingeräumt, ihre Fluchtgründe schriftlich darzulegen. Hierfür stellt das Bundesamt einen Sprachmittler zur Verfügung und hält für sie einen vorbereiteten Fragebogen bereit.

Die Prüfung ihrer Anträge dauert mittlerweile in der Regel nur wenige Wochen, sie erhalten Schutz in der Bundesrepublik Deutschland. Das Bundesamt wird bis Ende des Jahres 1000 neue Mitarbeiter erhalten, zusätzlich zu denen, die wir bereits eingestellt haben. Im nächsten Jahr kommen dann nochmal bis zu 1000 hinzu.

Verzögern Staaten Verfahren?

Dr. Mehmet Ata: Das kommt in der Regel nicht vor.

Verzögern Asylbewerber selbst die Verfahren?

Dr. Mehmet Ata: Es kommt vor, dass der Antragsteller nach der Anhörung noch Unterlagen nachreichen muss. Dadurch ist das Verfahren noch nicht entscheidungsreif.

Was ließe sich dagegen unternehmen?

Dr. Mehmet Ata: Es werden bereits jetzt Fristen gesetzt, in denen die Antragsteller die Unterlagen nachreichen müssen.

Warum dauern Verfahren in verschiedenen Bundesländern sehr unterschiedlich lange?

Dr. Mehmet Ata: Die Verfahrensdauer in den Bundesländern hängt ganz stark von den Herkunftsländern ab, die bearbeitet werden. Neben wir zwei Beispiele: Die durchschnittliche Bearbeitungszeit in Mecklenburg-Vorpommern liegt bei 3,3 Monaten, in Schleswig-Holstein bei 7,9 Monaten. In Mecklenburg-Vorpommern werden viele Asylanträge aus Syrien, Serbien und Albanien behandelt - das geht vergleichsweise schnell. In Schleswig-Holstein haben wir aber auch viele Asylanträge von Menschen aus Afghanistan. Das sind oft komplizierte Fälle.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann diese Woche seine potenzielle Zustimmung zu einer Aufnahme Albaniens und des Kosovo in die Liste sicherer Herkunftsländer signalisiert, wenn die Zahl der Asylbewerber aus Serbien und Bosnien-Herzegowina gesunken ist, seit man sie zu solchen Ländern erklärt hat. Ist sie das?

Dr. Mehmet Ata: Wenn man die Länder Serbien, Bosnien und Mazedonien mit den anderen Ländern aus dem Westbalkan vergleicht, sieht man einen sehr deutlichen Effekt. Nehmen wir den Zeitraum sieben Monate vor der Einstufung als sichere Herkunftsländer und sieben Monate danach. Bei Serbien, Bosnien und Mazedonien gab es einen Anstieg um 12 Prozent. Bei Albanien, Kosovo und Montenegro einen um rund 500 Prozent.

Wären grenznahe Asylzentren für Asylbewerber aus dem Kosovo und aus Albanien, wie Horst Seehofer sie vorschlägt, eine Hilfe? Könnten Sachbearbeiter die Fälle dann spezialisierter (und deshalb schneller) bearbeiten? Und käme es zu weniger Konflikten, wenn Albaner unter sich sind?

Dr. Mehmet Ata: Die Bundesländer und das Bundesamt haben sich darauf verständigt, dass Asylsuchende mit sehr geringen Chancen auf einen Flüchtlingsschutz in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen bleiben sollen, bis über ihren Antrag entschieden worden ist. Das macht die Verfahren effizienter, weil die Menschen nicht erst auf die Kommunen verteilt werden. Ob die Länder dazu Einrichtungen aufbauen, die speziell für Menschen aus bestimmten Weltregionen vorgesehen sind, ist nicht unsere Entscheidung. Wir passen uns jeweils an.

Aus Syrien werden praktisch alle Asylbewerber anerkannt, aus dem Kosovo praktisch niemand. Aber warum ist die Anerkennungsquote aus Eritrea so hoch?

Dr. Mehmet Ata: Nach Expertenmeinung verschlechtert sich die Menschenrechtslage in Eritrea seit bereits 2001. Es gibt dort ein Einparteiensystem, Menschenrechtsorganisationen sind nicht zugelassen, die meisten internationalen Organisationen mussten das Land verlassen. In Anhörungen berichten uns Asylbewerber aus Eritrea oft, dass sie geflohen sind, um dem Nationaldienst - das ist ein sechsmonatiger Militärdienst - und in eine zivile Tätigkeit zu entkommen.

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