Neulandesverrat

Geheimorganisation Netzpolitik im Visier

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Der Generalbundesanwalt hat auf Betreiben des Inlandsgeheimdienstes ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats eingeleitet - nicht gegen überwachungseifrige Spione von NSA oder BND, sondern gegen die überwachungskritischen Blogger von netzpolitik.org

Im vor einem Monat vorgestellten Verfassungsschutzbericht findet sich zum NSA-Skandal nur ein magerer Absatz (S. 154), der dem inoffiziellen Motto des Partnergeheimdienstes folgt: N(ever) S(ay) A(nything). Der von CIA/NSA-Insider Edward Snowden bewirkte größte Leak der Geheimdienstgeschichte ist weder für die Generalbundesanwaltschaft noch für den Inlandsgeheimdienst mit dem Tarnnamen Verfassungsschutz ein Anlass, wenigstens ein Ermittlungsverfahren gegen die persönlich bekannten Spione aus Fort Meade oder im Darmstädter Dagger Complex einzuleiten. Nicht einmal das quasi sogar von Präsident Obama eingeräumte Abhören der Bundeskanzlerin vermochte die Spitzenbeamten zu juristischen Maßnahmen zu stimulieren.

Noch immer laufen BND-Schlapphüte und Kanzleramtschefs frei herum, die einen Großteil der innerdeutschen Kommunikation fröhlich in die USA ausleiten. In dem Land, in dem theoretisch die Vorbereitung eines Angriffskrieges unter Strafe steht, dürfen von Ramstein aus Menschen und ihre unbeteiligten Begleiter auf erstaunlich vager Verdachtslage hinterrücks exekutiert werden.

Doch wenn in der Bundesrepublik Neuland eine netzpolitisch interessierte Website zugespielte Geheimdokumente leakt, ja dann werden natürlich die Instrumente des Strafrechts ausgepackt. So haben die Polit-Blogger in den Beiträgen Geheimer Geldregen - Verfassungsschutz arbeitet an "Massendatenauswertung von Internetinhalten" vom 25.02.2015 und Geheime Referatsgruppe: Wir enthüllen die neue Verfassungsschutz-Einheit zum Ausbau der Internet-Überwachung vom 15.04.2015 zugespielte Dokumente geleakt, die auf eine professionelle Unterwanderung der politischen Online-Szene schließen lassen.

Dass der Geheimdienst Lecks in der eigenen Behörde abdichten will und "Doppelagenten" in seinen Reihen auch mit dem Strafrecht jagt, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber strafrechtliches Vorgehen wegen des Verdachts auf Landesverrat gegen Medienvertreter, die entsprechende Leaks auf aufgreifen, hatte man auf Bundesebene schon länger nicht mehr.

Ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats würde einen ernsthaften Anfangsverdacht voraussetzen. Zweifelhaft ist bereits, ob die Pläne zur Einrichtung einer Referatsgruppe zur Internetüberwachung als Staatsgeheimnis gewertet werden können, denn diese Nachricht hatte ihren Weg schon in die Presse gefunden. Die konkreten Dokumente dürften daher nicht sonderlich ins Gewicht fallen. Es reicht außerdem nicht, lediglich Staatsgeheimnisse "an einen Unbefugten gelangen zu lassen oder öffentlich bekannt zu machen, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen". Erforderlich ist vielmehr auch eine Absicht bzgl. dieser Gefahr.

Anders als bei vielen Tatbeständen des Strafgesetzbuches reicht eine bloß billigende Inkaufnahme nach herrschender Meinung nicht aus. Die Vorstellung, die Macher von netzpolitik.org hätten es auf eine Gefährdung der äußeren Sicherheit abgesehen, dürfte fernliegend sein.

Auf der Ebene der erforderlichen Rechtswidrigkeit darf man sich auch die Frage stellen, wer näher an der Verfassung ist - die Massenüberwacher privater Internetkommunikation oder die Leute, die ihre Grundrechte aus Art. 5 GG und Art. 10 GG einfordern. Bei einem solchen Selbstverständnis, wie es aktuell der Geheimdienst beweist, bekommt man einen Vorgeschmack davon, was demnächst mit den Daten aus der Vorratsdatenspeicherung von Maas passieren könnte.

Eine besonders gefährliche Agentin einer fremden ausländischen Macht hat der übereifrige Inlandsgeheimdienst allerdings wohl nicht kommen sehen: Die effektive Barbra Streisand, die seit Donnerstagabend auf einer alles anderen als geheimen Mission in Deutschland unterwegs ist. Die attraktive Spionin hatte bereits vor zwei Jahren dem französischen Geheimdienst Wikipedia-Manipulationen verhagelt.

Franz Josef Strauß hatte diese Erfahrung schon ein halbes Jahrhundert zuvor gemacht, als er ein bis dahin wirtschaftlich nur mäßig erfolgreiches Blatt durch Justizmissbrauch wegen eines gefühlten "Abgrunds an Landesverrat" zu einer Presse-Institution aufwertete. Am Donnerstagabend dauerte es nur wenige Stunden, bis die Website landesverrat.org der Farce ein Denkmal setzte.

Zur Schutz der Verfassung gibt es in Karlsruhe einen zuverlässigeren Dienstleister als den Verfassungsschutz. Spätestens dort wird die Agentenkomödie ihr Ende finden. So hatte sich das Bundesverfassungsgericht vor fast genau einem Jahrzehnt mit einem ähnlichen Fall befasst.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam hatte am 31. August 2005 ein Ermittlungsverfahren gegen den Chefredakteur und einen Journalisten wegen Verdachts auf Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses eingeleitet und die Redaktionsräume durchsuchen lassen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte Durchsuchungen für unzulässig, soweit sie ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu ermitteln. Die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses im Sinne des § 353 b StGB durch einen Journalisten reiche im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht aus, um einen den strafprozessualen Ermächtigungen zur Durchsuchung und Beschlagnahme genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen.

Bis die Karlsruher Richter die Vorratsdatenspeicherer und Generalbundesanwälte von Bundesjustizminister Heiko Maas wieder an die Kette gelegt haben, sollten sich die Blogger vorsichtshalber schon mal in der Berliner Botschaft von Ecuador einfinden.