Nach tödlichem Brandanschlag: "Tag des Zorns" bei den Palästinensern

Israel verurteilt "jüdischen Terror". Kritiker werfen Sicherheitsapparat laxen Umgang mit Extremisten vor

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Für den heutigen Freitag, Tag der Moscheebesuche, hat die Hamas den "Tag des Zorns" ausgerufen. Als ob es nicht schon genug Zorn gäbe. Zwei Terroranschläge haben Israel in den letzten beiden Tagen erschüttert, dazu kommen Meldungen von drei erschossenen Palästinensern, neue Spannungen auf dem Tempelberg und die Ankündigung neuer Siedlungsbauten im Westjordanland.

Auf ihrem englischen Twitter-Account ruft die Hamas den Tag des Zorns aus mit Verweis auf die "fortgesetzten Angriffe der Zionisten". Hinzugefügt wird das letzte Opfer, der anderthalbjährige Ali in Nablus. In einer arabischen Pressemitteilung erklärt der Hamassprecher Husum Badran, israelische Soldaten und Siedler zu "legitimen Zielen des Widerstands, überall und in jedem Fall".

Badran forderte alle Bewohner des Westjordanlands zum Protest gegen den Tod des Kindes auf - und für den "Schutz von al-Aqsa". Aus dem Zusatz ist ersichtlich, dass der Aufruf zum Tag des Zorns ursprünglich eine Reaktion auf Spannungen am Tempelberg war, in deren Folge israelischen Polizisten sogar in die al-Aksa-Moschee vordrangen.

Dazu kamen Meldungen von drei von der IDF getöteten, unbewaffneten Palästinensern, deren Vergehen unbekannt ist, so das Magazin +972 hatten die Stimmung zuvor schon hochgekocht. In dieses Klima hinein schlug dann die Nachricht von einem Brandanschlag auf palästinensische Häuser in einem Dorf im Westjordanland, bei Nablus.

Ein totes Kleinkind, vermutlich Opfer extremistischer Siedler

Bei dem Anschlag verbrannte der anderthalb-jährige Junge, drei Angehörige seiner Familie wurden schwer verletzt, zum Teil lebensgefährlich, mit Verbrennungen zwischen 70 und 90 Prozent. Die Bilder des kleinen Kindes im schwarzverräucherten Haus sind längst im Netz unterwegs. Es gibt keine Bilder, die mehr ans Herz fassen, als Bilder von getöteten, wehrlosen Kleinkindern.

Der israelische Ministerpräsident reagierte sehr schnell. Er verurteilte den fürchterlichen Akt des Terrors und versprach die harte Regierungslinie gegen den Terrorismus auch in diesem Fall anzuwenden, "egal wer die Täter sind". Ebenso die IDF-Führung : Dort sprach man von einem "jüdischen Terror".

Nach allen Indizien und laut Augenzeugenberichten stammen die mutmaßlich zwei maskierten Täter, die am frühen Freitagmorgen bei den Häusern beobachtet wurden, aus den extremistischen Reihen der Siedler. Auch Sprecher der Siedler verurteilten den Anschlag: als "unmoralisch und wider die Grundfesten des Judentums".

Armeeeinheiten sind mobilisiert; Verteidigungsminister Yaalon beteuerte, man werde keine "jüdischen Terroristen" zulassen. Auf Netzseiten wächst die Empörung. Die Palästinenservertreter Rudeineh und Saeb Erekat machten die israelische Besatzung, die "Kultur des Hasses, ausgehend von der israelischen Regierung" für den Terrorakt verantwortlich. Das Büro des PA-Chefs Abbas kündigte Schritte beim Internationalen Strafgerichtshof an.

Von einem Akt des Terrorismus wollte man bei der Zionistischen Union nicht sprechen, Jitzchak Herzog nannte den Brandanschlag ein Verbrechen aus Hass. Für Kritiker ist das ein Hinweis darauf, dass die Gewalt der Extremisten im israelischen Establishment falsch eingeschätzt werde. Man unternehme zuwenig gegen die "price tag"-Aktionen der radikalen Siedler - seit 2004 zählen die Palästinenser zehntausend solcher Racheaktionen. Die fehlende Entschlossenheit der Regierung, dagegen vorzugehen, würde der Gewalt das falsche Signal geben.

Zu viel Toleranz gegen Extremisten?

Am gestrigen Donnerstag war die israelische Öffentlichkeit von einer anderen extremistischen Tat erschüttert worden, die von einem polizeibekannten ultra-orthodoxen Homosexuellenhasser begangen wurde. Der Mann hatte auf sechs Teilnehmer einer Gay-Pride-Parade eingestochen.

Er war vor kurzem erst aus dem Gefängnis entlassen worden. Die Strafe verbüßte er, weil er eine ähnliche Tat bereits 2005 begangen hatte, ebenfalls bei einer Gay-Pride-Parade. Dabei kommen Lücken der Wachsamkeit der Polizei, ihrer Kommunikation und den Sicherheitsvorkehrungen zum Vorschein - zumal der Täter seine Tat anscheinend ankündigte.

Dazu werden Fragen danach aufgeworfen, wie die israelischen Behörden und die israelische Öffentlichkeit mit extremistischen Milieus umgehen. Rechtsradikale Gruppierungen im Umfeld der extremistischen Lehava, die den Behörden bekannt ist, hätten in unmittelbarer Nähe der Parade demonstrieren dürfen, so der Vorwurf von +972. Man gebe diesen Extremisten zu viel Raum und Foren in der Öffentlichkeit.

Ein Knesset-Abgeordneter kritisiert, dass die israelische Gesellschaft die Akzeptanz für andere verliere. Ein Tag des Zorns ist gewiss nicht das geeignete Gegenmittel. Laut Medienberichten wächst erneut die Angst, dass es zu Gewaltausschreitungen infolge des Terroranschlags auf die palästinensische Familie kommt. Bislang folgten solchen Eskalationen regelmäßig militärische Aktionen, die zur nächste Wendung der Gewaltspirale übergingen und den Palästinensern schließlich einen hohen Blutzoll abforderten.