"Erst als es wichtig wurde, kamen die Männer"

Benjamin Ruß, ein Sprecher des Bündnisses "Stop G7", über die Erfahrungen in der Pressegruppe der Gegner des G7-Gipfels

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Der G7-Gipfel auf Schloss Elmau im vergangenen Juni war auch ein gewaltiges Medienspektakel, 3.000 Journalisten hatten sich für das Pressezentrum akkreditiert. Die Berichterstattung lief dabei nach einem vorgegebenen Zeitplan ab, nur wenige Journalisten kamen überhaupt in die Nähe der sieben Regierungschefs.

Neben der Gipfel-Berichterstattung prägte auch die Berichterstattung über die Proteste der G7-Gegner vor Ort in Garmisch das mediale Gesamtbild. TV-Sender übertrugen live die Bilder der Demonstrationen und Aktionen. Die Medien griffen dabei auch auf die Informationen zurück, die das Bündnis "Stop G7" über eine Pressegruppe zur Verfügung stellte. Über die Erfahrungen mit einer "Protest-Pressearbeit" sprach Rudolf Stumberger mit Benjamin Ruß, einem der Sprecher des Bündnisses.

Bild: Bundesregierung/Kugler

Warum hast du dich für die Pressegruppe entschieden?

Benjamin Ruß: Das hat mich interessiert. Und in der Gruppe waren wir zunächst nur wenige Personen. Da habe ich mir gedacht, dann gehst du da rein, um die Gruppe zu unterstützen. Es war auch so, dass ich ganz am Anfang die erste Email-Adresse des Bündnisses eingerichtet hatte, da war dann auch mein Name im Umlauf. Das habe ich später allerdings ein bisschen bereut.

Warum?

Benjamin Ruß: Ich fand, dass ich etwa Richtiges mache und mich nicht dafür verstecken muss. Aber man ist persönlich dann schon sehr angreifbar, wenn man so namentlich exponiert ist. Da hat mir die Erfahrung gefehlt. Aber es war notwendig, dass jemand das macht.

Wie ging es weiter?

Wir waren alle sehr junge Leute, alle unter Dreißig, die so etwas vorher noch nie gemacht hatten. So haben wir ein Presseteam zusammengeschustert. Die Zeit in Garmisch war dann die intensivste, aber begonnen hat das Ganze bereits zwei Monate vorher.

Gab es jemand mit journalistischer Erfahrung?

Benjamin Ruß: Einer von uns hatte ein paar Seminare zu Öffentlichkeitsarbeit besucht. Unterstützt wurden wir durch Freunde, die selbst Pressearbeit machen, die haben uns Tipps gegeben. Unterstützung gab es auch von der linken Medienakademie in Berlin, da kam jemand, um uns zu beraten, etwa beim Schreiben von Pressemitteilungen. Ich war dort im März auch auf einem Seminar.

Wie war die Reaktion der Presse, gab es viele Anfragen an Euch?

Benjamin Ruß: Ja, es gab viele Anfragen. Hätten wir das professioneller betrieben, wären es noch mehr gewesen. Es hat sich dabei vor allem um deutsche Medien gehandelt; aus dem Ausland, der Schweiz etwa, gab es vereinzelte Anfragen. Auch von CNN und russischen Sendern. Mit mehr Aufwand wäre auch eine größere Aufmerksamkeit möglich gewesen. Aber für mich, der das noch nie gemacht hatte, war das schon unheimlich viel. Es war ein enormer Aufwand. Ehrenamtlich ist das eigentlich gar nicht zu bewältigen.

Gab es Unterschiede bei den Medien?

Benjamin Ruß: Anfragen kamen vor allem von Medien aus der Mitte und vom linken Spektrum. Wir hatten zwar einmal die "Bild" da, aber die ganz konservativen Medien kamen nicht. Da bin ich auch ganz froh drum. Ansonsten hatten wir Fernsehen, wir hatten Zeitungen, Magazine und unabhängige Videomacher, die uns befragt hatten, auch Jugendzeitschriften. Auch viele Radiosender, freie Radios.

Hattet ihr das Gefühl, dass ihr mit eurer Botschaft ankommt?

Wir haben es sicherlich nicht geschafft, unsere Meinung zur herrschenden Meinung in Deutschland zu machen. Aber wir haben es immer wieder in den wichtigen Medien geschafft, unsere Positionen zu vermitteln. In der "Frankfurter Rundschau" war ein Interview mit uns direkt neben der Regierungserklärung der Kanzlerin. Wir hatten auch mehrere Live-Schaltungen, also - wir sind schon zum Zug gekommen. Aber dominieren konnten wir die öffentliche Debatte nicht.

Bild: R. Stumberger

War Eure Arbeit auch für die Teilnehmer an den Protesten wichtig oder wussten die eh schon, um was es geht?

Benjamin Ruß: Wir wurden immer wieder von den Teilnehmern daraufhin angesprochen, was sie von uns in der Zeitung gelesen hätten, dass sie das gut fänden, es wurden sogar einzelne Zitate gebracht. Aber bei dem harten Kern, der die Proteste organisiert hatte und der auch im Camp schlief, bestand unsere Aufgabe vor allem darin, sie von der Presse abzuschirmen. Viele hatten schlechte Erfahrungen mit der Presse und wollten diese nicht im Camp haben.

Lief die Kommunikation in Garmisch vor allem über das Handy?

Benjamin Ruß: Das lief weniger als semiprofessionell. Ich habe ein ganz altes Handy und der Akku war regelmäßig leer. Ich musste mir sogar von einem Garmischer ein Aufladegerät ausleihen. Wir hatten dann noch ein extra Pressehandy, von dem aus wir die Anfragen auf die vier PressesprecherInnen in Garmisch verteilt haben. Das ging morgen um fünf Uhr los und nachts bis um zehn Uhr. Das war sehr anstrengend, vor allem, wenn man neben dieser ganzen Pressearbeit noch andere Dinge zu erledigen hat.

Du hast davon gesprochen, dass es ein Unterschied ist, wenn man die Journalisten auf der Straße trifft und dem, was sie dann schreiben?

Benjamin Ruß: Wir haben das intern reflektiert, es kann schon sein, dass viele Journalisten eine Methode entwickeln, um mit den Interviewten auf eine Wellenlänge zu kommen. Da wird immer zugestimmt und immer genickt. Bei unserer Pressereferentin haben wir festgestellt, dass die Männer sehr gönnerhaft daherkamen, von den Journalistinnen wurde teilweise mit uns geflirtet. Man hat auch das Gefühl gehabt, dass sie teilweise versucht haben, sich auf unsere Seite zu stellen. Das hat man aber dann in den Berichten nicht wiedergefunden. Wenn man diese Anbiederei in den Interviews aber nicht mitgemacht hat, dann sind die Journalisten sehr schnell patzig geworden. Also wenn man dieses Kumpelhafte nicht mitgemacht hat, sind sie sehr schnell unfreundlich geworden.

Es gab also zwei Ebenen, eine persönliche und eine sachliche der Berichterstattung?

Benjamin Ruß: Ein Beispiel: Wir waren vor dem Gipfel mehrere Stunden lang mit einer Journalistin in Garmisch unterwegs. Wir haben mit ihr über Inhalte geredet, über die Organisation der Proteste, alles Mögliche. Im Grunde wollte sie aber immer nur auf die eine Frage der Gewalt hinaus. Als wir gesagt haben, dass wir dann auch über strukturelle Gewalt reden müssten, ist sie sehr schnell aus der Haut gefahren. Von den drei Stunden kamen dann gerade zwei Minuten Beitrag aber ohne das, was uns wichtig war.

Was würdest Du für Dich für ein Resümee ziehen? Hast du einen neuen Blick auf die Medien bekommen?

Benjamin Ruß: Bei vielen JournalistInnen ist mit tatsächlich der Respekt abhanden gekommen, das muss ich schon sagen. Da gab es auch Leute, die die einfachsten Rechercheaufgaben nicht gemacht haben. Und ich hatte den Eindruck, dass viele Journalisten genau das schreiben, was von ihren Redaktionen erwartet wurde, auch um in der Karriere weiterzukommen. Und den Rest haben mir dann noch die Bilder aus dem Internationalen Pressezentrum gegeben: Wo es umsonst Bier, Essen und Schampus gab, einen gespendeten Ochsen, leichtbekleidete Dirndlträgerinnen und so weiter - das war dann der Abschuss.

Ihr selbst hattet keinen Zutritt zum Pressezentrum?

Benjamin Ruß: Wir hätten einen haben können. Wir wurden von den öffentlich-rechtlichen Sendern gefragt, ob wir nicht drinnen bei Live-Schaltungen dabei sein wollen, aber das haben wir kategorisch abgelehnt. Weil wir nicht zu so einer Live-Berichterstattung herangezogen werden wollten. Wenn irgendwo eine Demo läuft und dann passiert etwas und wir dann direkt ein Statement abgeben - diese Situation wollten wir nicht.

Gab es Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Journalisten, zwischen weiblichen und männlichen?

Benjamin Ruß: Schwierig, das ist eher abhängig von der Person. Es gab Jüngere, wo ich gedacht habe, was macht ihr da eigentlich, ist das wirklich eure Berufung? Gab es aber auch bei Älteren. Klarer ist es bei geschlechterspezifischen Unterschieden. Was uns aufgefallen war, dass lange vor dem Gipfel, also an die zwei Monate, uns nur Journalistinnen kontaktierten. Erst als es dann ganz wichtig wurde, sind männliche Kollegen dazugekommen. Davor war es ein Frauenthema, beziehungsweise das Thema wurde an die Frauen abgegeben, weil es noch nicht so wichtig war. Und erst als es zu einer relevanten Frage wurde, sind die Männer gekommen. Das ist, was uns aufgefallen ist.

Gab die Aufgabe als Pressesprecher denn auch einen Kick? Dass man wichtig war, und das, was man sagte?

Benjamin Ruß: Ich glaube, kein Mensch wird sagen, wenn einem zugehört wird, dass man das nicht schön findet. Das kann man nicht verneinen. Ich bin auch ein Mensch, der gerne redet, wenn es um bestimmte Themen geht. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, war aber auch sehr anstrengend. Vor allem, das man Sachen zigmal wiederholten musste. Und dass es zu keiner Debatte, sondern Statements kam. Nach dem Gipfel ist es schön zu sehen, dass ich etwas gemacht habe, wofür ich eigentlich nicht ausgebildet bin. Und das zeigt mir, dass wir als Individuen in der Gesellschaft zu viel mehr fähig sind, als gedacht wird.

Was würdet Ihr als Pressegruppe heute anders machen?

Benjamin Ruß: Was uns aufgefallen ist: Wir haben zu wenig Frauen als Sprecherinnen zu Wort kommen lassen. Und die Pressesprecherin, die dabei war, wurde nicht so wahrgenommen. Im Nachhinein ist das sehr kritisch von uns gesehen worden. Und wir hätten eine viel kontinuierlichere Arbeit machen müssen, was aufgrund der ehrenamtlichen Tätigkeit nicht möglich war. Ansonsten haben wir ein positives Fazit gezogen: Wir haben aus unseren Möglichkeiten das Beste herausgeholt und können mit den Erfahrungen, die wir gesammelt haben, in die nächsten Bündnisse gehen.