Bericht: Hunderte von Zivilisten bei Luftschlägen in Syrien und im Irak getötet

Bild: Airwars/B. Simon

Das Pentagon räumt lediglich zwei mögliche Opfer ein, der Rest der Mitglieder der Anti-IS-Koalition hüllt sich in Schweigen

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Wie auch schon in Afghanistan, im Irak, in Pakistan oder im Jemen wird der Drohnenkrieg vom Pentagon als sauberer Krieg dargestellt. Die "gezielten Tötungen" von eigenmächtig ausgewählten menschlichen Zielen haben neben Militanten auch zahlreichen Zivilisten das Leben gekostet oder diese verletzt (Die mörderischste Terror-Kampagne der Gegenwart. Wenig Aufmerksamkeit haben bislang die Luftangriffe auf Stellungen des Islamischen Staats erhalten, die vom Pentagon als die "präzisesten Angriffe in der Geschichte des Luftkriegs" gefeiert werden. Nach einem Bericht wurden auch dabei bereits Hunderte von Zivilisten getötet, während deren Effizienz für die Niederschlagung oder Schwächung des IS zweifelhaft ist.

Nach einem Luftangriff auf Hawijah (Irak) am 3. Juni 2015, bei dem vermutlich bis zu 79 Zivilisten getötet wurden. Bild: Iraqi Spring

In dem von der Gruppe Airwars.org herausgegebenen und vom Joseph Rowntree Charitable Trust finanzierten Bericht wird versucht zu belegen, wie viele Zivilisten durch die Angriffe mit Kampfflugzeugen und Kampfdrohnen in Syrien und im Irak getötet wurden. Die von den USA geführte Anti-IS-Koalition hat seit dem Beginn im letzten Jahr im Rahmen der Operation Inherent Resolve mehr als 5.800 Einsätze geflogen.

Nach Auskunft des Pentagon hat der Einsatz diesem bereits mehr als 3 Milliarden US-Dollar gekostet, umgeschlagen auf den Tag sollen dies 9,4 Millionen sein. Über 7.600 Ziele seien zerstört worden, mehr als 2.000 Gebäude und 1.800 Kampfstellungen. Man habe den IS vor allem im Nordirak zurückdrängen können, was allerdings vornehmlich auf die kurdischen Kämpfer zurückzuführen ist. Verlässliche Zahlen über getötete oder verletzte IS-Kämpfer liegen ebenso wenig vor wie bislang über getötete oder verletzte Zivilisten. Das Syrian Observatory for Human Rights geht von mehr als 120 getöteten Zivilisten aus. Andere Schätzungen behaupten, dass es alleine im Irak 2014 so viele waren.

Das Pentagon sprach Anfang Juli von über 12.000 getöteten IS-Kämpfern und räumt den Tod von einigen Zivilisten ein, explizit 2 Mädchen, nachdem sieben Monate vergangen waren. Untersucht wurden vom Pentagon selbst bislang nur 10 Vorfälle.

Nach dem Airwars-Bericht, der 52 glaubhafte Vorfälle dokumentiert, sollen bei diesen zwischen 459 und 591 Zivilisten sowie 48-80 "friendly forces" ums Leben gekommen sein, insgesamt wurden 118 Angriffe bis 30. Juni 2015 dokumentiert, bei denen mehr als 1000 Zivilisten getötet worden sein könnten. Verwiesen wird etwa auf den Angriff auf das Dorf Bir Mahli, durch den 60 Menschen getötet wurden. Das Pentagon behauptet, es habe eine Gebäude des Islamischen Staats angegriffen und die Toten seien Islamisten, der Bericht geht von 58 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, aus.

Die Autoren weisen darauf hin, dass kaum Untersuchungen vor Ort möglich seien, weil die Gebiete vom IS kontrolliert werden. Die Zivilgesellschaft sei zusammengebrochen, Journalisten wurden vertrieben oder getötet. Für den Bericht wurden alle verfügbaren Quellen von Medienberichten über YouTube-Filme bis hin zu Tweets genutzt. Man könne begründete Vermutungen erstellen, die Angaben aber nicht verifizieren.

Der Bericht gibt der Überzeugung Ausdruck, dass das Pentagon sich zwar darum bemüht, keine Zivilisten zu treffen, aber es seien eben trotz der Bemühungen bislang Hunderte getötet worden. Zudem will man versuchen, "Kollateralschäden" möglichst bedeckt zu halten. Es gebe eine beunruhigende Kluft zwischen den vom Pentagon eingeräumten Zahlen und den Schätzungen des Berichts, die mit denen anderer Organisationen wie Syrian Observatory for Human Rights, Iraq Body Count und anderen. Der US-Regierung wird vorgeworfen, dass sie stets die Macht der IS-Propaganda herausstellt und betont, dass man ihr begegnen müsse, aber dass die Leugnung der Opfer und mangelnde Transparenz die eigene Glaubwürdigkeit untergraben. Würde man Berichten und Vorwürfen von durch die Luftangriffe getöteten Zivilisten wirklich nachgehen, dann könne man auch die IS-Propaganda besser bekämpfen.

US-Kampfflugzeug im Einsatz über Syrien. Bild: defense.mil

Dabei kommt das Pentagon noch gut weg. Es habe immerhin zwei "wahrscheinlich" getötete Zivilisten zugegeben und auf die Anfrage von Airwars geantwortet. Alle übrigen an der IS-Koalition beteiligten Staaten hätten entweder gar nicht geantwortet oder erklärt, es habe keine zivilen Opfer gegeben. Nach CentCom sind jeweils die Streitkräfte der Koalition für ihre Einsätze verantwortlich. Während Kanada den Einsatzort immer angibt, die USA, Großbritannien und Frankreich manchmal, teilen die anderen Staaten dies nicht mit, oft auch nicht, wann sie Einsätze geflogen haben, zudem geben sie nur gelegentlich Berichte heraus.

Es sei für Betroffene kaum möglich zu wissen, wer sie aus der Koalition bombardiert hat oder ob es überhaupt ein Flugzeug der Koalition war. Dringend gefordert wird Transparenz, um dann auch die Verantwortlichkeit festmachen zu können, aber auch, um dem IS und anderen kein Propagandamittel in die Hand zu geben, auch wenn der IS und das Assad-Regime natürlich weitaus mehr Zivilisten getötet haben.