Islamunterricht: "Niemand weiß genau, was an deutschen Grundschulen passiert"

Der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi übt Kritik an den Dachverbänden und einem zu konservativen Religionsunterricht, der problematischen Stellen aus dem Weg gehe

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Die große Öffentlichkeit weiß wenig über den Islamunterricht an deutschen Schulen. Es sind andere Themen, die im Fokus stehen und für Emotionen sorgen. Dazu zählen aber auch "der Islam" und die Muslime in Deutschland, die eine große Kinoleinwand abgeben.

Dem Spezialthema Islamunterricht in deutscher Sprache werden in der öffentlichen gegenwärtigen Debatte grob die Rollen zugewiesen, dass damit der Islam als Religion in Deutschland mehr institutionelle Anerkennung findet, dass er die Integration der Muslime fördert - und vor allem als Antidot gegen Radikalisierung.

Mit diesem Thema ist die öffentliche Wahrnehmung des Islam eng verknüpft, seit mehreren Jahren, nicht erst seit dem Islamischen Staat und den Terroranschlägen. In Deutschland, wie beispielsweise auch in Frankreich, setzt man auf einen verantwortungsvollen Islamunterricht in der Landessprache, um sicherzustellen, dass Grundwerte der Verfassung und des Zusammenlebens in einer transparenten Weise vermittelt werden, die auch offen für Kritik ist.

Entsprechend hellhörig wird der Leser, der in einer heutigen Sonntagszeitung1 auf folgende Feststellungen trifft: "Niemand weiß genau, was in deutschen Grundschulen im Islamunterricht passiert" oder "Im Lehrplan werden Koranverse, aus denen eine Ungleichheit der Geschlechter abgelesen werden, weder angesprochen noch kritisch hinterfragt".

Wichtiges wird nicht angesprochen

Der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi, Leiter des Fachbereichs Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Uni Heidelberg, hat sich den Lehrplan des islamischen Religionsunterrichts in Hessen genauer angeschaut, und ein Gutachten dazu geschrieben. Dabei kam er zu Ergebnissen, die mehrere Vorbehalte stützen.

Ourghi kritisiert, dass eine Auseinandersetzung mit problematischen Stellen im Koran "nicht stattfindet", auch das Thema der Identitätsfindung der Schüler zwischen islamischen Glauben und ihrer westlich geprägten Lebenswirklichkeit werde "ebenso wenig angesprochen".

Dazu erhärtet der gebürtige Algerier Vorwürfe, die mit "Heimlichkeit" und tatsächlichen ganz eigenen Interessen in Verbindung stehen und dadurch eine gewisse populistische Schlagkraft haben. Weil sie die Wahrnehmungsschablone füttern, wonach die Lehrer in Wirklichkeit Mitglieder obskurer Verbände sind, die nicht-liberalen Interessen verbunden sind. Konkret: Es geht Ourghi um den Einfluss Ditibs.

Die Rolle von Ditib

Laut Welt am Sonntag ist der Einfluss des Ditib (Türkisch-islamisch Union der Anstalt für Religion e.V.) in Hessen besonders groß. In Hessen wurde zum ersten Mal in Deutschland der "bekenntnisorientierte Islamunterricht an Grundschulen" eingeführt und Ditib hat laut der Sonntagszeitung bei der Einstellung von Lehrern und bei der Erstellung des Lehrplans entscheidende Mitspracherechte.

Das Ganze bekommt eine besondere Schärfe durch die Streitigkeiten innerhalb des Vorstands von Ditib in Hessen, wo der Vorsitzende Fuat Kurt sich beklagt, dass er aus seinem Amt weggemobbt wurde und in diesem Zusammenhang harte Vorwürfe gegen die Besetzungspolitik der Lehrer äußert:

Der DITIB-Landeskoordinator Doğruer hat allen Ernstes die Qualifikation eines Großteils der Lehrkräfte infrage gestellt, weil sie seiner Meinung nach Ungläubige und, so seine Wortwahl, einer sogar jüdischer Abstammung sei.

Nun gehört die Zeitung, in der dies veröffentlicht wird - das deutsch-türkische Journal - einer Mediengruppe an, die selbst als "Sprachrohr" bestimmter Interessen fungiert, heißt: Es gibt mit Sicherheit auch noch eine andere Darstellung als die Fuat Kurts.

Aber: Der Vorwurf obskurer Hinterzimmerpolitik im Zusammenhang mit dem Islamunterricht wird durch solche Interna bestätigt. Er wird auch nicht vom Statement der hessischen Regierung beseitigt, deren Sprecher der Welt gegenüber bekundet, man habe nach "eingehender Prüfung befunden, dass Ditib Hessen in hinreichendem Maße von der staatlichen türkischen Religionsbehörde unabhängig sei".

Genau hier hakt sich Ourgi ein. Niemand wisse genau, was eigentlich in deutschen Grundschulen im Islamunterricht passiert. Er suggeriert, dass dort verstärkt wird, was in gläubigen muslimischen Familien vermittelt werde, ein "sehr traditionelles Bild", weswegen Studenten mit Tabuthemen wie den Gewaltaten Mohammeds und einen kritischen Umgang damit, nicht zurechtkämen. Sie würden dann einen "Identitätsschock" erleiden. Zu verantworten sei dies auch von Dachverbänden, die einen konservativen Islam etablieren, der sich "nicht kritisch mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt".

Nur knallige Vorwürfe?

Das sind knallige Vorwürfe, weil sie dem widersprechen, was die Öffentlichkeit vom Islamunterricht erwartet, dass er genau das zur Verfügung stellt, was eine kritische zeitgemäße Debatte über die Religion braucht: genaues Hinschauen, Auseinandersetzung, Bildung mit kritischem Esprit. Ob Ditib dafür eine gute Institution ist und warum, wie die Welt behauptet, liberale Strömungen wie der liberal-islamische Bund oder das Muslimische Forum bei der Verantwortung des Religionsunterrichts nicht beteiligt sind, sind Fragen, die eine Diskussion in der Öffentlichkeit gut vertragen würden.

Es wäre auch interessant zu erfahren, was in dem Gutachten des Islamwissenschaftlers Abdle-Hakim Ourghi an konkreten Vorwürfen zum praktizierten Islamunterricht aufgeführt wird.

Auch Ourgi hat in der Vergangenheit Kritik bekommen: Er würde zu schlagwortartig vorgehen, mit begrifflichen Unschärfen, hielt ihm im Herbst letzten Jahres ein Kollege entgegen, der nach eigenen Angaben ebenfalls kritische Distanz zu den Dachorganisationen pflegt, aber Ourghis Vorwürfen gegen den Unterricht eine gewisse Pauschalität unterstellt, die der Sache nicht dienlich sei.

Die Frage ist, ob die Öffentlichkeit für eine differenzierte Diskussion bereit ist. Das hessische Kultusministerium hält am Bild des Erfolgsmodells Islamunterricht fest. Zum Gutachten beschied man, dass es nicht stichhaltig sei, nach juristischer und schulfachlicher Prüfung.