Baden zwischen Lust und Revolte

Saunaturm als erster Schritt zu einem öffentlichen Bad in einem Hafen von Göteborg. Bild: raumlaborberlin

Kleine Geschichte der Badezimmer, Badehäuser und Volksbäder

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"Es war nun höchst amüsant, sich die verschiedenen Verordnungen der Ärzte aus den verschiedenen Teilen Italiens einmal anzusehen. Besonders im Hinblick auf Bäder und Duschen widersprachen sie einander derart, dass von zwanzig keine zwei übereinstimmten." Was sich wie ein aktueller Befund zu Gesundheitsratgebern liest, schrieb der Philosoph und Politiker Montaigne im Jahre 1580. Er hatte eine Reise durch mehrere europäische Thermalbäder unternommen, wo er vergeblich versuchte, seine Nierensteine loszuwerden.

Der Beitrag schließt die Serie über das Wohnen ab.

Gleichwohl empfahl Montaigne tägliches Baden zur gesundheitlichen Vorsorge. Das war um so dringender, als diese "gute Sitte" abhanden gekommen war. Gewaltiges war geschehen. Die Entdeckung Amerikas war mit der Einschleppung der Syphilis in Verbindung gebracht worden. Aufgabe der Bader war es nun, die Bräute vor der Hochzeit auf die "französische Krankheit" zu untersuchen. Ebenso verheerend wütete noch im 16. Jahrhundert die Pest.

Badehaus, 15. Jahrhundert. Bild: Public domain

Ärzte wärmten die antike Theorie von den Miasmen auf, den schlechten Ausdünstungen, die aus dem Boden heraus und in die Haut eindringen. Das brachte eine mentale Wende mit sich: Unlust kam auf. Denn nun durften die Menschen nicht mehr gemeinsam in einen Trog hüpfen. Vorbei waren die Freuden mittelalterlicher Badehäuser, die auch gemeinsames Speisen und gelegentlich gesellige Akte eingeschlossen hatten, vor denen, wenn es hochkam, schnell ein Vorhang zugezogen wurde.

Die medizinischen Begründungen der neuen Verbote waren die Rationalisierung eines gesellschaftlichen Umbruchs. Der hieß "Zivilisation". Die Menschen wurden voneinander distanziert. Scham und Peinlichkeit waren die Gefühle, durch welche sie die Berührungsverbote verinnerlichten. Die höflich-höfische Zeit der "Manieren" brach an. Die Menschen wurden wasserscheu. "Waschen schwächt den Körper." Aber das neue Zeitalter nannte sich auch galant. Die "trockene Reinigung" applizierte um so mehr Parfüm und Puder auf Haut und Kleider. Die Damen verströmten Sinnlichkeit, die Herren taten es ihnen nach. Die gesellschaftlichen Momente des Umgangs mit dem Körper waren nicht ausgestorben, aber sie veränderten ihre Form

Die offene Tür

Verhüllung und Enthüllung hielten sich die Waage, und beides war ein öffentlicher Akt barocker Herrschaft. Im Parade-Bett sitzend wurden die Höflinge empfangen und die Staatsgeschäfte auf Touren gebracht. Zuvor hatte die Königin durch Fingerschnalzen kundgetan, wie oft "es" in der letzten Nacht passiert war. Das "Toilette machen", möglichst in einem dem Schlafzimmer nahegelegenen Raum, war ein öffentlicher Prozess. Die Dame, ob Königin oder Mätresse, empfing Besucher nach täglich neu taxierter Wichtigkeit. Zur Aneinanderreihung der repräsentativen Räume gehörte in Versailles die Badeanlage. Es ging jedoch nicht um "hydrophile Hygiene", sondern bestenfalls um Entspannung beim Baden und vor allem wieder um Repräsentation.

"Der Lehrer Marie Antoinettes, der Abbé de Vermont, gewährte in der Badewanne sogar Bischöfen und Ministern Audienz. Die Herzogin von Châteauroux lud, als wolle sie ihrem Status als Favoritin offiziellen Charakter geben, den König Ludwig XV. zu diesem Schauspiel ein. Dieser wiederum bat noch Höflinge hinzu, die sich im Nebenzimmer aufhielten. Die Tür ließ man offen, um miteinander plaudern zu können." 1

Das Frauenbad. Albrecht Dürer, 1496. Bild: Public domain

Der Körper des Königs war die Inkarnation der Gemeinschaft und Gesellschaft. Nicht mehr hieß es: Alle baden und essen gemeinsam. Sondern: Alle dürfen zusehen. Die Funktionen des königlichen Körpers waren öffentlich, von der Nahrungsaufnahme über die Ausscheidung bis zur Rekreation. Wenn bei den tieferstehenden Rängen noch kein Bad vorhanden war, wurde die transportable Badewanne im Schlafzimmer, im Raum der Toilette oder gar im Salon aufgestellt. Madame de Prie empfing den Marquis von Argenson auf ihrem Bidet. Dieses Gerät wurde auch als Möbelstück im Stil der Zeit hergestellt. Eine frühe Form des "Sharings" waren doppelsitzige Bidets.2

Waschen und Baden waren im Barock räumlich dem Schlafzimmer zugeordnet. Die Scham war in den höheren Ständen mit Frivolität gekoppelt. Der Adel und der der Religionskämpfe müde Klerus ließen sich ihre Mätressen nicht nehmen, für die vor allem außerhalb der Haupthäuser luxuriöse Badehäuser etwa im Stil von Grotten errichtet wurden. Scham und Nacktheit zusammen riefen bis zum Rokoko eine neue Betrachterhaltung hervor: den Voyeurismus. In den üppigsten Badehäusern liefen im oberen Geschoss Galerien um.

Badenburg (1722) im Schlosspark Nymphenburg; Modell des Schwimmbads.
Bild: Hans-Joachim Heyer/Boris Miklautsch, Jonas Verlag

In Fontainebleau führte der König persönlich die Gäste durch das Badeappartement. Pierre Guilbert verrät: "Madame Madeleine badete zu Beginn dieses Sommers. Ich kenne das Geheimnis jener Blendnische, durch die man mittels eines reflektierenden Spiegels, der in eine Rocaille eingefasst ist, die Damen im Bade sehen kann."3 Joao V. von Portugal bestellte für seine Geliebte, einen Nonne, in London eine vergoldete Silberbadewanne, ruhend auf drei Delphinen, und im Badhaus von Schwetzingen floss das Wasser aus dem Schlund von sieben Schlangen, die sich um den Beckenrand ringelten.

Wurden im Zeitalter der Empfindsamkeit die barocken Formate zurückgenommen und auch die adeligen Bäder intimer, gleichsam an einer arkadischen Natur orientiert, so sprengte das 19. Jahrhundert alle Formen. Das Volk war auf die Bühne getreten; der Adel fühlte sich bedroht, ohne sich den Anschein geben zu wollen. Im Gegenteil: Die Erneuerung der Baulichkeiten und des Kurparks von Baden-Baden in den 1820er Jahren vermischte die Stile zum Eklektizismus, auf dass der Adel vor der Folie frei verfügbarer und austauschbarer Traditionen sich selbst feiern konnte. Trink- und Badekuren waren Vorwand für Spiegeleien und Glücksspiele.

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