Ach, die Hartzies bekommen doch so viele Beihilfen...

In Diskussionen rund um das ALG II wird gerne behauptet, dass der Regelsatz ruhig knapp bemessen sein kann, es gäbe ja noch etliche Beihilfen. Es gibt sie, aber ein genauer Blick lohnt

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Der Regelsatz beim Arbeitslosengeld II (ALG II) soll die permanente Möglichkeit zum Leben des Transferleistungsempfängers sicherstellen, er bildet das soziokulturelle Existenzminimum. Für Bedarfe, die nicht durch den Regelsatz abgedeckt sind, sind gemäß §21 Sozialgesetzbuch II (SGB II) Einzelleistungen vorgesehen. Ein solcher Mehrbedarf wird bei einem Leistungsbezieher anerkannt, wenn ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf vorliegt, der weder durch den Ansparbetrag (bei dem von ca. 50 Euro monatlich ausgegangen wird) noch durch Zuwendungen Dritter abgedeckt wird und in seiner Höhe erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

Diese Formulierung und die Tatsache, dass nur ein kleiner Teil der Mehrbedarfe konkret in §21 SGB II aufgelistet sind, führen dazu, dass der Leistungsempfänger zunächst einmal den Mehrbedarf konkretisieren, begründen und beantragen muss. Dann wird entschieden, ob es sich um einen Mehrbedarf handelt, der durch eine entsprechende Leistung abgegolten wird, die als Geld- oder Sachleistung erbracht werden kann.

Gerade die Höhen der bewilligten Leistungen sind oft Grund für gerichtliche Auseinandersetzungen, da es zu unterschiedlichen Ansichten über die notwendigen Kosten kommt. Ein Beispiel dafür, wie die Jobcenter die Kosten ansetzen, findet sich in einer Dokumentation über die Vorgehensweise des Jobcenters Meissen in einem Leistungsfall. Hier wurden für Mutter und Sohn Mehrbedarfe für die Anschaffung von Bettwäsche, Kleiderschrank, Schreibtisch und -stuhl, jeweils 2 Posten Bettwäsche sowie Handtücher insgesamt 164,63 Euro gewährt, wobei beispielsweise auf den (kindgerechten) Schreibtischstuhl 7,51 Euro entfielen.

"Das Landratsamt Meißen in Gestalt des Jobcenters möge mir bitte erklären, wo man für 27,77 Euro einen kindgerechten Schreibtisch und für 7,51 Euro einen ebenfalls kindgerechten Schreibtischstuhl bekommt. Ferner möge man erklären wo man 2 Satz komplette Bettwäsche für 21,45 Euro bekommt. Selbst beim Discounter ist dies unmöglich. Auf den Rest will ich gar nicht eingehen", kommentiert der Dokumentierende.

Statt Babysitz für das Auto die Tragetasche des Kinderwagens

Hierbei ist zu erwähnen, dass das Sozialgericht Berlin bereits 2012 auch 70 Euro für einen Schreibtischstuhl für angemessen hielt, selbst unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der günstigen Beschaffung über Möbelbörsen etc. Prinzipiell wird angenommen, dass zum einen gebrauchte Möbel gekauft werden (können) und dass auch auf Kleinanzeigen und Internet"auktions"plattformen zurückgegriffen wird. Über die Frage des Transportes bzw. die dadurch entstehenden Kosten schweigen sich Jobcenter oft aus.

In einem jüngeren Fall zeigte sich auch die Kreativität der Jobcenter, wenn es darum geht, Beihilfen möglichst gering zu halten. Bei der Bettwäscheausstattung für einen Säugling war das Jobcenter Heilbronn der Meinung, dass es ausreiche, einen Satz Bettwäsche zu besitzen, verunreinigte Stellen könnten ja mit einem Handtuch abgedeckt werden. Doch damit nicht genug, der beantragte Babysitz für das Auto wurde mit der Begründung abgelehnt, der Säugling könne auch mit einer herkömmlichen Tragetasche eines Kinderwagens im Auto befördert werden. Dass eine solche Lösung gegen § 21 der Straßenverkehrsordnung verstieße und nicht zuletzt für den Säugling auch erhebliche Risiken in sich birgt, schien das Jobcenter nicht zu interessieren. Erst das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn sorgte dafür, dass die Mehrbedarfe nun in der Höhe anerkannt werden, wie sie beantragt wurden.

Die beiden Fälle zeigen exemplarisch, dass die Beihilfen keineswegs den "üppigen Zahlungen" entsprechen, wie sie in Diskussionen gerne suggeriert werden, und ferner für die Hilfesuchenden, die mittlerweile ja "Kunden" genannt werden, oft erst nach juristischen Auseinandersetzungen mit den Jobcentern zur Verfügung stehen. In der Zwischenzeit darf der Hilfesuchende, salopp ausgedrückt, sehen, wie er zurechtkommt oder darauf hoffen, dass ihm ggf. ein Darlehen gewährt wird, welches er dann vom Regelsatz zurückzahlen muss.

Wer im Internet nach entsprechenden Urteilen zum Thema Mehrbedarf sucht, der findet eine Vielzahl von Urteilen, die die Absurdität der Berechnungen wie auch der Begründungen für die Nichtanerkennung zeigen. Geradezu symptomatisch für den Umgang mit den "Kunden" ist, dass der Mehrbedarf erst nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Thema Regelsatz überhaupt Eingang in die neuen gesetzlichen Regelungen fand, vorher war er schlichtweg nicht vorgesehen.

Wenn in Diskussionen somit wieder einmal auf die vielen üppigen Zusatzleistungen für ALG II-Empfänger abgehoben wird, sollten die Einzelaspekte der Mehrbedarfsregelungen nicht außen vor bleiben und das Bild geradegerückt werden. Sofern diejenigen, die von den hohen Mehrbedarfen reden, daran überhaupt Interesse haben.