Erstaufnahmelager Traiskirchen: "menschenunwürdig"

Refugee-Solidaritätsdemo Wien, 2013. Foto: Haeferl/CC BY-SA 3.0

Amnesty Österreich berichtet von unhaltbaren Zuständen im Flüchtlingslager und kritisiert Nichtwollen und Desinteresse der verantwortlichen Politiker

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Ende Juli erteilte Amnesty International dem österreichischen Zweig der Menschenrechtsorganisation den Auftrag, sich die Zustände im Erstaufnahmelager Traiskirchen genauer anzuschauen. Dazu holte man sich die Erlaubnis des Innenministeriums in Wien ein.

Die Zustände im Lager wurden seit Wochen kritisiert. Anfang Juli bekamen Journalisten die Erlaubnis, das Flüchtlingslager zu besuchen. Zum ersten Mal seit Jahren, wie in einem Bericht notiert wurde. Der Vertreter des Innenministeriums, Gernot Maier, Leiter der Abteilung für Grundversorgung im Innenministerium, versorgte sie demnach mit folgenden harten Fakten:

3.200 Menschen im Lager, 1.200 ohne Bett, 1.840 in festen Unterkünften untergebracht. 1.500 davon sind minderjährig, davon 900 bereits zum Verfahren zugelassen. Die Flüchtlingszahlen sind vor rund zwei Monaten sprunghaft angestiegen. 350 neue Asylanträge pro Tag gibt es in ganz Österreich. Erwartete Flüchtlinge nächstes Jahr: 70.000 aus Syrien, Irak, Somalia und Afghanistan. Wegen des Ansturms wurden 40 zusätzliche Beamte in Traiskirchen eingesetzt, 42 neue Mitarbeiter hat die Sicherheitsfirma ORS angestellt - noch immer zu wenig. Entlastung soll es bald geben: Die Slowakei will 500 Menschen aus Österreich aufnehmen. Dazu sollen weitere Betten in den Ländern frei werden, im Juli insgesamt 2.187.

Zwar sahen die Journalisten freie Räume und Betten, der Vertreter des Innenministeriums erklärte ihnen aber, dass es feuerpolizeilichen Vorschriften gebe, die einer Nutzung widersprechen. Er beteuert gegenüber den Journalisten:

Sie können uns glauben, wir tun hier unser Möglichstes, ich arbeite 120 Stunden die Woche. Wie auch meine Kollegen in den Bundesländern. Wir sind in jeder Hinsicht momentan am Limit.

Am 24.Juli beklagen Mitarbeiter von Caritas Österreich eine "katastrophale Lage": "Es geht nicht um die Frage, wer Asyl bekommt, dafür gibt’s Gesetze. Es geht darum, dass mitten unter uns tausende Menschen in ein zu kleines Lager gepfercht werden. In einem der reichsten Länder der Welt."

Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich, schlägt bei seinen Feststellungen in eine ähnliche Kerbe - Österreich hätte die Mittel dazu, mehr zu tun für die Verbesserung der Verhältnisse im Lager:

Österreich ist weder in einer finanziellen Misere noch in einer ressourcenknappen Situation: Das Versagen in der Flüchtlingsversorgung wäre leicht vermeidbar, die Ursachen sind vor allem administrative Fehler. Ein System, das die Menschenrechte von Asylwerbern schützt und respektiert, ließe sich ohne wesentlichen Kostenaufwand verwirklichen.

Das Versagen wird im Bericht der Amnesty-Delegation über den Besuch in Traiskirchen am 6. August anhand folgender Punkte konkretisiert: Überbelegung - 4.500 Personen in einer Betreuungsstelle, deren Kapazität auf 1.800 ausgelegt ist.

Dazu kommt, dass 1.500 Menschen "im Freien schlafen" - "obdachlose Asylbewerber" - und " jene, die außerhalb des Geländes übernachten. Ein unhaltbarer Zustand". Der Zugang zu adäquaten sanitären Einrichtungen sei limitiert, die Lebensmittelversorgung problematisch wie auch die Gesundheitsversorgung. Kinder würden getrennt von den Eltern schlafen; Asylbewerber, darunter auch Schwangere und Frauen mit Babys, müssten "stundenlang bei sengender Hitze um ihre Identitätskarten anstellen", wo ein einfaches Wartenummernsystem schon eine deutliche Verbesserung wäre.

Den Flüchtlingskindern, die in vielen Fällen alleine seien, würde keine angemessene Betreuung zukommen:

Die Lage der unbegleiteten Kinder und Jugendlichen in Traiskirchen ist besonders besorgniserregend. Sie sind zum Großteil sich selbst überlassen und viele von ihnen müssen im Freien nächtigen. Viele erzählten Amnesty International, dass sie über keine Information verfügen würden, an wen sie sich wenden können oder wer ihre Ansprechperson ist. Jene mit denen Amnesty International sprach, hatten von Personen der Jugendwohlfahrt noch nie gehört. Nach Angaben der Kinder und Jugendlichen gegenüber Amnesty (…) wissen (sie) nicht, wie es weitergeht. Vor allem Letzteres belastet sehr viele der Jugendlichen.

Festgestellt wurde auch, dass es bei den Duschen, die wie die Toiletten sowohl von Männern wie Frauen genutzt werden, keine Vorhänge gebe, weswegen Frauen oftmals auf Duschen verzichten. Für den Amnesty-Generalsekretär Heinz Patzelt summieren sich auch "Kleinigkeiten" wie die letztgenannten Bedingungen in den Duschen auf einen unterirdischen Menschenrechtszustand im Lager:

Es kommt einem ja fast lächerlich vor, wenn ich Dinge wie einen Duschvorhang oder eine Wasserflasche in eine menschenrechtliche Kritik hineinschreiben muss. Aber die Summe dieser Kleinigkeiten senkt den Menschenrechtsstandard unter Null. Für keine Frau, für keinen Mann ist es angenehm, sich vor anderen Menschen nackt ausziehen zu müssen. In unserer Kultur wird man die Zähne zusammenbeißen und trotzdem Duschen gehen, wenn man eine Woche lang gestunken hat. Für Menschen aus Afrika ist das undenkbar. Der stirbt lieber, bevor er das macht. Deswegen ist das so dramatisch.

Patzelt zieht den Schluss, dass die Situation genau so gewollt wird. Von der Politik herbeigeführt, ihr würde der Wille dazu fehlen, daran etwas zu ändern, man bleibe aus Desinteresse untätig.

Ich unterstelle nicht einmal Bösartigkeit, denn Bösartigkeit verlangt Nachdenken. Ich vermute Desinteresse, völlige Gedankenlosigkeit, Wurschtigkeit. Nach dem Motto: "Wir haben einen Job zu machen, Menschenwürde steht nicht in unserem Leitbild"

Hochwasserkatastrophen würden in Tagen gelöst, hier gehe es ums "Nicht-Wollen". Österreich verletze damit fast alle menschenrechtlichen Konventionen, die ihm einfallen, so Patzelt.

Das Innenministerium nehme den Bericht ernst, heißt es. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) erklärte dazu, dass man jetzt keine Polarisierungen und keinen Wettbewerb in der Beschreibung von Missständen brauche.