Tsipras und die Linken

Die linke Syriza-Regierung konnte dem Neoliberalismus nichts entgegensetzen, dann wurde sie zur Vollstreckerin seiner Agenda

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Die Katastrophe in Griechenland dauert an. Die Regierung von Alexis Tsipras hat sich entschieden, mit Hilfe der Stimmen rechter Parteien im Parlament vor den Kreditgebern zu kapitulieren, nachdem sie das Ergebnis des von ihr selbst organisierten Referendums ignoriert hatte, und beginnt mit einer Hetzjagd auf ihre Widersacher innerhalb der Linken.

Im Grunde sind die früheren Parteigänger des Premiers zu dessen Zielscheibe geworden ― also jene, die ihm noch vor einigen Monaten zur Macht verholfen hatten. Obwohl sich das Zentralkomitee (ZK) der Syriza und sogar ihr Exekutivbüro gegen die Einigung aussprachen, wurden die führenden Organe der Partei nicht einberufen und der Ruf nach einem Sonderparteitag, der von der Mehrheit des ZK unterstützt wurde, ignoriert.

Am Ende hat sich Tsipras doch damit einverstanden erklärt, eine Parteikonferenz einzuberufen, aber erst für den September ― sobald alle Fragen mit den Kreditgebern bereits geklärt und das nächste Paket brachialer ökonomischer Maßnahmen umgesetzt wurden.

Die Basisgruppen der Partei, deren Haltung zur Regierung noch negativer ist als die der ZK-Mitglieder, sind faktisch paralysiert. Im Grunde ist die Partei zerbrochen.

Tsipras regiert in ihrem Namen, aber ohne jegliche Bindung an sie, und ohne sich daran zu stören, dass er seine Linie mittels eines bürokratischen Apparates durchdrückt. Seine parlamentarische Mehrheit wird nun im Wesentlichen durch die Stimmen der Abgeordneten der rechten Parteien abgesichert, die von den Griechen in den letzten Wahlen und im Referendum eine Absage erteilt bekommen hatten.

Der Linke Tsipras als Exeget der neoliberalen Politik

Ohne politische Unterstützung von links und vollständig abhängig von den politischen Rechten, die ihn verachten, hält sich Alexis Tsipras auf seinem Posten nur deswegen, weil die herrschenden Eliten ausgerechnet einen "linken" Premier benötigen, der die Politik der gesellschaftlichen Verwüstung umsetzt. Das ökonomische Debakel soll durch Demoralisierung und politischen Bankrott der linken Kräfte ergänzt werden, die sich traditionell gegen solch ein Debakel aussprechen.

Je größer Tsipras' Abhängigkeit von den Rechten ist, desto größer wird seine Maßlosigkeit in Bezug auf seine früheren Mitstreiter. Davon betroffen ist sogar der frühere Finanzminister Yanis Varousfakis, der den Premier bis zum letzten Moment unterstützte. Ihm droht faktisch dafür ein juristischer Prozess, dass er mit seinen Mitarbeitern finanzielle Notmaßnahmen im Falle eines Verhandlungsabbruchs erörtert hatte. Es ist bezeichnend, dass es so weit gar nicht kam. Nicht einmal den berüchtigten "Plan B" gab es. Es gab bloß Gespräche darüber, dass es nicht schlecht wäre, einen Plan B im Ärmel zu haben. Aber sogar das gilt nun als Verbrechen.

Übrigens sind Tsipras und sein Umfeld bereit, noch weiter zu gehen. Ohne sich auf die juristische Verfolgung des früheren Finanzministers zu beschränken, sind sie vielmehr bereit, auch ausländische Berater anzugehen, die sie selbst eingeladen hatten ― einschließlich des weltweit bekannten Ökonomen James Galbraith. Das Bemerkenswerteste ist, dass Galbraith nicht einmal Geld von der griechischen Regierung erhalten hat und auf eigene Kosten nach Athen gekommen ist, um der linken Regierung zu helfen.

Das Traurigste an der jetzigen Situation ist, dass die Opponenten von Tsipras, die jetzt seinen Attacken ausgesetzt sind, mehrheitlich überhaupt keine Radikalen und teils nicht einmal Vertreter des linken Flügels der Partei sind. Zum größten Teil sind das einfach Leute, die sich zumindest einen Rest an Würde und gesundem Menschenverstand bewahrt haben.

Derselbe Varoufakis hatte bis zum letzten Moment auf der Notwendigkeit eines Kompromisses mit der "Troika" bestanden und dazu aufgerufen, jegliche Konzessionen einzugehen, um bloß in der Eurozone verbleiben zu können. Dem ehemaligen Minister zufolge habe es keine Alternativen zur Kapitulation gegeben und ihm sei nur die Möglichkeit geblieben, zumindest einige symbolische Konzessionen zu erreichen, um das Gesicht zu wahren.

Insofern, so meint Varoufakis, sei jetzt kein Übergang zum Sozialismus in Griechenland möglich und es sei notwendig, im Rahmen des Neoliberalismus zu verbleiben. Er fordert zur Mäßigung auf, was er für eine Manifestation des gesunden Menschenverstandes hält. Aber die Sache ist nicht einmal die, dass es ein verlogenes Dilemma wäre, so als wäre nicht einmal im Prinzip eine Strategie des Übergangs denkbar, kein Mittelding zwischen einem sofortigen und vollständigen Übergang zum Sozialismus einerseits und der Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Ordnung in unveränderter Form andererseits. Das Hauptproblem liegt darin, welche praktischen Wahlmöglichkeiten euch bleiben. Aber in der Epoche der Systemkrise gibt es nichts, das lächerlicher und unpraktischer ist als die Mäßigung. Sie ist schlicht keine pragmatische Entscheidung.