Fake Peer Review

Springer Nature zieht 64 wissenschaftliche Artikel wegen fingierter Gutachten zurück

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Der Springer-Verlag gab am 18. August bekannt, 64 bereits in seinen Zeitschriften publizierte Artikel zurückgezogen zu haben. Kürzlich war Springer mit dem das Journal Nature publizierenden Verlag Macmillan Science and Education zu Springer Nature fusioniert.

Grund für die Retractions waren fingierte Gutachten zu den Artikeln, so genannte Fake Reviews. Verlage lassen Autoren mitunter selbst Gutachter zur Prüfung ihrer Artikeleinreichungen vorschlagen - manche Verlage, darunter offensichtlich auch Springer Nature, überprüfen diese Vorschläge allerdings sehr unzureichend. In solchen Fällen können Autoren - unter Pseudonymen oder durch Identitätsdiebstahl - eigene Einreichungen gleich selbst prüfen und zur Publikation freizugeben.

Betrugswillige Wissenschaftler können recht einfach Identitäten realer Experten stehlen, indem sie Mailadressen mit deren Personennamen als Präfix bei irgendeinem Anbieter von Mailkonten (wie Googles Gmail oder Yahoo Mail) erstellen und diese Mailadressen nutzen, um sich selbst als Mailkontoinhaber unter dem Namen einer anderen Person als Reviewer vorzuschlagen. Diese Art der Manipulation ist längst bekannt, bereits 2012 berichtete der Chronicle of Higher Education über derartige Betrugsmaschen. Betroffen waren damals unter anderem mehrere Closed-Access-Journale von Elsevier, allerdings auch anderen Verlagen.

Förderung von Vetternwirtschaft

Die Praxis, Autoren selbst Gutachter vorschlagen zu lassen, ist per se ambivalent: Einerseits kann der Einreichende so die Wahrscheinlichkeit steigern, dass tatsächlich ein Experte seinen Text prüft und nicht ein zur Einschätzung des Werkes fachlich wenig geeigneter Kollege. Andererseits aber ermöglicht dieses Verfahren nicht nur - wie bewiesen - bauernschlauen Betrügern simple Tricksereien, es begünstigt ferner Vetternwirtschaft: Warum sollte man für die eigene Einreichung einen kritischen Fachmann vorschlagen, wo man doch genauso gut einen wissenschaftlichen Freund benennen kann, der sich der Review sicher wohlwollend annehmen wird - um im Gegenzug und Rollentausch irgendwann den gleichen Freundschaftsdienst einzufordern. Kurzum: Der Vorschlagsmodus kann die Unabhängigkeit und Objektivität der Begutachtung unterminieren.

Gravierender ist jedoch, dass Verlage - obwohl die geschilderten Mogeleien längst bekannt sind - es unterlassen, die Identitäten der vorgeschlagenen Reviewer zu prüfen oder, noch einfacher, keine Nennung von Mailadressen x-beliebiger Anbieter akzeptieren, sondern nur seriöse personalisierte Mailadressen, etwa von Universitäten, deren Diebstahl aufwändiger zu bewerkstelligen wäre, da die Adressen in aller Regel an eine geprüfte Identität gebunden sind. Laut einer Nature-Meldung will man in Folge der aufgedeckten Betrugsfälle bei Springer Nature die Überprüfung der Identitäten vorgeschlagener Reviewer in Zukunft ernster nehmen.

Die zehn betroffenen Zeitschriften aus dem Portfolio von Springer Nature erschienen allesamt nicht im Open Access, sondern im Closed Access, dem Subskriptionsmodell, in dem Wissenschaftler oder deren Einrichtungen für die Nutzung wissenschaftlicher Literatur Entgelte zahlen müssen. Bereits im März war allerdings auch der ebenfalls zu Springer Nature gehörende Open-Access-Verlag BioMed Central gezwungen, 43 Artikel aus seinen Zeitschriften zurückzuziehen, zu denen Autoren gleichsam Fake Reviews fabrizierten.

Fake Reviews als Dienstleistung?

Elizabeth Moylan, BioMed Centrals Senior Editor for Research Integrity, äußerte in einem Posting zu diesen Retractions gar eine weitergehende Vermutung, die auf eine Professionalisierung der Masche hinweist: Bei BioMed Central hegt man den Verdacht, dass mitunter Firmen, die Autoren gegen Geld beim Verfassen wissenschaftlicher Artikel, z.B. durch Lektorat, unterstützen, an den Fake Reviews beteiligt waren. Der erwähnten Nature-Meldung zufolge schließt auch Springer Nature dies bei nicht allen der 64 gerade erfolgten Retractions aus. BioMed Central zumindest bietet Autoren mittlerweile nicht mehr die Möglichkeit, Gutachter vorschlagen zu können und auch der Open-Access-Verlag Public Library of Science PLOS verabschiedete sich von diesem Verfahren.

Schon im Frühjahr 2014 kamen Springer-Journale wegen unzureichender Qualitätssicherung unter Beschuss, damals konnte der französische Informatiker Cyril Labbé über 120 computer-fabrizierte Nonsens-Artikel in Zeitschriften und Konferenzbänden der Verlage Springer und IEEE nachweisen (Wissenschaftszeitschriften lassen sich von computer-generierten Unsinns-Artikeln übertölpeln).