Kasten-Quoten-Unruhen in Indien

Patidar randalieren in Gujarat

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Im indischen Bundesstaat Gujarat kommt es seit drei Tagen zu schweren Unruhen, bei denen mindestens acht Menschen starben - darunter ein Kind und ein Polizist. Dutzende weitere Beamte liegen mit Verletzungen in Krankenhäusern. Inzwischen wurde eine Ausgangssperre verhängt, die die Armee durchsetzen soll.

Die Verursacher der Ausschreitungen sind Angehörige der Patidar-Kaste, die in Gujarat etwa ein Fünftel der Bevölkerung stellt, aber auch in zahlreichen anderen indischen Bundesstaaten und im Ausland lebt. Anders als in einigen deutschen Medien dargestellt, gehören sie nicht zu den Brahmanen, sondern (bis in die 1930er Jahre) zu den Händler- und Bauernkasten (Kunbi). Häufig tragen sie den Nachnamen "Patel", der sich in etwa mit "Schulz" übersetzen lässt.

Als ihr Führer, der 21-jährige Hardik Patel, am Dienstag nach einer Großdemonstration mit 300.000 Teilnehmern in der Vier-Millionen-Stadt Ahmedabad verhaftet wurde, zündeten fanatische Patidar dort und in Surat, Vapi und Rajkot über 40 Polizeiwachen und mehr als 70 Busse an.

Brennender Bus in Gujarat

In den USA und in Afrika sind Patidar - aber auch in Indien - sind Patidar heute häufig Einzelhändler. Deshalb zählen sie in Gujarat nicht zu den Bevölkerungsgruppen, für die es besondere Quoten an Universitäten und im öffentlichen Dienst gibt. Dadurch sehen die Patidar ihre Kinder benachteiligt. Sie fordern eine Quotenteilhabe, wie es sie für die Kaste in den benachbarten Bundesstaaten Madhya Pradesh und Rajasthan gibt.

Hardik Patel hat seine Anhänger dazu aufgerufen, zur Durchsetzung dieses Anliegens die Versorgung der Städte und Dörfer Gujarats mit Lebensmitteln zu boykottieren. Die Behörden werfen ihm außerdem vor, mit der am Dienstag gemachten Bemerkung, wenn man Menschen Rechte vorenthalte, würden sie zu Terroristen, zu den Ausschreitungen aufgerufen zu haben.

In Indien gibt es religiös, kulturell und berufsständisch verankerte Kasten. Um die wirtschaftliche Position von Angehörigen niedrigerer Kasten zu fördern, führte das Land Zugangsquoten ein. Dieses Quotensystem hat seine Anfänge bereits in der Kolonialzeit und entwickelte sich zu einem undurchschaubaren Gewirr mit den unterschiedlichsten Regelungen - nicht nur für verschiedene Kasten, sondern auch für Volksgruppen und Religionen, was zu Situationen führt, die als häufig ungerecht empfunden werden.

Dass Quoten für die Patidar den Konflikt dauerhaft lösen, ist eher unwahrscheinlich: Weist man ihnen sichere Plätze an Universitäten und im öffentlichen Dienst zu, dann fühlen sich wahrscheinlich andere der mindestens 122 Volksgruppen und der über 3.000 Kasten und Unterkasten in Indien benachteiligt. Einige Politiker fordern deshalb, dass diese Quoten abgeschafft und durch ein System ersetzt werden, dass nur noch die Leistung der Bewerber und das Einkommen der Eltern berücksichtigt. Solch ein System wäre insofern gerechter, als es zwar einen statistischen, aber keineswegs einen absoluten Zusammenhang zwischen Kastenzugehörigkeit und wirtschaftlichem Wohlstand gibt: 80 Prozent der Menschen, die in Indien unterhalb der Armutsgrenze leben, gehören niedrigen Kasten an, aber die restlichen 20 Prozent kommen aus anderen.

Ein anderer Vorwurf gegen das Quotensystem ist, dass es das Kastensystem durch den Konnex mit Bildungsmöglichkeiten und wirtschaftlichen Gelegenheiten immer weiter perpetuiert, anstatt es aufzuheben. Die Kastenzugehörigkeit, so die Kritiker der indischen Variante von "Affirmative Action", wäre im städtischen Indien des 21. Jahrhunderts weit weniger wichtig, wenn sie durch die Quoten nicht Karrieren bestimmen würde.

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