Hass mit Hass bekämpfen?

David Berger im Gespräch mit den Aktivisten von EiE im Jahr 2013. Bild: D. Berger

Eine Berliner Homo-Aktivistengruppe durchsucht soziale Netzwerke nach homophoben Kommentaren. Die häufig sehr jungen Poster werden dann im Netz als "Vollpfosten des Tages" präsentiert, dem Arbeitgeber gemeldet und angezeigt

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Das große Problem von Institutionen und Gruppen, die in Deutschland gegen Homophobie arbeiten, ist ihre eigene Daseinsberechtigung. Noch nie gab es in Deutschland eine Zeit, in der Medien, Parteien und Bevölkerung aufs Ganze gesehen so tolerant und homofreundlich sind, wie das heute der Fall ist.

Schwere Zeiten also auf Aktivisten und deren Gruppen, die ihre Hauptaufgabe darin sehen, gegen Homophobie zu kämpfen. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an das Gespräch mit einem solchen Aktivisten vor zwei Jahren: Er plante eine Großdemo gegen Homophobie, aber das Interesse daran war noch gering, ebenso wie der Spendeneingang, mit dem man Moderatoren, befreundete Künstler usw. für das dazugehörige Bühnenprogramm finanzieren wollte. Daher dessen Anfrage an mich als Journalisten: Ob man nicht in den kommenden Tagen vermehrt von homophoben Übergriffen berichten könnte, um zu erreichen "dass die Leute ihren Arsch hochkriegen". Enttäuschung dann, als ich ihm mitteilte, dass Journalisten keine Ereignisse machen, sondern darüber berichten; dass eine Nachricht etwas anderes ist als das Drehbuch einer Vorabendserie.

David Berger im Gespräch mit den Aktivisten von EiE im Jahr 2013. Bild: D. Berger

Aufgrund dieser schlechten Ausgangslage für Homoaktivisten müssen neue Ideen her. Eine außergewöhnliche Idee, die hier Rettung bringen könnte, hat nun die Berliner Aktivistengruppe "Enough is enough" entwickelt: Man observiert das Internet (besonders die sozialen Netzwerke und Kommentarspalten von Tageszeitungen), ob dort eindeutig homophobe Aussagen fallen. Und verfolgt die Macher dieser Aussagen dann gnadenlos.

Bislang gab es das Problem, dass solche extrem homophoben Aussagen vor allem von Jugendlichen mit (muslimischem) Migrationshintergrund kamen und die Gruppe - die auch in der Anti-Pegida-Bewegung aktiv ist - daher nur ansatzweise und mit Relativierungen intervenieren wollte.

Vor einigen Tagen konnte man nun endlich zwei andere Facebooknutzer ausfindig machen, die sich für die geplante Aktion besser eignen: In der Facebook-Gruppe "Größte Addbörse 2015" wurden sie fündig. Nach dem "Tagesspiegel" ist diese Gruppe ein "Ort der pubertären Verzweiflung. Hauptsächlich tummeln sich dort Jugendliche, die um Aufmerksamkeit buhlen, und das mit kruden Mitteln. Viel Porno, viele Selfies mit Schmollmündern, "Wer will schreiben?", "Wie findet ihr mein Outfit?", "Ich bin die Geilste" und: viele Beleidigungen. Untereinander, aber auch gegen Minderheiten, Ausländer, Frauen. Eine der Nutzerinnen der "größten Addbörse" war Sara K., die schrieb: "Homosexuelle Menschen gehören getötet. Ist ja widerlich."

Charakterschwache Jugendliche, die in ihrer Naivität etwas raus plappern, was ihnen für ein paar Stunden die Aufmerksamkeit schenkt, die ihnen offensichtlich in ihrem bisherigen Leben verweigert wurde. Das war also die gefährliche Gruppe, auf die sich die Homoaktivisten stürzten.

Erst wurden das betreffende Mädchen und ein fast gleichaltriger Junge mit Namen Max auf der Facebookseite als "#VollpfostendesTages" den Fans von EiE vorgeführt. Mit einer gewissen Genugtuung: Dafür gab es von Facebook eine zeitweise Sperrung der Aktivistenseite. Die fühlten sich dadurch aber nicht zum Nachdenken, sondern zu weitergehendem Handeln motiviert. Mit geschwellter Brust schauen sie auf das zurück was dann passierte:

Vergangene Woche haben wir euch die gravierenden homophoben und menschenfeindlichen Äußerungen von Sara und Max berichtet. Wir von ENOUGH is ENOUGH - OPEN YOUR MOUTH haben gemeinsam mit vielen von euch Strafanzeigen gestellt, denn eins ist ganz klar: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum und Homophobie ist kein Kavaliersdelikt!

Uns ist bewusst, dass mit diesen Strafanzeigen und dem öffentlichen Benennen von Homophobie, auch persönliche - teilweise sehr junge - menschliche Geschichten verbunden sind.

Dennoch haben wir alle eine Verantwortung, Menschen vor solchen (möglichen) Gewaltaufrufen zu schützen. Wir haben uns lange gefragt, ob wir den Arbeitgeber von Sara informieren sollten. Nach unserer Recherche haben wir herausgefunden, dass Sara erst seit wenigen Tagen eine Ausbildung zur Altenpflegerin begonnen hat.

In Anbetracht dieser Tatsache, dass unter den von ihr betreuten, pflegebedürftigen Personen, auch LGBTI*-Menschen dabei sein könnten und sie ihren Hass unter diesen Menschen womöglich auslässt, war unsere Entscheidung eindeutig.

Enough is enough

Auch im Fall des männlichen Jugendlichen ging man mit einer Intransigenz vor, die an den Großinquisitor in Bergengruens "Der Großtyrann und das Gericht" erinnert:

Im Fall Max habt ihr die Firma Zalando, den Arbeitgeber von Max, angeschrieben, … (der hatte) seit drei Wochen eine Ausbildung in einem Team mit über 100 Nationalitäten begonnen, so sah sich der Arbeitgeber gezwungen, die anderen Mitarbeiter*innen zu schützen und hat Max bis auf Weiteres von der Arbeit freigestellt. Sollte der Betriebsrat zustimmen, wird Max das Team verlassen müssen.

Noch bevor ein Richter irgendein Wort in der Sache gesprochen hat, hat man es also erreicht, dass die beiden ihre Ausbildung abbrechen müssen - schlechte Aussichten für ihr weiteres Leben. Ein Kommentator auf der Facebookseite der Gruppe schreibt dazu richtig:

Mhh...jetzt haben also 2 junge Menschen ihren Arbeitsplatz verloren, an dem sie vielleicht auf ältere, weisere Menschen getroffen wären. Vielleicht hätten sie ihr Weltbild verändert, ihre Entscheidung überdacht und hätten ein paar Jahre später peinlich berührt daran gedacht, wie dumm sie sich mal als junge Erwachsene benommen haben. Jetzt stehen sie ohne Ausbildung da, unter Umständen ist ihr Name im Netzt schon hoch und runter gewandert und sie finden keine neue Stelle und bleiben mit ihrem Hass allein bzw unter Gleichen. Ob uns damit wirklich geholfen ist?

Und ein anderer Kommentator bemerkt dazu:

Kampf gegen Homophobie, immer, Anzeige ja, strafrechtliche Verfolgung ebenso, aber wer bitte schön, hat euch denn alle zum Richter und Geschworenen gemacht!?! Das ist Denunziation beim Arbeitgeber von jemandem, den ihr nur von einem FB-Profil her kennt und nun stehen sie auf der Straße und ihr Hass wird sich nun verdoppeln und verdreifachen! Dass ist eine Form von Selbstjustiz! Und ihr feiert euch noch dafür...

Anders sehen das vor allem die Fans von Enough is Enough, die selbst keine leichte Jugend hatten. Einer schreibt etwa:

Hätte ich als Jugendlicher sowas von mir gegeben, hätte es mindestens ne Ohrfeige gesetzt, und noch ne zweite wenn ich gefragt hätte wofür. Heute geht das ja nicht mehr, obwohl es bei solchen Gören die nicht die geringste Ahnung haben was sie da reden echt angebracht wäre. Also muss die "Watschn" halt anders ausfallen, und wenns eben der Verlust der Ausbildungsstelle ist...

Weitere aggressive Kommentare (vor allem gegen das Mädchen) finden sich in rauer Menge, bei denen das harte Vorgehen gegen die unterstellte Hasskriminialität der beiden Jugendlichen als gut betrachtet wird. Da kommt etwa die Forderung der "widerlichen Göre" auch "noch Harz 4 zu streichen". Wer es wagt, die Vorgehensweise der Aktivistengruppe zu kritisieren, wird gefragt, ob er an einem "Hirntumor" leide (so der sehr erfolgreiche Künstler Hendryk Eckdahl von der Berliner Schwulenbar "Hafen").

Wo aus der Perspektive der Jugendlichen die Schuldigen für ihr derzeitiges Schicksal sitzen, ist klar. Sie werden aus dem Vorfall lernen und werden nichts mehr öffentlich gegen Homosexuelle schreiben oder sagen. Aber sie werden garantiert jetzt die pubertäre Homophobie in echten Homohass umwandeln. Der wird nicht mehr kontrollierbar und meist auch nicht bestrafbar sein.

Hass, der sich in den Untergrund zurückzieht - das sehen wir an den derzeit brennenden Flüchtlingsheimen -, ist eine echte Gefahr. Und führt zu jenen homophoben Gewaltverbrechen, die auf der einen Seite schlimm sind, aber zugleich der Sumpf, aus dem solche Organisationen wie "Enough is enough" ihre Daseinsberechtigung generieren. Ein Schelm also, der bei der jüngsten Aktion der Aktivistengruppe Böses denkt …

Auch nicht verwunderlich ist in diesem Zusammenhang, dass das erst der Anfang einer umfassenden Berufung zu sein scheint, die die Aktivistengruppe für sich empfindet. Sie kündigen auf ihrer Facebookseite an:

Wir beobachten weiterhin das Netz, das klingt zwar idealistisch, aber unsere Arbeit ist erst getan, wenn es keine Homophobie mehr gibt. Und daher werden wir weiterhin homophobe Kommentare (…) melden.

Enough is enough

Die Chancen stehen also gut, dass "Enough is enough" bald auch wieder erfolgreiche Mahnwachen mit herzzerreißenden Reden abhalten kann, wenn wieder einmal vor einer Schwulenbar jemand zusammen geschlagen oder im schwulen Cruisingbereich des Tiergartens umgebracht wurde …

David Berger war sechs Jahre für den Vatikan tätig, nach seinem Outing zwei Jahre Chefredakteur eines Magazins für schwule Männer. Die Aktivistengruppe "Enough is enough" begleitet er seit ihrem Entstehen journalistisch (z. B. hier) und hat sich auch in den Gründungsmonaten erfolgreich um die Organisation von Geldern gekümmert.