Einen Nachmittag willkommen

Nach tagelangen rassistisch motivierten Krawallen in Heidenau, haben am Freitag hunderte Menschen auf einem Willkommensfest mit den Flüchtlingen gefeiert

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Hamed war seine Verunsicherung anzumerken. Nur ob sie von vier Jahren Krieg oder vier Tagen Heidenau stammen, erkennt man nicht. "Der ist nicht von den Nazis, oder?", fragte der Mitte-20-jährige Syrer schüchtern, als der große LKW auf die Wiese in der Nähe des Flüchtlingslagers einbiegt. Aktivisten vom Berliner Oranienplatz hatten ihn mit Spielzeug und Klamotten beladen und hierher geschickt. Nun standen Hamed und dutzende andere Flüchtlinge in der langen Schlange vor dem LKW und erleben zum ersten Mal so etwas wie Gastfreundschaft in Heidenau.

Hinter dem Willkommensfest standen aber auch an diesem Abend nicht die Heidenauer Bürger, sondern die Aktivisten von Dresden Nazifrei. Ob die Anmeldung des Festes die berüchtigten sächsischen Zustände überstehen wird, war noch bis zum Freitagnachmittag unklar. Nachdem die sächsischen Polizei tagelang duldete, wie Nazis und Anwohner ihre neuen Nachbarn mit den größten rassistisch motivierten Ausschreitungen seit Jahren begrüßte, griff sie gegen das Straßenfest hart durch.

Versammlungsverbot

"Polizeilicher Notstand" hieß die offizielle Begründung für das Verbot des Festes und sämtlicher anderen öffentlichen Veranstaltung bis Sonntag in Heidenau. Folgen konnte der Entscheidung kaum jemand, auch nicht das Dresdner Verwaltungsgericht. Es kassierte das Verbot: "Offensichtlich rechtswidrig" lautete am Freitagnachmittag das Urteil nach einem Eilantrag. Der zur Begründung angeführte sogenannte polizeiliche Notstand sei in der Verfügung "nicht hinreichend vorgetragen und belegt".

Am Abend setzte das Oberverwaltungsgericht in Bautzen das Versammlungsverbot jedoch wieder in Kraft - allerdings mit Ausnahme aller vom Bündnis "Dresden Nazifrei" für diesen Freitag geplanten Veranstaltungen. Sie dürfen stattfinden, so die Richter, neue Aufmärsche von rechten Gruppen am Wochenende bleiben verboten..

Vor dem juristischen Tauziehen am Freitagnachmittag war ein Sturm der Empörung über die sächsische Landesregierung hinweggefegt. Mal wieder. "Ich verstehe, dass man Nazis da nicht auftreten lässt", sagte Vize-Kanzler Sigmar Gabriel. Dass sich aber auch "friedfertige Demokraten" nicht treffen dürften, sei "nicht nachvollziehbar."

Noch deutlicher wurde Cem Özdemir im ARD-Morgenmagazin: "Es kann nicht sein, dass Rechtsradikale bestimmte Bereiche Deutschlands, vor allem in Sachsen, ganz offensichtlich übernehmen und die Polizei zurückweicht", kritisierte der Grünen-Chef, sprach von einer "nicht hinnehmbaren Kapitulation des Rechtsstaates" und schloss sich vielen linken Aktivisten an, die versprachen, dennoch zu kommen.

Das tat er tatsächlich und stand umringt von Kamerateams lange im Fokus der Veranstaltung. Der Rest der Besucher beschäftigte sich mit Hüpfburg, Fußballspielen, Bratwurst, Torwandschießen, Tanzen und Wasserpfeile rauchen. Selbst einen aus linker Sicht aktivistischen Erfolg gab es zu verbuchen. Als der sächsische Innenminister Markus Ulbig die Veranstaltung besuchte, musste er kaum, dass er gekommen war, das Fest auch schon wieder verlassen.

Nach einem Sturm aus Pfiffen und Beschimpfungen flüchtete sich Ulbig, den viele für das Versagen der Polizei verantwortlich machen, nach wenigen Minuten wieder in seinen Dienstwagen und fuhr davon.

"Ganz normale Bürger" hinter Büschen

Den Rest des Nachmittages hätte man fast denken können, Heidenau sei für seine Flüchtlinge gastfreundliche Stadt. Wie gesagt, fast. Denn auch am Freitag zeigten viele Heidenauer, warum die Bevölkerung der Stadt auf Twitter mittlerweile als #HeidePack gilt. Rund 150 Flüchtlingsgegner versammelten sich noch während des Willkommensfestes auf einer Kundgebung - allerdings diesmal rund anderthalb Kilometer entfernt und durch die Polizei gut abgeschirmt.

Wesentlich präsenter, weil nur eine Bundesstraßenbreite vom Fest entfernt, standen hingegen auch am Freitag wieder jene "ganz normalen Bürger" hinter Büschen, die schon am letzten Wochenende die Keimzellen für größere Naziansammlungen bildeten. "Wer Heidenau nicht liebt, soll Heidenau verlassen", rief ein rundlicher Mann in Malerhose. Andere versuchten aus ihren Autos gegen die Flüchtlingsunterbringung anzuhupen.

"Die stehen jeden Tag da rum, keine Angst, die schreien bloß", sagte Hamed aus Syrien, nun deutlich selbstsicherer. "Jetzt brauche ich nicht mehr zum Real einkaufen", scherzte Hamed unterdessen und trug einen Stapel gespendeter Klamotten in die Unterkunft. Als er wieder herauskommt, ist der Platz noch ein bisschen voller mit Flüchtlingsunterstützern.

Doch als am Abend die rund 300 Unterstützer wieder in den Zug nach Dresden verschwinden, kehrt für die Flüchtlinge das gewohnte Heidenau zurück. Rund 100 Flüchtlingsgegner, unter ihnen viele offensichtliche Nazis, versammeln sich auf dem Supermarktparkplatz gegenüber, werden diesmal aber von der Polizei davon abgehalten, die Straße zu den Flüchtlingen zu überqueren. Was sie skandieren, muss den Flüchtlingen in Heidenau dennoch wie ein Bedrohung vorkommen: "Wir sind das Volk."