Sachsen ist ausnahmsweise für Flüchtlinge

Das Land hat nicht unbedingt das beste Image, wenn es um Flüchtlinge geht. Dabei gibt es auch jene, die sich den diffamierenden Schreihälsen entgegenstellen. 5.000 von ihnen gingen am Samstag auf die Straße

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Wer hätte gedacht, dass man solch ein Bekenntnis aus so vielen Mündern in Sachsen hören kann: "Say it loud, say it clear, refugees are welcome here", skandieren die Demonstranten am Samstagabend auf dem Dresdner Altmarkt. Auch ihr Protest richtet sich gegen die Flüchtlingspolitik der Landesregierung, aber für deren Verbesserung. Zwischen all den Aufmärschen, Brandanschlägen und randalierenden Nazis hätte man fast vergessen können, dass es sie auch noch gibt. Personen, die sich solidarisch mit Flüchtlingen erklären.

Rund 5.000 waren dem Aufruf "Heute die Pogrome von morgen verhindern" des lokalen Bündnisses "Dresden Nazifrei" gefolgt. Busse und Züge aus Berlin, Jena, Hannover und Prag hatten die Aktivisten in die Hauptstadt der Pegida-Bewegung gebracht, um gegen die "sächsischen Zustände" zu protestieren. "Es waren Antifaschisten, die den Nazis die Stirn geboten haben; die sich das Demonstrationsrecht zurück erkämpft haben, die Spielzeug nach Heidenau gebracht und die Hüpfburg aufgeblasen haben", sagte einer der Redner bei der ersten Kundgebung und meinte die rassistisch motivierten Ausschreitungen in Heidenau. Die Menge antwortete mit "Rassismus und Nazi-Dreck, es gibt nur eine Antwort: Ulbig muss weg" und meinte den sächsischen Innenminister, der schon am Abend zuvor von einer wütenden Menschenmenge vom Flüchtlingsfest in Heidenau getrieben worden war.

Brühlsche Terasse, Dresden. Foto: Wikimedia; gemeinfrei

Von dem dort herrschenden Polizeimangel ist in Dresden an diesem Samstagnachmittag nichts zu spüren. Dutzende Mannschaftswagen und hunderte Bereitschaftspolizei begleiteten den Demonstrationszug vom Dresdner Hauptbahnhof zum Neustädter Bahnhof. Selbst die sehr vereinzelten Nazi-Provokateure entlang der Strecke hat sie - wohl auch deren eigenem Schutz - schnell unter Kontrolle. "Wir sind das Volk" skandieren rund zehn von ihnen am Rand der Demonstration. Dem Inhalt ihres Bollerwagens zu urteilen, könnten sie aber auch "Wir sind voll" gemeint haben.

Nicht nur der Umstand, dass dies eine der wenigen und winzigen Provokation blieb, sorgt dafür, dass die Demonstration oft mehr an ein mobiles Straßenfest als an eine linke Demo erinnert. Unter einer strahlenden Sonne übertrifft die Familienfraktion mit Kinderwägen, Fahrrädern und Seifenblasen zahlenmäßig jene mit schwarzem Halstuch unter schwarzen Pullover an der Spitze der Demo. In der Dresdner Innenstadt spielen sich die üblichen skurrilen Szenen zwischen lautstarken Demonstranten und Passanten ab. Einige Passanten beeilten sich in den Straßencafés mit dem Bezahlen, Touristen knipsten Selfies vor der unerwarteten Sehenswürdigkeit - einer pro-Flüchtlingsdemo in Sachsen. Die Demonstranten antworten mit: "Bürger lasst das Glotzen sein, kommt herüber, reiht euch ein."

Die Rede-Beiträge machen dann aber doch klar, dass es um mehr geht als um einen skurrilen Straßenumzug: "Auch dort wurden die Nazis nicht zurückgedrängt, auch dort wurden Antifaschisten verhaftet", sagt einer der Redner, als die Demo vor dem Dresdner Polizeipräsidium Halt macht und zieht die Parallele zu den Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen.Die Politik der sächsischen Regierung sei ein »Generalversagen mit System«. Die Konsequenz aus den 1990ern sei »eine militante und breit verankerte Neonazisszene«, die schließlich auch den NSU hervorgebracht habe.

Vor dem Neustädter Bahnhof kritisiert eine Rednerin der Interventionstischen Linken den "rassistischen Normalzustand": "Was ist das für ein Staat, in dem von hunderten randalierenden Nazis genau keiner festgenommen wird, während nicht-weiße Menschen an jeder fucking Bushaltestelle kontrolliert werden." Die paar hundert Demonstranten sind da noch übrig. Viele bereits auf dem Weg zur nächsten Demo in Kundgebung. Die anderen stehen vor der improvisierten LKW-Bühne, auf der gleich Max Herre und die Berliner Hip-Hopper Chefket und Zugezogen Maskulin auftreten werden. Am Abend wippen nur noch wenige Demonstranten mit ihren Armen im Takt der Musik. Es ist eines der guten Zeichen, dass es nicht die Musiker waren, die die meisten Leute anziehen - nicht das einzige an diesem Tag in Sachsen.